Mitten in der Diskussion um die Abschaffung des §219a – der Paragraf im Strafgesetzbuch, der Informationsbereitstellung über Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt – wurde die Debatte um reproduktive Selbstbestimmung am 28. Juni 2018 in einer Aussprache im Bundestag um einen wichtigen Punkt erweitert: die Zugänglichkeit von Verhütungsmitteln. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hatten jeweils einen Antrag eingereicht. Verhütungsmittel kostenfrei zur Verfügung stellen lautet der Titel des linken Antrags, während der grüne Antrag etwas einschränkt: Selbstbestimmte Familienplanung ermöglichen – Kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln für Menschen mit geringem Einkommen.

Aktuell werden verschreibungspflichtige Verhütungsmittel wie die Pille, Spirale, das Diaphragma, Verhütungsringe und Implantate ab dem 21. Lebensjahr nur durch die gesetzliche Krankenkasse (GKV) erstattet, wenn sie medizinisch notwendig sind. Wenn also die Pille zum Beispiel zur Behandlung von Akne verschrieben wird. Nicht verschreibungspflichtige Verhütungsmethoden wie Zykluscomputer oder Kondome werden gar nicht übernommen. Notfallkontrazeptiva wie die sogenannte Pille danach werden nur dann von der GKV erstattet, wenn ein Rezept von ärztlichem Fachpersonal vorliegt. Die seit 2015 geltende Rezeptfreiheit, die eine zeitnahe und niedrigschwellige Einnahme der Pille danach ermöglichen soll, gilt damit für sozial marginalisierte Frauen nicht.

Kostenlose Verhütung für alle

Der Antrag der Fraktion Die Linke will das ändern – und zwar nicht nur für Frauen mit geringem Einkommen, sondern für alle. Verschreibungspflichtige Verhütungsmittel sollen ohne Alters- und Indikationseinschränkung in die Leistungspflicht der GKV aufgenommen werden. Die Linke beruft sich auf die UN-Frauenrechtskonvention Cedaw, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht es vor allem um die Kosten für Verhütungsmittel für Empfänger*innen von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II. Für Menschen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, ist aktuell ein Regelsatz für die gesamte Gesundheitspflege von 15 Euro vorgesehen. Eine Monatspackung hormonhaltiger Arzneimittel zur Empfängnisverhütung kostet aber bis zu 22,10 Euro, ein Verhütungsring monatlich zwischen zwölf und 24 Euro. Spiralen oder Kupferketten sind monatlich günstiger, erfordern aber einmalige Kosten von bis zu 600 Euro – eine Summe, die von Transferleistungen nicht bezahlt werden kann.

Finanzielle Not macht ungewollte Schwangerschaften wahrscheinlicher

Studien belegen, dass Frauen ihr Verhütungsverhalten ändern, wenn sie in finanzieller Not sind: Sie weichen auf billigere und weniger sichere Verhütungsmittel aus oder verhüten überhaupt nicht und riskieren damit eine ungewollte Schwangerschaft. Die Organisation Pro Familia forderte deshalb bereits 2015 in einer öffentlichen

Bundestagspetition eine gesetzliche Änderung, die bundesweit die Kostenübernahme von ärztlich verordneten Verhütungsmitteln ermöglicht. Sie beruft sich damit auf die Konferenz der UN 1994 in Kairo und das dort vereinbarte menschenrechtsbasierte Konzept der sexuellen und reproduktiven Rechte. Dazu gehören unter anderem das Recht aller Menschen, frei und eigenverantwortlich über Zahl, Abstand und Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder zu entscheiden sowie das Recht auf ein Höchstmaß an sexueller und reproduktiver Gesundheit.

Dass Frauen aus finanziellen Gründen keine Wahlmöglichkeiten bei der Empfängnisverhütung haben, ist ein gesamtgesellschaftliches Armutszeugnis.

Diese Forderung ist in Deutschland bisher nicht erfüllt worden. Frauen können nicht die Familienplanungsmethode wählen, die sie gern wählen möchten, wenn ihnen das Geld dafür fehlt. Dass Frauen aus finanziellen Gründen keine Wahlmöglichkeiten bei der Empfängnisverhütung haben, ist ein gesamtgesellschaftliches Armutszeugnis. Verhütung ist ein Menschenrecht, das in Deutschland nicht für alle Personengruppen umgesetzt wird.

Was die Bundespolitik nicht schafft, setzt Pro Familia in einem Pilotprojekt um: An sieben bundesweiten Standorten ermöglicht das Projekt biko den einfachen Zugang zu verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln. "Neben den finanziellen Hürden geht es dabei auch um den Ort, die Niedrigschwelligkeit", betont Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin von Pro Familia Berlin. Immer wieder suchten Frauen ihre Beratungsangebote auf, die in gynäkologischen Praxen keine Termine bekamen.

Recht auf umfassende Information

Das Kairoer Aktionsprogramm legt auch fest, dass alle Menschen das Recht auf umfassende Information über alle Fragen der Sexualität und Fortpflanzung haben. Womit die Debatte um die Abschaffung des §219a eigentlich beendet sein müsste. Information über Sexualität und Fortpflanzung ist Menschenrecht, somit ist der §219a hinfällig. Das sieht übrigens auch der Deutsche Frauenrat (DF) so, der als größter Dachverband auch konservative Frauenorganisationen wie die Frauen Union der CDU organisiert. Während die Männer in der CDU wohl noch skeptisch sind, ob Frauen wirklich alle Informationen rund um Sexualität und Fortpflanzung bekommen sollten, sind die konservativen Frauen schon einen Schritt weiter. Den Beschluss des DF kommentierte Cornelia Möhring, Frauenpolitische Sprecherin Die Linke: "Es verstärkt meinen Wunsch, dass nur Frauen über die Selbstbestimmung von Frauen abstimmen dürften – dann wären Schwangerschaftsabbrüche schon raus aus dem Strafgesetzbuch."

Die Anträge der beiden Fraktionen werden nun an den Gesundheitsausschuss weitergeleitet – wo auch über die Abschaffung des §219a debattiert wird. Würden dort Frauen die Entscheidungen über Frauen treffen, dürfte es bald kostenlose und niedrigschwellig verfügbare Verhütungsmittel für alle geben. Und auch frei zugängliche Informationen: Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beinhaltet auch eine bundesweite Informationskampagne. Information ist ein entscheidender Faktor, damit Menschen selbstbestimmte Entscheidungen treffen können, was ihren Körper und ihre Sexualität angeht. Auch hier gilt: Wissen ist Macht. Wer Sexualität kontrolliert, hat Macht. Und Macht haben in diesem Fall wohl wieder Männer: Die Obleute des Ausschusses für Gesundheit sind zwei Frauen und vier Männer.

Außerdem auf ze.tt: Welche Verhütungsmethoden für den Mann gibt es?