Bis vor ein paar Jahren konnte ich nicht gut alleine sein. Ich hatte das dumpfe Gefühl, etwas zu verpassen, ohne genau benennen zu können was. Dahinter steckte, das weiß ich jetzt, vor allem Unsicherheit: Wenn ich alleine war, fühlte ich mich einsam. Mittlerweile ist das anders. Ich genieße die Zeit alleine sehr und brauche diese Phasen der Ruhe, um Kraft zu sammeln. So ähnlich geht es auch vielen anderen Menschen.

Ich muss oft Zeit allein verbringen. Ich wäre ziemlich glücklich, wenn ich von Samstagabend bis Montagmorgen allein in meiner Wohnung wäre. So tanke ich wieder auf.
Audrey Hepburn

"Neue Untersuchungen bestätigen tatsächlich, dass die Einsamkeit in der Gegenwart zunimmt [...] Heute sind wir durch Mobilität im Job und Trennungen gezwungen, uns bewusst Wahlverwandtschaften zu suchen, wenn wir nicht einsam sein wollen", sagt die Diplom-Psychologin Dr. Eva Wlodarek.

Alleinsein und Einsamkeit sind nicht dasselbe, sondern vielmehr zwei Seiten einer Medaille. Das erklärt mir auch die Expertin: "Einsamkeit wird oft mit Alleinsein verwechselt, dabei ist es etwas völlig anderes. Ob wir allein sind, kann jeder von außen sehen. Einsamkeit dagegen ist eine schmerzhafte Empfindung, wir fühlen uns innerlich isoliert."

Das habe auch nichts damit zu tun, ob andere Menschen um uns herum sind oder nicht, sagt die Buchautorin von Einsam. Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl.

Das Gefühl Einsamkeit könne uns auch quälen, wenn wir eine*n Partner*in, eine Familie oder einen großen Bekanntenkreis hätten. Auch rege Social-Media-Aktivität ist kein Trost bei Einsamkeit, sondern vielmehr eine Ablenkung.

Der unglückliche Mensch ist immer von sich selbst abwesend und niemals präsent.
Søren Kierkegaard

Menschen brauchen Menschen. Oder?

Wer einsam ist, der fühlt sich abgeschnitten und nicht zugehörig. Dass dieses Gefühl so weh tut, hat einen wichtigen Grund, erklärt Dr. Wlodarek: "Wir sind soziale Wesen. In der menschlichen Evolution war es überlebenswichtig, zu einer Gruppe zu gehören, denn Einzelgänger hatten bei den vielfältigen Gefahren kaum Überlebenschancen." Diese Prägung sei noch bis heute wirksam und erzeuge physische Schmerzen, die sich sogar mit dem Hirnscanner nachweisen ließen.

Das dauerhafte Gefühl der Einsamkeit kann deshalb auch regelrecht krank machen. Der US-amerikanische Psychologe John Cacioppo von der Universität Chicago untersucht, wie soziale Isolation Menschen beeinträchtigt. Er hat herausgefunden, dass Einsamkeit mit einem höheren Risiko für Herzinfarkt, Demenz und Depression einhergehen kann und das Gehirn beeinflusst. Einsame ältere Menschen würden sogar früher sterben.

Was Cacioppo aber auch herausgefunden hat: Die Lösung liegt nicht unbedingt darin, mehr Zeit mit mehr Menschen zu verbringen – sondern vielmehr in der inneren Einstellung. Wer einsam sei, betrachte andere Menschen eher als gefährlich und reagiere übersensibel auf vermeintliche soziale Bedrohungen. Dieses Denkmodell abzubauen sei effektiver als ein Plus an zwischenmenschlicher Interaktion.

Wann wird's kritisch?

Wie schnell wir uns einsam fühlen und wie gut wir allein sein können, entscheidet unser Innenleben. Und zwar sowohl unsere Grundkonstitution als auch die Lebenssituation, in der wir uns gerade befinden. Es gibt – insbesondere extrovertierte – Personen, die bei dem Gedanken an längere Zeit mit sich selbst Beklemmungen bekommen. Andere – beispielsweise Introvertierte – atmen dabei regelrecht auf. Und wer gerade aus einer Beziehung kommt, geht logischerweise anders mit Alleinsein um als jemand, der*die gerade ein halbes Jahr alleine auf Weltreise war.

"Wie viel Auszeit man braucht, ist individuell verschieden", meint auch Dr. Wlodarek, "Solange es Spaß macht, ist es in Ordnung. Kritisch wird es, wenn man keinen Impuls mehr hat, andere zu treffen. Dann schlägt Alleinsein in Einsamkeit um." Ob das der Fall sei, könne jede*r für sich feststellen: Selbstgewähltes Alleinsein tue gut, Einsamkeit tue weh.

Der entscheidende Punkt dabei: Freiwilligkeit. Wer sich von sich aus fürs Alleinsein entscheidet, handelt selbstbestimmt. Anders der*diejenige, der*die sich echten Kontakt wünscht, aber nicht bekommt.

Die Vorteile des Alleinseins

Die Menschen, die mit sich im Reinen sind und sich in ihrem eigenen Kopf wohl fühlen, für die ist Alleinsein ein Segen. Es hat ja aber auch einige echte Vorteile.

Sich auf sich selbst zu konzentrieren und nicht durch Interaktionen abgelenkt zu werden, schafft Raum für Kreativität. Die Aufmerksamkeit kann sich frei bewegen und auf neue, bisher unentdeckte Dinge oder Aspekte richten. Oder um es mit Albert Einstein zu sagen: "Die Monotonie und Einsamkeit eines ruhigen Lebens stimuliert den schöpferischen Geist."

Außerdem finden wir mehr zu uns selbst und kommen mit unserer eigenen Gefühlswelt in Kontakt. Und wer mit seinem Innenleben vertraut ist, kann bessere, tiefere Beziehungen zu anderen aufbauen. Insofern erhöht Alleinsein die Fähigkeit zur echten zwischenmenschlichen Bindung.

Unter Umständen sind wir durchs Alleinsein auch stärker im Einklang mit der Natur – einfach, weil wir sie mit ungeteilter Aufmerksamkeit erleben können. Und wir fühlen uns freier, weil wir unabhängiger und selbstsicherer sind.

Kann man Alleinsein lernen?

Wie fast alles ist auch Zeit mit sich verbringen und daraus Kraft schöpfen zu können Gewöhnungssache. Meditation ist ein guter Ansatz: Ein paar Minuten täglich helfen zum Beispiel schon dabei, das Stresslevel zu senken und sich an sich selbst und die eigenen Gedanken in der Stille zu gewöhnen

Eine Liste mit schönen Solo-Unternehmungen, die man nacheinander ausprobiert, sei auch hilfreich, erklärt Dr. Wlodarek. Das kann Musik hören sein oder ein Bad nehmen, vielleicht ins Café oder ins Kino gehen – am besten ohne Smartphone. Die Expertin: "So entdeckt man, dass Alleinsein auch Freude macht."

Denn wer gut mit sich allein sein kann, ist niemals wirklich einsam.