Ich war Anfang Zwanzig und hatte noch wenig journalistische Erfahrung, da hörte ich, dass eine Freundin von mir ein Praktikum bei einer renommierten Tageszeitung bekommen hatte. Mein Puls raste: "Warum sie und nicht ich?", fragte ich mich. Dabei hatte ich mich selbst gar nicht auf das Praktikum beworben. Ich hätte mich für sie freuen können. Oder sie nach Tipps für die Bewerbung fragen.

Stattdessen fühlte ich mich bedroht. Als sie dann auch noch in mein Zimmer einziehen wollte, während ich im Ausland war und meine Mitbewohner ganz begeistert von der Idee waren, verlor ich völlig die Fassung. Ich hatte das Gefühl, sie könnte mich einfach ersetzen. Ich könnte mich in Luft auflösen und es würde keinen Unterschied machen, schließlich gab es ja sie, eine erfolgreichere, perfektere Version meiner Selbst.

Frauen lernen schon als Mädchen, Männern gefallen zu müssen

Okay, mein Selbstbewusstsein hätte damals in ein Shotglas gepasst. Doch noch immer erfasst mich manchmal Panik statt Freude, wenn ich von dem tollen neuen Job einer Bekannten höre. Auch ertappe ich mich selbst bei kritischen Blicken auf die schönen runden Wangen irgendeiner Frau in der U-Bahn und frage mich dann: "Warum sieht das bei dir nicht so gut aus?"

Dabei erfüllen wir perfekt das sexistische Klischee der weiblichen Stutenbissigkeit. Das ständige Gefühl, mit anderen Frauen in Konkurrenz zu stehen. Sei es um den trainierteren Po oder den besseren Job. Das belegen sogar Studien: Eine repräsentative Umfrage der German Consulting Group unter weiblichen Führungskräften ergab, dass 75 Prozent von ihnen vor allem von Kolleginnen derselben Hierarchiestufe auf dem Weg zum Erfolg behindert wurden. Doch woher kommt das ständige Vergleichen, das eisige Abwerten der Anderen, die Angst, ausgestochen zu werden?

"Frauen finden es einfacher, sich gegenseitig zu bekämpfen", erklärt die feministische Schriftstellerin bell hooks in ihrem Buch Communion. "Wut gegenüber Männern auszudrücken, fühlt sich bedrohlicher an, ihre Macht zur Vergeltung gefährlicher." In Krisensituationen würden Frauen einander zur Seite stehen, sich aber gegenseitig Erfolg zu gönnen, sei oft viel schwieriger.

Es geht seit der Kindheit darum, wer die Schönste im ganzen Land ist

Hooks sieht die Wurzel des Problems im Patriarchat. Junge Frauen würden früh lernen, dass Weiblichkeit in unserer Gesellschaft weniger wert sei und dass sie miteinander um Liebe und Anerkennung konkurrieren müssten. Vor allem um die Anerkennung von Männern.

Die feministische Psychologie, so Noam Shpancer in Psychology Today, kommt zu ähnlichen Schlüssen: In einer Gesellschaft, in der vor allem Männer über die Verteilung von Macht und Anerkennung entscheiden, seien Frauen dazu verleitet, miteinander um diese männliche Anerkennung zu kämpfen. Dabei verinnerlichten Frauen außerdem den male gaze, also einen männlichen Blick, der sie vor allem als Sexobjekte wahrnehme, und versuchten, ihm zu entsprechen. Studien zufolge definierten Frauen ihren Selbstwert auch wesentlich mehr über die Meinung ihres Umfeldes als Männer.

Wer als kleines Mädchen Grimms Märchen gelesen oder Disney-Filme gesehen hat, hat schon früh gelernt, dass es nicht reicht, einfach schön zu sein – ganz zu schweigen von klug, mutig oder kreativ. Nein, es geht darum, wer die sogenannte Schönste im ganzen Land ist. Die ist es, die am Ende den Prinzen abbekommt. Und oft schmiedet die Stiefmutter aus Eifersucht auf diese Schönheit brutale Pläne.

Diese Konkurrenz zwischen (Stief-)Müttern und Töchtern, so bell hooks, hat eine reale Komponente. Vor allem Frauen, die ihre eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten zugunsten ihres Ehemannes oder der Familie lange zurückgestellt hätten, würden der eigenen Tochter deren Fähigkeiten oft nicht zugestehen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Jugend und Schönheit für die Anerkennung einer Frau oft entscheidender sind als alles andere.

Frauen, die über wichtiges Wissen verfügen, galten schon im Mittelalter als gefährlich

Das Konkurrenzgefühl, das wir so in die Wiege gelegt bekommen, hat historische Wurzeln. Während der Hexenverfolgung in Europa, so die Theoretikerin Silvia Federici, hielten Staat und Kirche die Menschen dazu an, Frauen als Hexen zu denunzieren. Dabei wurden vor allem jene Frauen verdächtigt, die allein lebten – also unabhänging waren – oder die über wichtiges Wissen verfügten, zum Beispiel als Heilerinnen oder Hebammen. So sollte ein Klima gegenseitigen Misstrauens entstehen.

Dahinter standen vor allem ökonomische Interessen: Ländereien, die zuvor öffentlich waren, wurden in dieser Zeit zunehmend privatisiert. Da es meist Frauen waren, die auf diesen Ländereien Brennholz oder Streuobst für ihren Lebensunterhalt gesammelt hatten, führten auch Frauen vielerorts Aufstände gegen die Privatisierung. Dieser Widerstand sollte gebrochen werden.

Wir verwenden mehr Energie darauf, Männern zu gefallen, als uns mit anderen Frauen zu solidarisieren.

Das Wort Gossip, das heute im Englischen für Lästerei steht, war damals einfach nur ein neutrales Wort für Freundin. Erst im Zuge der Hexenverfolgung wurde es negativ besetzt: Frauen, die sich miteinander verbündeten, machten sich verdächtig und landeten in großer Zahl auf dem Scheiterhaufen.

Das System der Angst, das so geschaffen wurde, wirkt bis heute nach: Wir verwenden mehr Energie darauf, Männern zu gefallen, als uns mit anderen Frauen zu solidarisieren. Wenn wir uns gegenseitig bekämpfen, gewinnt allerdings niemand, außer: das Patriarchat. Männliche Privilegien bleiben dabei oft unsichtbar und unhinterfragt.

Frauen, gönnt euch den Erfolg!

Studien zeigen immer wieder, wie wichtig Netzwerke für die Karriere sind und dass Frauen es schwer haben, in einflussreiche Männernetzwerke aufgenommen zu werden. Männer in Führungspositionen förderten zudem gerne Menschen, die ihnen ähnlich seien, also meist andere Männer. Auch wenn diese Mechanismen sicher oft unbewusst greifen, liegt es in der Verantwortung einflussreicher Männer, aktiv Frauen in ihre Netzwerke einzubinden. Und es liegt in unserer Verantwortung als Frauen, uns ebenfalls gegenseitig zu fördern, anstatt einander Steine in den Weg zu legen.

Dafür müssen wir lernen, unseren Freundinnen und Kolleginnen ihren Erfolg zu gönnen, ihre Fähigkeiten anzuerkennen, ihre Schönheit wertzuschätzen. Laut bell hooks klappt das am besten, wenn wir aktiv Selbstliebe praktizieren. Denn wenn wir uns unserer eigenen Kraft bewusst sind, brauchen wir uns von den Anderen nicht bedroht zu fühlen. Oft geht das Eine mit dem Anderen einher: Seit ich mich aktiv nach Frauen umschaue, deren runde Wangen ich schön finde, freunde ich mich mit meinen eigenen auch immer mehr an.

Wenn wir uns unserer eigenen Kraft bewusst sind, brauchen wir uns von den Anderen nicht bedroht zu fühlen.

Mit der Freundin, die damals das Praktikum bekommen hatte, habe ich gemeinsam ein Journalistinnen-Kollektiv gegründet. Zusammen mit anderen jungen Frauen teilen wir unser Wissen, geben uns Kontakte und Jobangebote weiter und stärken uns gegenseitig den Rücken. Manchmal fühle ich mich trotzdem noch eingeschüchtert vom Erfolg der Anderen. Aber ich weiß auch: Wir unterstützen uns, anstatt uns gegenseitig auszubooten.