"Ich bin evangelisch getauft und mit kleinen Gebeten zu Tisch und beim Zu-Bett-Gehen aufgewachsen. Ich glaube an den lieben Gott", sagt Sabrina. Ihr Mann lacht über diesen Satz. Christian und sie sind seit der Schulzeit zusammen und haben sich 2015 verlobt. Sie hat sich eine kirchliche Trauung gewünscht, bei Christian war das anders. "In meiner Jugend hatte ich meine evangelische Konfirmation, aber danach war es eigentlich schon vorbei. Ich habe zur Kirche einfach nicht so den Bezug", sagt er.

Weil Sabrina ihm keine kirchliche Hochzeit aufzwingen wollte, erkundigten sich die beiden erst einmal über freie Trauungen. "Eine Trauung im Freien kann wunderschön sein, aber das Wetter kann einem einen Strich durch die Rechnung machen", sagt die 30-Jährige. "Auch die Suche nach der Location ist aufwändiger und eventuell muss man Stühle, Möbel, Deko und eine Musikanlage mieten", meint Christian. Das sei natürlich auch mit zusätzlichen Kosten verbunden.

Auch die Suche nach dem*r Redner*in sei schwer. "Manche reden von den Elementen Luft, Erde, Feuer, Wasser, andere von Horoskopen – das wäre nichts für uns gewesen", sagt Sabrina. Beide hatten bereits mehrere freie Trauungen erlebt. "Das war mehrmals so, dass der Redner dann doch eine andere Rede gehalten hat, als das Brautpaar es mit ihm besprochen hatte. Man denkt, dass man da mehr gestalten kann, aber das ist wohl nicht immer der Fall", glaubt Christian.

Also doch in die Kirche

Am Ende entscheidet sich das Paar für die Kirche, in der Sabrina getauft und konfirmiert wurde: "Das Flair ist da einfach anders. Und hinter der Kirche in meiner Gemeinde befindet sich wie eine Art Wintergarten. Das war perfekt für uns, weil wir dort direkt den Empfang veranstalten konnten", sagt Sabrina.

Aber es gab noch weitere Vorteile: die Ausstattung und das Finanzielle. "Bei einer kirchlichen Trauung zahlt man eine freiwillige Spende an die Kirche. Das ist schon günstiger als eine freie Trauung, bei der schon allein der Redner 500 Euro kostet", sagt sie. Doch obwohl Sabrina die Pastor*innen persönlich kennt, verlief die Planung nicht ohne Rückschläge. "Wir waren uns endlich sicher und dann hieß es, an unserem Wunschtermin im Juni hat keiner der vier Pfarrer Zeit. Ich hätte nicht gedacht, dass es ganz pragmatisch danach geht, wer Zeit hat", sagt sie. Auch dass die Pastor*innen im Sommer – der Hochsaison der Hochzeiten – gleichzeitig Urlaub nehmen, hatte sie verwundert. "Mal blöd gesagt, wenn jemand stirbt, muss doch auch jemand eine Beerdigung abhalten können."

Alles andere als persönlich

Irgendwann bekommen sie doch eine Zusage. Beim Treffen mit der Pfarrerin erzählten die Beiden, wie sie sich kennengelernt haben, was sie als Paar verbindet und was Ihnen für die Trauung wichtig wäre. "Überrascht hat mich, dass es doch weniger um unsere Wünsche und Vorstellungen ging", erinnert sich Christian. "Als wir der Pfarrerin unsere Liedwünsche mitteilten, meinte sie, sie klärt ab, ob das in Ordnung geht. Überhaupt sollten wir immer erst schicken, was wir wollen und mussten auf Freigabe warten", sagt er.

Sabrina wollte gerne von ihrem Vater zum Altar geführt werden. "Da wurde uns erklärt, dass das altmodisch sei, wenn die Braut von einem Mann zu einem anderen übergeben werde – als ob die Frau keinen Willen hätte und ein Objekt sei", sagt Sabrina und fügt hinzu: "So hatten wir das nicht gesehen, wir fanden einfach, dass es eine schöne Tradition wäre."

Insgesamt fand ich alles sehr unflexibel und unmodern."

"Dabei hatte ich gedacht, dass die evangelische Kirche moderner als die katholische wäre", sagt Christian. Auch Sabrina war enttäuscht. "Da wurde so viel reglementiert. Wir mussten diskutieren und uns wirklich hart erkämpfen, wie wir die Trauung gerne hätten. Und unsere Pfarrerin war noch jung, vielleicht Anfang vierzig. Ich hätte gedacht, dass sie modernere Vorstellungen hat."

Der größte Tag – ohne Kuss

Dann kam der große Tag – aber er verlief nicht so wie erhofft. "Wir hatten keinen Hochzeitskuss, das ist wirklich schade. Ich weiß nicht, ob es die Pfarrerin vergessen hat oder ob es nicht in ihrem Plan war", sagt Sabrina. Alle Gäste hätten nach der Trauung gefragt: Was war los, warum habt ihr euch nicht geküsst? "Wir hatten vor der Trauung viel über uns als Paar erzählt, das kam nicht in der Predigt vor und auch eine Liedzeile, die wir uns explizit gewünscht hatten, hat die Pfarrerin einfach weggelassen", erzählt Sabrina.

Tränen und Panikattacken

Wie kann es zu solchen Missverständnissen kommen? "Junge Paare haben bestimmte Vorstellung von einer kirchlichen Hochzeit. Das weiße Kleid oder das Begleiten vom Vater – das sind Bräuche, die sie aus amerikanischen Serien und Filmen kennen, die heute aber eigentlich Quatsch sind", sagt Lisa Tsang, Pastorin in der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Jacobi in Hamburg. Für die 56-Jährige Pastorin ist das ein "Rückfall in Uralt-Zeiten" und "ein Widerspruch zur heutigen Zeit". Schließlich leben viele Paare mehrere Jahre zusammen, wenn sie heiraten. Nicht wie früher, als die Bräute bis zur Hochzeit im Elternhaus lebten. "Oft denken die Paare noch mal darüber nach und überlegen es sich dann doch anders", sagt sie.

Meist wünsche sich die zukünftige Braut die kirchliche Hochzeit, weil sie es romantischer und feierlicher findet – und der Partner ziehe mit. Tsang versucht trotzdem auch den Mann in die Planung miteinzubeziehen, denn für sie seien beide gleich würdig in einer Kirche zu heiraten.

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Insgesamt herrsche ein schlimmer Perfektionsdrang, sagt sie. Gerade junge Bräute hätten eine ganz bestimmte Vorstellung von ihrem großen Tag. "Es muss die Traumhochzeit schlechthin sein, viele planen diesen Tag tatsächlich schon seit sie klein sind", erzählt die Pastorin.

Tränen und Panikattacken, das alles habe ich schon bei jungen Bräuten erlebt."

Schon bei der Planung stünden die Bräute unter Druck, das merke die Pastorin in den ersten Gesprächen. Jedes Detail müsse stimmen, am Tag selbst dürfe nichts schiefgehen, alles müsse klappen wie geplant. Manchmal fragt sich die Pastorin, ob die Bräute den Tag überhaupt noch genießen können. "Oft wird das Ganze noch von den Muttis gehypt. Einmal hat sich eine Mutter laufend so stark eingemischt, dass ich ihr sagen musste: So läuft das bei mir im Gottesdienst nicht", sagt die Pastorin.

Fotografie-Arie stört

"Was mich schon sehr stört, was ich dann auch sage, ist die Fotografie-Arie während der Trauung", sagt Lisa Tsang. "Es ist schließlich immer noch ein Gottesdienst und keine Show für Brautpaar und Hochzeitsgäste." Diskret Fotos zu machen sei in Ordnung. "Aber wenn mir jemand im Altarraum in die Quere kommt, geht das zu weit", betont die Pastorin. Die Trauung sei ein Moment, bei dem das Brautpaar ganz bei sich sein solle, wünscht sie sich.

"Meist bitte ich in der Begrüßungsrede darum, dass die Hochzeitsgäste ihre Handys ausschalten und lade sie dazu ein, mitzusingen und mitzubeten", sagt Pater Alfons Friedrich, der seit 13 Jahren Paare in der katholischen Gemeinde München-Haidhausen traut. In seiner Gemeinde Haidhausen in München leben vor allem junge Paare, die zugezogen sind.

"Die kirchlichen Hochzeiten junger Paare sind heute viel individueller als früher. Der Tag soll etwas Besonderes sein und das Brautpaar steht im Mittelpunkt", sagt der 59-Jährige. In den Gesprächen mit dem Paar gehe es darum herauszufinden, was das Paar ausmacht und was sie sich in der Trauung vor Gott versprechen möchten. Bei einigen Wünschen versuche er, das Paar von Kompromisse zu überzeugen.

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Andreas Bourani und Schlager unerwünscht

Auch so mancher Musikwunsch überrasche die Pastorin. "Ein Hoch auf uns von Andreas Bourani mag ich nicht so gern in der Kirche hören. Da muss ich sehr diplomatisch sein", sagt sie. Die Pastorin versucht, die Wünsche der Paare zu ermöglichen, auch wenn sie teilweise ihrer Vorstellung von einer kirchlichen Hochzeit widersprechen. Auch Pater Alfons Friedrich musste Ein Hoch auf uns schon ablehnen. "Die Kirche ist ein sakraler Raum, auch Schlager gehören da für mich nicht hin."

Gemeinsam mit den Kirchenmusiker*innen und dem Paar würden Details geklärt und Kompromisse gefunden. "Bis zur Trauung führe ich viele Gespräche. Das ist aufwändig, aber auch ein bewusster Prozess." Einmal hat er eine Trauung ganz abgelehnt. "Da hat das Paar auch nach intensiven Gesprächen nicht den Zugang zur Kirche gefunden. Da hab ich dann schon gesagt: Nur weil die Omas alles bezahlen, machen wir das nicht", erzählt er. Er sei schließlich kein Entertainer.

"Ich freue mich aber immer, wenn kirchenfremde Menschen dabei sind – schließlich ist das ein Riesenchance, sie mit der Kirche in Verbindung zu bringen", findet er. Manchmal kämen nach der Trauung Hochzeitsgäste zu ihm, die sagen, dass sie nicht gedacht hätten, dass Kirche so schön sein könnte. "Das ist etwas unheimlich Schönes", sagt der 59-Jährige.

Der Glaube bleibt

Nach ihrer kirchlichen Trauung sind Sabrina und Christian enttäuscht zurückgeblieben. "Ich muss ehrlich sagen, dass ich eher von der Kirche weggekommen bin. Letztes Weihnachten war das erste Mal – seit ich denken kann – an dem ich nicht in die Kirche gegangen bin", sagt Sabrina. Ihr Glaube sei noch da, aber sie sei schockiert gewesen, wie starr und unflexibel der Prozess bis zur Trauung ablief.

Christian stimmt ihr zu: "Unsere Trauung war nicht sehr persönlich und der Kuss hat wirklich gefehlt, schließlich ist der etwas Elementares." Wenn er alles noch mal erleben würde, würde er darauf achten, die Person vorher live gesehen zu haben, "sich mal in Gottesdienste reinsetzen, um zu merken, wie die Person ist". Schließlich sei eine Trauung etwas Persönliches und man sollte sich mit der Person, die einen traut, gut verstehen.

Trotz ihrer Erfahrung will Sabrina ihren Glauben an ihre Kinder weitergeben, wenn sie einmal welche hat. "Oh, das wird dann wohl eine noch größere Diskussion als die Hochzeit", sagt Christian lachend. Sabrina lacht auch: "Da reden wir noch mal drüber, aber ich bin sicher, dass wir auch bei diesem Konflikt eine Lösung finden werden."