Mehrere Leserinnen haben uns berichtet, dass sie nach vielen Konflikten den Kontakt zu ihren Schwestern abgebrochen haben. Eine Geschwister-Expertin erklärt, wie es zu der Funkstille kommt.
Kontaktabbruch unter Schwestern: „Wie ich mein Leben lebe, akzeptiert sie nicht“
„Im Dezember 2019 habe ich den Kontakt zu meiner Schwester abgebrochen“, hat uns vor Kurzem eine Leserin geschrieben. Die Lebensvorstellungen der beiden Frauen seien zu unterschiedlich. Vor allem, wenn es um Paarbeziehungen gehe, würden sie immer wieder streiten. Dass sich unsere Leserin, 48, nach zwei Ehen keine weitere feste Bindung wünscht, könne ihre fünf Jahre ältere Schwester nicht nachvollziehen. Als ihre Schwester sie wegen einer Affäre sogar beschimpfte, brach die Leserin den Kontakt ab.
Die Frauen wohnen in einem kleinen Ort, ihre Bekanntenkreise überschneiden sich. Bei Geburtstagen und Familienfeiern würden sie einen vordergründig freundlichen Umgang miteinander finden. Abseits von diesen Begegnungen wolle unsere Leserin allerdings so wenig wie möglich mit ihrer Schwester zu tun haben. „Wie ich mein Leben lebe, akzeptiert sie nicht“, erklärt sie in ihrer Nachricht. „Mir wird ständig eine Schablone aufgedrückt und es gibt immer wieder harte Kritik und/oder Eingriffe seitens meiner Schwester.“
Diese Nachricht erreichte uns nach der Veröffentlichung eines Interviews mit einer Expertin zum Thema Kontaktabbruch. In dem Gespräch ging es um die Frage, warum Menschen sich dazu entscheiden, zu einzelnen Verwandten oder ihrer ganzen Herkunftsfamilie sämtliche Verbindungen zu kappen. „Das ist ein Prozess, der sich über Jahre vollzieht und dem ein großer Stress vorausgeht“, sagte Claudia Haarmann, psychotherapeutische Heilpraktikerin und Autorin des Buches Kontaktabbruch in der Familie. „Für beide Seiten ist das ein psychisch und emotional ganz schwieriger Schritt.“
Es gibt keine Statistiken darüber, wie häufig ein Kontaktabbruch vorkommt. Claudia Haarmann hat in ihrer Praxis jedoch häufig mit solchen Fällen zu tun. „Meiner Erfahrung nach sind es meist erwachsene Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen“, erzählte Haarmann im Interview. „Menschen in ihren Dreißigern bis Vierzigern, die sagen: Ich finde keinen Konsens mit meinen Eltern, sie verstehen mich einfach nicht.“
Kontaktabbrüche finden aber auch in anderen Beziehungskonstellationen statt. Unseren Leser*innenbriefen ist zu entnehmen, dass neben Eltern-Kind- auch Geschwisterbeziehungen anfällig für intensive Streits sowie vollständige Funkstille sind. Vor allem meldeten sich Leserinnen, die sich mit ihren meist älteren Schwestern zerstritten haben.
Bei manchen dieser Schwesternpaare dauert die Funkstille bereits mehrere Jahre an. Eine erneute Kontaktaufnahme scheint unmöglich zu sein. Eine 60 Jahre alte Leserin berichtet, dass sie und ihre Schwester, 67, bereits seit sechs Jahren keinen Kontakt mehr zueinander haben. Zum Bruch sei es gekommen, nachdem die Eltern gestorben waren. Unsere Leserin befürchtet, für eine Versöhnung bleibe nicht mehr viel Zeit. Trotzdem kann sie nicht die Kraft dazu aufbringen, sich bei ihrer Schwester zu melden.
„Ich bin mir sicher, dass es keine zehn Minuten dauern würde“, schreibt sie, „und der Grund für den Bruch wäre wieder so präsent, wie er schon immer war.“ Unsere Leserin fürchtet sich davor, bei einem Treffen von ihrer Schwester heruntergemacht zu werden. Sie wolle sich nicht mehr wie eine „komplette Versagerin“ fühlen. Es sei „eine traurige, schwierige Situation, für die ich leider keine Lösung finde“.
Vorbild oder Abschreckung: Vor allem Geschwister des gleichen Geschlechts bekommen sich in die Haare
Die Erfahrungen unserer Leserinnen haben eine Gemeinsamkeit: Die Frauen haben den Kontakt abgebrochen, weil sie sich von ihren Schwestern nicht akzeptiert fühlen. Unterschiedliche Lebensstile waren ein Konfliktherd für die Beziehung. Woran liegt das? „Geschwister, vorzugsweise desselben Geschlechts, dienen bei der Identitätsfindung“, erklärt Dr. Christine Kaniak-Urban, Psychotherapeutin und Autorin des Buchs Wenn Geschwister streiten. Um die eigene Rolle zu definieren, würde meist die jüngere Schwester die ältere entweder als Vorbild nutzen oder sich im Gegenteil von ihr abgrenzen. „Die zweite Version ist die eher häufigere, so dass sich im Erwachsenenalter verschiedene Lebensstile zu einem Konfliktherd entwickeln können und die Wertschätzung in Not gerät.“
Die Konflikte würden häufig eher bei Schwestern- und Brüderpaaren entstehen. Unter Brüdern komme es eher zu Machtkämpfen: „Wer ist der Mächtigere, der Bessere, der Erfolgreichere?“, so Kaniak-Urban. „Bei Schwestern ist es die Beziehungskomponente, die regiert. Wer ist die Attraktivere, wer hat die meisten sozialen Kontakte, wer ist die Beliebteste?“ Geschwister unterschiedlichen Geschlechts würden sich hingegen weniger aneinander messen und sich deshalb eher vertragen.
Nun arten Streitigkeiten unter Geschwistern nicht immer bis zum Kontaktabbruch aus. Es gibt Geschwister, die sich kabbeln und zanken und sich bei der nächsten Begegnung trotzdem wieder in den Armen liegen. Ob eine Auseinandersetzung bis zum Kontaktabbruch eskaliert, hängt laut Kaniak-Urban auch von der Erziehung ab. Wenn die Eltern einen guten Umgang in Konfliktsituation vorgelebt und die Kinder gleichberechtigt behandelt hätten, würden Streits glimpflicher ausgehen. Wenn die Eltern allerdings Fronten aufgezogen hätten, tendierten Geschwister auch im Erwachsenenalter zu größeren Streits.
Kaniak-Urban erklärt das am Beispiel vom Umgang mit Schulnoten. „Werden die am Familientisch diskutiert mit der Folge, dass das in der Schule weniger erfolgreiche Kind immer den Kürzeren zieht, oder gibt es die eiserne Regel, dass Schulnoten kein Thema für die Familienrunde sind? Oder: Muss das ältere Geschwister immer nachgeben und das jüngere beschützen; greifen die Eltern sofort und immer zugunsten eines ihrer Kinder ein?“ Der Einfluss der Eltern auf das Miteinander der Geschwister sei groß.
Wie löst man einen Geschwisterkonflikt?
Dass die Auseinandersetzungen so emotional belastend sein können, liege an der Bedeutung der Beziehung. „Geschwister sind die längste Beziehung, die wir im Leben kennen“, sagt Kaniak-Urban. „Partner und Partnerinnen kann man verlassen und ersetzen, Geschwister bleiben Geschwister.“
Nicht das ‚Du verstehst mich nicht!‘, sondern das ‚Ganz schön schwierig für dich!‘ schlägt eine Beziehungsbrücke.
Dr. Christine Kaniak-Urban
Diese tiefe Verbundenheit kann eine Grundlage für die Konfliktlösung bieten. Wenn beide Geschwister über ihre familiären Erfahrungen sprechen, lässt sich so womöglich eine neue Basis für eine Beziehung aufbauen. „Wichtig ist das Verständnis für die Rolle jedes einzelnen Geschwisters im Familiensystem“, sagt Kaniak-Urban. Die Geschwister müssten verstehen, dass beide in der Familie unterschiedliche Rollen eingenommen haben, sich unterschiedlichen Herausforderungen stellen mussten und jeweils andere Verletzungen erfahren haben. „Nicht das ‚Du verstehst mich nicht!‘, sondern das ‚Ganz schön schwierig für dich!‘ schlägt eine Beziehungsbrücke.“
Ein Anfang zur Versöhnung kann es sein, sich zunächst gegenseitig Erlebnisse von früher zu erzählen. Erfahrungen zu teilen könne dabei helfen, auf einen Nenner zu finden, so Kaniak-Urban. Ein solches Gespräch sollte allerdings nicht aus zu viel humoriger Nostalgie bestehen. Wenn der Witz überwiegt, rücke der Schmerz zu sehr in den Hintergrund, meint Kaniak-Urban. Geschwister sollten darauf achten, dass ein solches Gespräch nicht zum Theaterstück verkomme.
Wenn Geschwister sich öffnen und verstehen lernen, dann ist auch nach einem Kontaktabbruch eine Annäherung möglich. Christine Kaniak-Urban gibt aber auch zu bedenken, dass es nicht immer eine Lösung für Konflikte geben muss. „Oft sind die Geschwisterbeziehungen so starr und festgefahren, dass es keine Versöhnung geben kann“, sagt sie. „Dann gilt es, diese Tatsache freundlich traurig zu akzeptieren.“
Außerdem auf ze.tt: Diese Fotos zeigen die besondere Dynamik zwischen Schwestern
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Unity: „Manchmal, wenn ich wütend bin, kann ich sehr schnell mit Zita reden, weil sie es verstehen wird. Wir lesen unsere Gedanken, ich weiß genau, wie sie denkt.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Vicky: „Mein Mann und ich haben darüber gesprochen, aus London wegzuziehen, und ich weiß nicht, ob ich das tun könnte, weil ich nicht in ihrer Nähe sein würde. Es wäre seltsam.“
Sam: „Wir werden zusammen in einem Altenheim sein.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Rochelle: „Wir treffen uns buchstäblichen jeden Montag und reden über Gott und die Welt, bringen uns auf den neuesten Stand, beschweren uns und weinen. In diese Zeit stecken wir so viel, dass andere Schwestern dafür eine ganze Woche brauchen würden.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Rhianne: „Ich mag keinen Käse und keine Tomaten, aber sie alle mögen Käse und Tomaten.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Coco: „Sie will so sein wie ich.“
Mimi: „Ich nenne Coco manchmal Mimi.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Obwohl beide ziemlich ruhig sind, sprechen Michelle und Rachel täglich – manchmal stündlich – über FaceTime, Sms, WhatsApp oder Instagram miteinander. Sie leben jetzt beide mit ihren Ehemännern, aber lieben es, zusammen zu reisen.
Michelle: „Wenn wir über Kinder sprechen, sagt mein Mann immer: ‚Ein Mädchen wäre okay‘. Ansonsten will er nur Jungs. Aber ich antworte immer: ‚Nein, wir müssten mehr als ein Mädchen haben, weil jedes Mädchen eine Schwester braucht‘.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Flo: „Ich fühle mich wahrscheinlich glücklicher und wohler in Lizzies Gesellschaft als in jeder anderen.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Die beiden wuchsen in Malaysia auf. Anne war eine Minirock tragende Rebellin, war mit einer Bande von Jungen unterwegs, ritt auf Babykühen herum, baute Katapulte und Spielzeugwaffen, während Meng zu Hause blieb und brav war. Anne musste wegen ihrer rebellischen Ader in ein englisches Internat und entkam so den Aufgaben, für die Meng – im chinesischen System ausgebildet – im Familienhaus verantwortlich war. Die Kontraste setzten sich bis ins Erwachsenenalter fort, aber sie sind jetzt trotz ihrer Unterschiede näher gerückt.
Meng: „Ich war immer eifersüchtig auf sie.“
Anne: „Ich war nie eifersüchtig auf dich.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
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Bea: „Ich werde sieben Kinder und drei Hunde und eine Katze und zwei Fische und einen Hamster haben, aber vielleicht will ich auch Kinder adoptieren.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Georgia: „Ich wollte immer eine jüngere Schwester und ich habe Mama angefleht: ‚Bitte, bitte mach noch eine.'“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Grace: „Sie ist so jung, sie hat noch nicht wirklich eine Persönlichkeit.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
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Foto: © Sophie Harris-Taylor
Clare: „Du bist sehr hilfreich und freundlich.“
Juliet: „Ich dachte, du wolltest sagen: ‚Sie ist eine alte Fregatte.'“
Clare: „Halt die Klappe.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Foto: © Sophie Harris-Taylor
Kate: „Ich bin neidisch … aber nicht auf eine negative Art und Weise. Ich denke, Anna ist so wahnsinnig talentiert und schön, und ich bin ziemlich neidisch, dass sie größer ist als ich und mehr Sommersprossen hat.“
Anna: „Es ist genau das Gleiche für mich – neidisch – denn Kate ist die besseraussehende, talentiertere, intelligentere Leistungsträgerin der Familie.“
Foto: © Sophie Harris-Taylor