Brillen sind mittlerweile nicht mehr einfach nur Sehhilfen: In verschiedenen Klamottenläden finden sich immer wieder Varianten mit Fensterglas, ohne Sehstärke, die dann als vermeintlich stylisches Mode-Accessoire auf der Nase getragen werden können. Die Träger*innen sind jedoch nicht auf die Brillen angewiesen und können sie, abgestimmt auf das Outfit, jederzeit ablegen. Carla Watkins kann das leider nicht: Die Fotografin aus Colchester, England, ist kurzsichtig und daher auf ihre Brille angewiesen. Sie sieht Dinge, die sich in der Ferne befinden, unscharf: Bedingt durch einen überlangen Augapfel werden einfallende Lichtstrahlen im Auge bereits vor der Netzhaut scharf gestellt. Laut einer Untersuchung des King’s College London und dem European Eye Epidemiology Consortium aus dem Jahr 2015 sind in Europa 47,2 Prozent aller Menschen zwischen 25 bis 30 Jahren kurzsichtig.

Trotz dieser hohen Zahl wurde Carla immer wieder von Menschen, die nicht auf eine Sehhilfe angewiesen sind, gefragt, ob sie mal ihre Brille anprobieren könnten. "Wenn ich jedes Mal einen Penny bekommen hätte, wenn mich jemand gefragt hat, ob er meine Brille ausprobieren darf, um dann anschließend erstaunt darüber zu sein, wie schlecht ich doch sehe, könnte ich morgen als reiche Frau in den Ruhestand gehen", erinnert sie sich und erklärt: "Einer Person, die ohne Brille fahren, arbeiten, spielen kann, verständlich zu machen, wie es für mich ohne Brille ist, ist fast unmöglich." Deshalb fing sie 2015 mit einem persönlichen Fotoprojekt an und arbeitet seitdem immer wieder daran: "Zurzeit nenne ich das Projekt einfach nur Short Sight – weil ich nun mal so kurzsichtig bin", scherzt sie.

Wo ist meine Brille?

Auf den Fotos sieht man verschiedene Situationen und Motive, immer zweimal: einmal scharf gestellt, einmal unscharf. So zeigt sie, wie sie die aufgenommenen Momente mit und ohne Brille wahrnimmt. "Mit dieser Bilderreihe will ich zeigen, wie die Welt für mich aussieht, wenn ich meine Brille nicht trage: verwirrend, aber auch irgendwie magisch!" Das Projekt soll Menschen zeigen, wie es ist, eine Brille zu tragen – und all die lieben Freund*innen, Eltern oder Partner*innen dazu bringen, erst mal darüber nachzudenken, bevor sie einem*r Brillenträger*in die Brille von der Nase nehmen. Carla erklärt: "Ich bin in meinem Leben schon so oft aufgewacht und irgendjemand hatte meine Brille weggepackt, damit sie sicher ist. Das Problem ist nur: Ich kann nicht gut genug sehen, um sie wiederzufinden. Das ist ein ziemlich mieser Start in den Tag! Es ist wirklich schwierig sich vorzustellen, wie Kurzsichtigkeit aussieht, wenn man gut sehen kann. Deshalb wollte ich anderen Menschen meine Welt zeigen."

Weitere Arbeiten von Carla findest du auf ihrer Webseite, auf Instagram und auf Facebook.