In der syrischen Provinz Idlib wurden mit einem Giftgasangriff aus der Luft dutzende Menschen getötet, davon gehen die Vereinten Nationen (UN) aus, wie Sonderberater Staffan de Mistura sagt. Die Europäische Union spricht von einem schlimmen Kriegsverbrechen und "dem brutalsten, blutigsten Konflikt unserer Zeit". Bilder, offenbar aus dem Ort Chan Schaichun, zeigen Unvorstellbares: Kinder und Erwachsene, die verkrampft und zuckend auf dem Boden liegen. Einige mit Schaum vorm Mund, andere um ihr Leben röchelnd.

Monzer Khalil, der Leiter der Gesundheitsbehörde in der Provinz Idlib, spricht von unterschiedlichen Opferzahlen. "Wir haben bis jetzt 50 identifizierte Namen von Toten dokumentiert. Und um die 300 Verletzte. Sie wurden in nahe gelegene Kliniken in der Provinz Idlib transportiert. Die Zahl der Toten steigt weiter, denn einige Opfer leiden unter sehr schweren Verletzungen. Außerdem mangelt es an Medikamenten in Idlib. Und an Intensivstationen, die viele der Verletzten brauchen. Deshalb sagen wir, dass die Zahl der toten Opfer noch steigen wird", sagte er dem Fernsehsender al-Arabiyya, wie die Tagesschau berichtet.

Für Aktivist*innen scheint klar: Das war die syrische oder russische Regierung mit Kampfjets. Doch Damaskus und Moskau bestreiten das. Offizielle unabhängige Quellen in Syrien können gar nichts bestätigen – weder wie viele Tote es gab, noch ob es sich tatsächlich um Kriegsverbrechen oder doch um einen terroristischen Anschlag handelte. Niemand will es gewesen sein.

Und genau das ist eines der derzeit größten Probleme in Syrien.

"Ein kleiner Weltkrieg"

Gesicherte Informationen aus dem von fast sechs Jahren Bürgerkrieg gezeichneten Land sind schwer zu bekommen. Egal, wer dort eine Aussage tätigt – Regierung, Opposition, Rebellen– , für eine andere Seite ist es mit Sicherheit Propaganda für die eigene Sache. Alle haben ihre eigene Wahrheit, fast nichts kann als bestätigt betrachtet werden. Viele Informationen kommen von der sogenannten Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Zahlen und vermeintliche Fakten aber mit Vorsicht zu genießen sind, weil sie im besten Fall unvollständig oder ungenau und im schlimmsten Fall übertrieben oder gefälscht sein könnten.

Generell fällt es schwer, in Syrien Schuldige von Unschuldigen, Gut und Böse voneinander unterscheiden. Rico Grimm, ein deutscher Journalist, machte sich im vergangenen November für die Plattform Krautreporter die Mühe, den Syrien-Konflikt verständlich zu erklären. Doch seine Grafiken zeigen: Die Verwicklungen im Syrien-Krieg sind mittlerweile völlig undurchschaubar. Dort findet tatsächlich ein kleiner Weltkrieg statt.

Auch die US-Regierung spielt eine Rolle im Syrien-Krieg. Sie machte just den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad für den Angriff verantwortlich. Das Assad-Regime habe erneut ein "abscheuliches Verbrechen" begangen, sagte US-Präsident Donald Trump und gab seinem Vorgänger Barack Obama gleichzeitig eine Mitschuld. Der Angriff sei eine Folge der "Schwäche und Unentschlossenheit" Obamas. Trump spielte damit laut Tagesschau auf Obamas Entscheidung nach einem Giftgasangriff 2013 an, nicht militärisch in Syrien einzugreifen – obwohl er zuvor erklärt hatte, ein Einsatz chemischer Waffen durch Assads Truppen würde eine rote Linie überschreiten.

Die UN diskutieren jetzt über Resolutionen. Großbritannien, Frankreich und USA legten dem UN-Sicherheitsrat einen Entwurf vor, der den Angriff verurteilt und eine Untersuchung verlangt. Das Gremium soll noch am heutigen Mittwoch darüber abstimmen. Aus Deutschland äußerte sich Außenminister Sigmar Gabriel, auch er sprach bei einer Dringlichkeitssitzung in Brüssel von einem Kriegsverbrechen. Er forderte Russland dazu auf, den Resolutionen zuzustimmen und mitzuhelfen, die Situation umfassend aufzuklären. Russland hatte im Februar zusammen mit China ein Veto eingelegt, als es schon einmal um Resolutionen ging.

Ob eine Resolution nun endlich gelingt oder nicht: Die enorme Unübersichtlichkeit des gesamten Konflikts schaffte bisher einen Raum für entsetzliche Kriegsverbrechen, für die im Nachhinein anscheinend niemand die Verantwortung übernehmen muss. Weder das Assad-Regime, noch Russland, noch die USA, noch extremistische Gruppen, noch sonst irgendjemand.

Das macht fassungslos, sprachlos, hilflos. Und die Leidtragenden sind wie so oft die Menschen der Zivilbevölkerung. Vor allem Kinder.