Bei der traditionellen Karnevalsveranstaltung Stockacher Narrengericht steht in diesem Jahr die CDU-Vorsitzende und potenzielle Kanzler*innen-Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer vor Gericht. Mit roter Baskenmütze bewaffnet hält die Politikerin, umgeben von Karnevalsbegeisterten, ihre Verteidigungsrede und zieht darin über das dritte Geschlecht her: "Guckt euch doch mal die Männer von heute an: Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen! Das ist für die Männer, die nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen oder schon sitzen müssen! Dafür – dazwischen – ist diese Toilette", ruft sie in die Runde. Das Publikum lacht und applaudiert zustimmend. Ich hingegen fasse mir an den Kopf und frage mich: Geht es eigentlich noch, Frau Kramp-Karrenbauer?

Schon klar: An Karneval, vor allem auf Karnevalsveranstaltungen wie dem Stockacher Narrengericht, werden Witze gerissen. Es wird sich über dies und jenes amüsiert, mal spitzzüngig, mal plump. Aber sind Witze über Minderheiten, über Menschen, die sowieso häufig ausgegrenzt, nicht mitgedacht, außen vorgelassen werden, wirklich angebracht? Muss man über Menschen herziehen, die für ihren Platz in der Gesellschaft, für ihre Anerkennung als divers lange kämpfen mussten und müssen?

Was für ein Bild vermittelt das?

Was für ein Bild vermittelt der plumpe, plakative Witz Kramp-Karrenbauers über das dritte Geschlecht? Die Toilette für das dritte Geschlecht sei für Männer, die nicht wüssten, ob sie stehend oder sitzend pinkeln sollen. Kramp-Karrenbauer spricht mit dieser Aussage Menschen, die divers sind, ein Stück ihrer Identität ab, erklärt sie zu verweichlichten Männern, die einfach nicht ganz wüssten, was sie wollen und wer sie eigentlich sind.

Das ist ein klares Zeichen fehlender Empathie und dafür, dass Kramp-Karrenbauer nicht erkennt, wie wichtig das Thema eigentlich ist und dass eine Anerkennung des dritten Geschlechts nur der Anfang sein kann. Ihr fehlt offenbar jegliches Feingefühl für Diskriminierungsfragen. Denn Kramp-Karrenbauer steht in diesem Fall auf der Bühne nicht als Privatperson, die einen persönlichen, wenn auch streitbaren, Standpunkt verteidigt. Sie steht dort als Politikerin, als Vorsitzende der CDU, als potenzielle Kanzler*innen-Kandidatin und vermittelt den Zuschauer*innen, dass es vollkommen in Ordnung ist, sich über das dritte Geschlecht, über Minderheiten lustig zu machen.

Nicht okay – auch nicht an Karneval

Liebe Annegret Kramp-Karrenbauer: Nein, das ist nicht okay. Auch nicht während der Karnevalszeit. Es scheint mir, als nutzten viele Menschen Karneval als eine Art Legitimation, erstmal schön alles durch den Kakao zu ziehen, über das man sich sonst nicht lustig machen darf: Feminismus? Sexismus? Rassismus? Homosexualität? Intersexualität? Bring it on. Was soll's? Ist doch alles nur ein Scherz, ist doch alles gar nicht so gemeint, ist doch gerade Karneval! Da wird man das doch wenigstens nochmal sagen dürfen, da wird man sich doch wenigstens nochmal drüber lustig machen dürfen! Seid doch mal alle nicht so stocksteif und humorbefreit.

Mir persönlich läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich sehe, wie herzhaft das Publikum über Kramp-Karrenbauers Rede lacht. Kein Moment des Nachdenkens, des Innehaltens, der Reflexion. Berlin, Latte Macchiato, drittes Geschlecht: Nein, was ist das lustig. Doch Karnevalssitzungen wie das Stockacher Narrengericht sind keine Orte der Ausnahme: Es ist gut und wichtig, dass Kramp-Karrenbauers Auftritt nun kritisch betrachtet und diskutiert wird. Denn Karnevalszeit bedeutet nicht, dass rassistische, homophobe oder sonst irgendwelche diskriminierenden Kommentare in der Zeit um Rosenmontag dann eben mal kurz salonfähig sind, bevor es nach Aschermittwoch dann mit Bierfahne und leichtem Kater zurück in den Alltag geht.

Ganz andere Baustellen

Das scheint jedoch nicht überall angekommen zu sein. CDU-Parteikollegin und Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, stärkt Kramp-Karrenbauer auf Twitter den Rücken und meint: "Über Männer werden Witze gemacht, über Frauen werden Witze gemacht. Wer keine Witze übers dritte Geschlecht macht, weil es um das dritte Geschlecht geht, diskriminiert es." Dabei scheint Klöckner jedoch nicht zu bedenken, dass Witze über Männer und Frauen sich keinesfalls gegen die Existenz von Männer und Frauen als Geschlechter richten. Witze über das dritte Geschlecht tun dies meist schon. Bevor wir uns also über Gleichberechtigung in Witz und Humor unterhalten, gibt es noch einige andere Baustellen, auf denen wir uns für eine Gleichberechtigung einsetzen sollten.

Und wer nun, wie BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, scherzhaft einen "humorfreien, narrenfreiheitsfreien, Doppelnamen-freien, kostümfreien, laktosefreien Gender-Karneval*in" fordert, sollte vielleicht nochmal die Grenzen des eigenen Humors hinterfragen. Denn natürlich gibt es vieles, über das man sich lustig machen kann, über das man Witze reißen kann, über das gelacht werden darf. Intersexualität gehört nicht dazu.