Ein historischer Tag, so nannte der damalige französische Präsident François Hollande den 12. Dezember 2015. Paris hätte ja schon die eine oder andere Revolution erlebt, doch diese sei die friedlichste und auch die schönste: die Klimawandel-Revolution. 195 Staaten einigten sich auf das Klimaabkommen von Paris.

Fünf Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Mit den USA ist einer der größten CO2-Emittent*innen aus dem Vertrag ausgestiegen, Brasilien möchte denselben Weg gehen. Doch auch viele der restlichen Vertragspartner*innen bleiben hinter ihren angestrebten Klimazielen zurück. Was ist also geblieben vom Pariser Abkommen? Darüber sprechen wir mit der Klimagerechtigkeitsaktivistin Carla Reemtsma von Fridays for Future.

ze.tt: Carla, heute vor fünf Jahren wurde das Pariser Klimaabkommen beschlossen. Du hattest damals gerade das Abitur hinter dir. Wie hast du den 12. Dezember 2015 in Erinnerung?

Carla Reemtsma: Ich habe das natürlich mitbekommen, aber nicht in der Form, wie es heute wäre. Die gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Klima war 2015 eine ganz andere. Aber Paris war kein politisches Ereignis, das mich zur Klimagerechtigkeitsbewegung gebracht hat. Dafür waren persönliche Erfahrungen, wie mein erster Besuch beim

Tagebau Hambach, viel prägender.

Für Teile der Weltöffentlichkeit war das Pariser Abkommen jedoch ein Weckruf-Moment. Und es war ein Sieg der Diplomatie. War es auch ein Erfolg für den Klimaschutz?

Nein, die Lage ist nämlich nicht besser geworden, wir sind weiter weg von Paris als je zuvor. Die Emissionen sind seit 2015 nicht gesunken, wir haben einfach weiter CO2 ausgestoßen. Doch es gibt ein CO2-Budget, eine fixe Menge an Emissionen, die wir noch ausstoßen dürfen, um die Erderhitzung auf unter 1,5 Grad zu beschränken. Dieses Ziel wurde schließlich in Paris festgeschrieben. Und wenn wir so weitermachen wie bisher, haben wir das CO2-Budget in sieben Jahren aufgebraucht.

Das Pariser Klimaabkommen einen Konstruktionsfehler hat – es gibt keinen Sanktionsmechanismus.
Carla Reemtsma

Die Lage ist also, wie deine schwedische Mitstreiterin Greta Thunberg jüngst sagte, nicht besser, sondern dramatischer geworden.

Definitiv. Die Zeit, die wir jetzt noch haben, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, ist geringer geworden. Um von dem Pfad, auf dem wir uns gerade befinden, runterzukommen, benötigt es große Kraftanstrengungen. Hätten wir 2015 angefangen oder sogar schon früher, hätte man mit vergleichsweise geringen Einsparungen dieselben Ergebnisse erzielen können.

Warum ist in den vergangenen fünf Jahren so wenig passiert?

Weil die Politiker*innen, die das Abkommen unterschrieben haben, keine Maßnahmen unternehmen, um es nicht einhalten. Das Pariser Abkommen funktioniert so, dass sich jedes Land eigene Ziele gibt und diese nach und nach verschärft. Die Länder sollten sich gegenseitig zur Einhaltung zwingen. Tatsächlich beobachten wir aber, dass die Staaten sich Ziele setzen, die nicht ausreichend sind, dass sie ihre Ziele nicht verschärfen und zum Teil einfach überhaupt nicht einhalten.

Wer trägt dafür die Verantwortung?

Vor allem die Länder des globalen Nordens und die Politiker*innen dort. Sie sind hauptverantwortlich für die historischen und die aktuellen Emissionen. Gleichzeitig leidet der Norden am wenigsten unter den Folgen der Klimakrise. Vielmehr treffen diese die Staaten des globalen Südens, Inselstaaten wie die Philippinen, die Subsahara-Staaten oder Länder in Südostasien. Das bisherige Versagen der Politik des Westens führt dazu, dass es jetzt an der Bevölkerung ist, sich für eine klimagerechte Welt einzusetzen. Wir müssen den Druck auf Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in Unternehmen aufrechterhalten. In den nächsten fünf Jahren entscheidet sich, ob wir das 1,5-Grad-Ziel noch einhalten können oder nicht.

Deutschland gibt sich gerne als Klimaschutzvorreiter, ist das aber nicht.
Carla Reemtsma

Wie nimmt man diese Politiker in die Pflicht?

Das Problem ist, dass das Pariser Klimaabkommen einen Konstruktionsfehler hat – es gibt keinen Sanktionsmechanismus. Eine Gruppe betroffener Staaten kann also nicht klagen, wenn andere ihre Ziele nicht einhalten. Und würde es einen Sanktionsmechanismus geben, würden sich die Staaten einfach niedrigere Ziele setzen oder das Abkommen nicht mal unterschreiben.

Mit den USA unter Donald Trump hat einer der größten CO2-Emittenten das Pariser Abkommen zum November 2020 verlassen. Der neu gewählte Präsident Joe Biden hat angekündigt, wieder eintreten zu wollen. Was erwartest du von Biden in Sachen Klimaschutz?

Die Wahl Joe Bidens kann dem Pariser Abkommen eine neue Dynamik geben. Sein Klimaschutzplan ist ambitionierter als der von Barack Obama, der das Pariser Abkommen mit vorangetrieben und unterzeichnet hat. So soll die amerikanische Stromversorgung bis 2035 emissionsfrei sein. Dass die USA erst 2050 klimaneutral sein sollen, ist zu trotzdem zu spät. Grundsätzlich hat Biden erkannt, dass Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Oftmals sind Menschen mit geringem Einkommen am meisten von Klima- und Umweltschäden betroffen, weil sie zum Beispiel am wenigsten von umweltschädlichen Subventionen profitieren.

Was hat Deutschland seit 2015 für den Klimaschutz getan?

Deutschland gibt sich gerne als Klimaschutzvorreiter, ist das aber nicht. Ohne die Reisebeschränkungen in der Corona-Pandemie hätte Deutschland sein Klimaziel für 2020 nicht erreicht. Der Kohleausstieg 2038 ist viel zu spät, damit kann Deutschland keinen gerechten Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels leisten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde massiv verschleppt. Und das sogenannte Klimaschutzpaket von 2019 hat einen wirkungslosen CO2-Preis von 25 Euro festgeschrieben, von dem Ökonomen sagen, dass er keinen lenkenden Effekt haben wird. Insgesamt ist die Bilanz für Deutschland katastrophal.

Ein Kritikpunkt, der oft gegen Klimaaktivisten angebracht wird, ist, dass kein Vorschlag der Politik je gut genug ist. Was müsste denn tatsächlich passieren, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten?

Vorneweg: Wir meckern nicht des Meckerns wegen. Wir wären alle froh, wenn wir das nicht tun müssten, sondern studieren, arbeiten oder zur Schule gehen könnten. Aber es wird eben nicht getan, was wissenschaftlich gefordert wird. Der Energiesektor ist immer noch der größte CO2-Emittent. Das heißt, der Kohleausstieg muss vorgezogen werden auf spätestens 2030, besser noch früher. Das ist technisch möglich, das sagt auch die Bundesnetzagentur. Wir bräuchten einen viel schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, weil Gas keine Brückentechnologie werden darf. Und natürlich ein CO2-Preis, der die tatsächlichen Kosten der Emissionen abbildet – also nicht 25 Euro, sondern 180 Euro pro Tonne CO2. Denn CO2 kostet die zukünftigen Generationen – und schon jetzt die Menschen im globalen Süden – sehr, sehr viel Geld durch die Schäden, die angerichtet werden.

Der globale Norden muss die Verantwortung dafür tragen, dass er sein eigenes Emissionsbudget längst aufgebraucht hat.
Carla Reemtsma

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat mal gesagt, Klimaschutz könne nur funktionieren, wenn der Wohlstand dadurch nicht gefährdet sei.

Auf einem zerstörten Planeten gibt es gar kein Wachstum und keine Wirtschaft. Wir spüren jetzt schon die Hitzesommer mit Dürren in Europa, wir sehen die Waldbrände in Kalifornien. Die Debatte "Klimaschutz gegen Wirtschaft" oder "Klimaschutz gegen Arbeitsplätze" ist eine toxische Erzählung. Als wäre die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Ja, mit dem Klimaschutz wird sich vieles ändern. Genau wie die Digitalisierung auch vieles verändert hat. Es muss darum gehen, wie man im Rahmen, den uns Klima- und Ökosysteme setzen, Menschen eine Perspektive bieten kann. Und nicht darum, wie ein Kompromiss zwischen Wachstum und Natur geschlossen werden kann. Den wird es niemals geben.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es oft das Argument: Wir haben für Klimaschutzmaßnahmen nicht genug Geld. Im vergangenen Jahr haben wir gemerkt, wie schnell im Notfall doch Geld da sein kann. Ist das als Klimaaktivistin frustrierend zu beobachten?

Es ist nicht frustrierend zu sehen, dass für andere Dinge Geld da ist. Die Corona-Krise gegen die Klimakrise auszuspielen, wäre falsch. Gerade werden die Existenzen von Menschen zerstört, viele gehen pleite. Es ist richtig, Geld in die Hand zu nehmen und das abzufedern. Man kann aber darüber diskutieren, wie das Geld verteilt wird und ob die Lufthansa wirklich bedingungslos gerettet werden sollte. Was hingegen frustrierend ist, ist dass bei den Konjunkturpaketen zukünftige Generationen vergessen werden. Es heißt zwar Zukunftspaket, doch in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Klima werden Investitionen massiv gestrichen. Wenn wir Geld in die Hand nehmen, dann doch nicht für Technologie, die wir in zehn Jahren nicht mehr brauchen, sondern für Wissenschaft und Forschung. Mich frustriert nicht, dass Geld ausgegeben wird. Sondern wie.

Wir blicken jetzt auf fünf Jahre Pariser Abkommen zurück. Was sollte in den kommenden fünf Jahren aus deiner Sicht passieren?

Wenn die fossilen Energieträger in fünf Jahren ihren ungebrochenen Machtstatus verloren haben und wir unabhängig von den dahinterstehenden Unternehmen geworden sind, dann bewegen wir uns in die richtige Richtung. Und wir müssen klar sagen, wie eine Gesellschaft und eine Wirtschaft aussehen soll, wollen, die unabhängig ist von diesen Energieträgern und den großen Konzernen. Nämlich mehr auf den Menschen ausgerichtet. Maßnahmen wie eine CO2-Steuer müssen sozial gerecht sein und dürfen nicht die Ärmeren härter treffen als die Reichen. Das gilt für die Maßnahmen in den einzelnen Ländern, aber auch auf zwischen den Staaten. Der globale Norden muss, in Form von finanziellem Ausgleich gegenüber dem Süden, die Verantwortung dafür tragen, dass er sein eigenes Emissionsbudget längst aufgebraucht hat.