Eigentlich kann Leonie Wimmer* ihre Ärztin gut leiden, aber jetzt würde sie die junge Frau am liebsten anschreien. "Bitte keine schlechten Nachrichten mehr", denkt sie. Erst vor einer Woche hat die 30-Jährige erfahren, dass sie Krebs hat. Seitdem quälen sie viele Gedanken an Haarausfall, Übelkeit und die lange Auszeit vom Job. Und jetzt auch noch das. "Es kann sein, dass Sie nach der Chemotherapie keine Kinder mehr bekommen können", sagt die Ärztin.

Es kann sein, dass Sie nach der Chemotherapie keine Kinder mehr bekommen können“, sagt die Ärztin.

Diesen Satz bekommen jährlich Tausende junger Erwachsener in Deutschland zu hören. 15.000 Menschen zwischen 18 und 39 Jahren erkranken pro Jahr neu an Krebs. Die gute Nachricht: 80 Prozent können inzwischen geheilt werden. Doch die Chemotherapie hat heftige Nebenwirkungen – eine davon ist Unfruchtbarkeit.

Konservieren der Eizellen Krebskranker

Um später trotzdem eine Chance auf eigene Kinder zu haben, können sich Betroffene vor der Krebsbehandlung Spermien, Eizellen oder Keimzellgewebe entnehmen und einfrieren lassen. Bei Männern geht das schnell. Eizellen zu gewinnen ist dagegen schwieriger. Es kostet mehr Zeit und Geld. Laut der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs müssen Frauen dafür bis zu 4.300 Euro aus der eigenen Tasche bezahlen. Denn die Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel nicht.

Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht

Leonie Wimmer weint viel in den kommenden Tagen. Die 30-Jährige ist single. Bisher musste sie nicht über Familienplanung nachdenken. Und ausgerechnet jetzt soll sie entscheiden, ob sie später einmal Mutter werden will. Viel Zeit bleibt ihr dazu nicht. Ihr Lymphdrüsenkrebs wurde zwar früh entdeckt und die Heilungschancen stehen gut, aber ihre Ärztin will schnell mit der Chemotherapie beginnen. Der Krebs könnte sich sonst im Körper ausbreiten.

Auch die finanzielle Belastung macht Leonie zu schaffen. Die 30-Jährige arbeitet seit zwei Jahren bei einem Verlag. Erst vor Kurzem hat sie ihre BAföG-Schulden abbezahlt. Ersparnisse hat sie keine. "Ich wusste nicht, wie ich die Behandlung bezahlen soll", erinnert sie sich.

Das Leben nach dem Krebs planen

"Gerade für junge Menschen in Ausbildung oder für Berufsanfänger sind die hohen Kosten ein Schock", sagt Maren Goeckenjan, Oberärztin an der Frauenklinik der Universität Dresden. Gemeinsam mit anderen Ärzt*innen leitet sie das Netzwerk FertiPROTEKT, an das sich betroffene Frauen wenden können. Denn längst nicht an allen Kliniken werden junge Patientinnen gut beraten. "Bei der Behandlung von Krebs ging es lange Zeit vor allem darum, Leben zu retten", sagt Goeckenjan. Aber in den vergangenen Jahren habe die Medizin Fortschritte gemacht. Krebs sei besser heilbar geworden. "Die Patientinnen haben eine Zukunft, die müssen wir stärker in den Blick nehmen."

Langsam scheint es ein Umdenken zu geben, beobachtet Maren Goeckenjan – auch bei den Krankenkassen. In Sachsen übernimmt die AOK seit Kurzem die Behandlungskosten – allerdings nur bei Hoden- und Gebärmutterhalskrebs. Das helfe längst nicht allen. Am wirkungsvollsten wäre eine Gesetzesänderung. Dafür hat sich jetzt auch Gesundheitsminister Jens Spahn ausgesprochen. Er will, dass die Krankenkassen in solchen Fällen zukünftig die Kosten für das Konservieren von Keimzellgewebe, Ei- und Samenzellen übernehmen.

Für Leonie kommen diese Initiativen zu spät. Sie leiht sich das Geld für die Behandlung von ihrer Mutter. Anstatt von Eizellen wird bei ihr ein Stück Eierstock entnommen – eine relativ neue Methode. Wenn sie vom Krebs geheilt wird, kann das Gewebe später wieder zurückgepflanzt werden. Bis dahin kann Leonie überlegen, ob sie Kinder will oder nicht. "Ich bin froh, dass mir der Krebs diese Entscheidung nicht abgenommen hat", sagt sie.

* Eigentlich heißt Leonie Wimmer anders. Sie möchte ihre Geschichte aber lieber anonym erzählen.