Ein paar Mal wirbeln sie energisch über die bunt überzogenen Matratzen. Lena* stöhnt auf, als ihr Spielpartner sie kratzt. Zuerst leise, dann immer lauter. Dass um die Matratzen herum etwa 40 Teilnehmende sitzen, hat sie ausgeblendet. Sie konzentriert sich ganz auf ihn. Und er sich auf sie.

Jeden Sonntag finden in der Sexpositive-Location Schwelle Wien diese sogenannten Playfights statt. Dabei geht es darum, miteinander spielerisch zu raufen, die eigenen Grenzen und die der anderen auszuloten und mit der eigenen Sexualität zu experimentieren. An diesem Abend sitzen rund um die Matratzen, die den Rangelnden Schutz vor dem Aufprall auf Boden oder Wand bieten sollen, ungewöhnlich viele neue Gesichter. Etwa zehn sind es, die zum ersten Mal teilnehmen, ein Gutteil von ihnen ist sogar zum ersten Mal überhaupt hier.

Eine davon ist Lena* (Lena heißt nicht wirklich Lena. Weil sie lieber nicht mit ihrem richtigen Vornamen genannt werden will, haben wir ihr diesen fiktiven Namen gegeben.). Sie ist 23 Jahre alt, studiert Soziale Arbeit und jobbt nebenbei hinter der Bar eines Wiener Szeneclubs. Zu den Playfights kommt sie, weil sie sich immer öfter die Frage stellt, warum sie Liebesbeziehungen ab einem gewissen Punkt zu überfordern scheinen. Mittlerweile hat sie erkannt, dass sie die emotionale und die körperliche Ebene vielleicht nicht immer vermischen will. "In letzter Zeit frage ich mich oft, ob meine Sexualität der Wahrheit entspricht oder ob ich einfach in Muster verfalle, die von unserer patriarchalen Struktur geprägt sind", sagt sie.

Das oberste Gebot ist Konsens

Bevor es losgeht, eröffnet Workshopleiterin Freya den Abend, indem sie die Dos und Don'ts erklärt: Auf den weichen Matratzen dürfen immer nur zwei miteinander interagieren. Das läuft so ab, dass eine*r der Teilnehmenden in den Kreis kriecht. Das gesamte Spiel findet auf Knien statt – aufstehen ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Die*der Auffordernde signalisiert durch intensiven Blickkontakt, wen er*sie sich zum Spielen aussucht. Das Angebot kann die andere Person entweder annehmen oder mit deutlichem Kopfschütteln oder einem Nein ablehnen, worauf sich der*die Auffordernde wieder in den Kreis zurückzieht.

"Bei den Playfights übst du unter anderem Konsens, lernst, Grenzen zu setzen und bewusst Ja oder Nein zu sagen – und ein Nein auch anzunehmen", sagt Reinhard Gaida, der die Schwelle vor acht Jahren gegründet hat. Zwar gebe es ähnliche Playfight-Kurse in vielen anderen Städten wie Zürich, Berlin oder Mailand auch, erklärt er, aber in der Form, wie sie hier praktiziert würden – also mit diesem bestimmten Regelwerk, auf Matratzen und in einem generell auf sexpositive Begegnungen ausgerichteten Raum – habe er sie erfunden. Zuerst hat er sie monatlich in wechselnden Locations veranstaltet. Als die Nachfrage größer wurde und er erkannte, dass es einen fixen Raum braucht, entstand daraus der heutige Club.

Offen für alle

Beim spielerischen Kämpfen selbst ist so gut wie alles erlaubt, solange es in beiderseitigem Einverständnis geschieht. Konsens ist hier das oberste Gebot. Geht das Ganze den Beteiligten doch zu weit, klopfen sie entweder dreimal auf die Matratze, auf den*die Partner*in oder sagen klar und deutlich: "Stopp!" Dann ist das Spiel vorbei und beginnt von Neuem, indem jemand anderes auffordert.

Nachdem der Ablauf erklärt ist, stellen sich noch alle der Reihe nach kurz vor. Sie nennen ihre Vornamen, bekunden mit einem "Ja", dass sie einverstanden mit dem sind, was gleich passieren wird, und geben an, welches Pronomen sie sich zuschreiben. Alle Geschlechtsidentitäten, alle sexuellen Präferenzen und Orientierungen sind hier willkommen und sollen sich gleichermaßen wertgeschätzt fühlen. Ob man tatsächlich aktiv mitmachen oder nur vom Rand aus zusehen will, das ist jeder*m selbst überlassen.

Irgendwo zwischen Rangeln und Vorspiel

Nach ein paar abgelehnten Spielaufforderungen folgen die ersten Playfights. Manche agieren sanfter, kuscheln eher miteinander, andere werden wilder, stöhnen und knurren laut, zwicken sich in die Brust oder beißen einander. Was die Begegnungen gemeinsam haben, ist eine starke sexuelle Energie, die über bloßes Rangeln weit hinausgeht. Meistens erinnert es eher an ein wildes Vorspiel. Zwischendurch kommen Lena beim Zuschauen kurz die Tränen. Warum, das kann sie selbst nicht wirklich begründen. "Ich habe nicht geweint, weil ich traurig war", erzählt sie später. "Irgendetwas hat mich emotional berührt. Keine Ahnung." Manches von dem, was man bei den anderen sieht, kann schon mal triggern. Immerhin konfrontiert es auch die Zusehenden hautnah mit dem eigenen sexuellen Horizont, Verdrängtem oder Ersehntem. Deshalb ist es Reinhard Gaida auch so wichtig, dass in seinen Workshops immer Personen mit therapeutischer Ausbildung anwesend sind, an die man sich notfalls wenden kann, wenn alles zu viel wird.

Als ein erfahrener Playfighter Lena auffordert, zögert sie nur kurz und nimmt an. Sie ist froh, dass ihre erste Begegnung auf den Matratzen mit jemandem passiert, mit dem sie davor zumindest schon ein paar Worte gewechselt hat. Das senkt die Hemmschwelle ein wenig. Nach ein paar Berührungen an den Händen geht das Raufen auch schon los. Die beiden winden sich miteinander, kugeln mal hierhin, mal dorthin. Das Ganze wirkt fast wie ein leidenschaftlicher Tanz, jedenfalls ist es nicht zu erahnen, dass das Lenas erster Playfight ist. Die Körper agieren miteinander, kratzen sich, stöhnen und lassen los. Lassen zu. Das können die Beobachtenden spüren. Nach etwa fünf Minuten umarmen sie einander und bedanken sich.

Christopher und Teresa: Beim Playfight kennengelernt

Während die nächsten in die Mitte krabbeln, sitzen Christopher und Teresa eng aneinander geschmiegt im Zuschauer*innenkreis. Die beiden wirken, als wären sie schon monatelang ein Paar. Tatsächlich haben sie sich aber erst vor drei Wochen kennengelernt, hier bei den Playfights. Und ein Paar im konventionellen, monogamen Sinne sind sie auch nicht. Teresa kommt seit September jeden Sonntag her. Nachdem ihre zehnjährige Beziehung im Sommer geendet hat, wollte sie etwas Neues ausprobieren. Neben Christopher trifft sie sich zur Zeit auch mit anderen. Auch er ist durch den Tipp einer Frau, die er aktuell ebenfalls datet, auf die Playfights gestoßen.

Bei uns sind die Rollenbilder vertauscht.
Christopher, Playfighter

Für Christopher stillt das sexpositive Konzept der Location sein starkes Bedürfnis nach körperlicher Nähe, für das er sich hier nicht zu schämen braucht, das er aber bei anderen zwischenmenschlichen Beziehungen oft vermisst. "Wir werden dazu erzogen, möglichst wenig Nähe zuzulassen", findet er. Dass eine herzlich gemeinte Umarmung oft nur ein flüchtiges Abklopfen ist, das irritiert ihn. Außerdem hat er eine leichte Form von ADHS. Der intensive physische Kontakt mit anderen hilft ihm, besser damit klarzukommen, auch längerfristig. Als Krankenpfleger ist er es zwar gewöhnt, andere Menschen anzufassen, aber natürlich auf einer ganz anderen Ebene. Teresa ist tagsüber Software-Testerin. "Ja, bei uns sind die Rollenbilder vertauscht", lacht Christopher, während er ihren Unterschenkel intensiv mit beiden Händen streichelt. Auch kennengelernt haben sie sich eigentlich gegen die konventionelle Einbahn: Immerhin hatten sie zuerst einmal intensiven Körperkontakt, bevor sie überhaupt miteinander gesprochen haben. Denn die meisten Playfights laufen nonverbal ab. Nur ein Stöhnen oder Kichern bricht ab und zu heraus.

An diesem Sonntag haben sie das erste Mal auch außerhalb der Schwelle etwas miteinander unternommen, bevor sie hergekommen sind. Miteinander rangeln sie heute aber nicht, mit anderen dafür schon, wie Christopher später mit Lena. Ob Eifersucht ein Thema ist, wenn man sich gerade näher kennenlernt? Nicht wirklich. Christopher freut sich eigentlich, wenn er sieht, dass Teresa den Playfight genießt. Für sie ist das nicht ganz so einfach. Ab und zu kann ihr schon mal etwas mulmig werden, wenn sie sieht, dass er sich von jemand anderem angezogen fühlt. Doch auch wenn so etwas wie eifersüchtige Gefühle aufkommen, ist das hier nichts Schlimmes. Man müsse sich eben auch damit aktiv auseinandersetzen, sind sich beide einig. Die emotionale Ebene sei beim Playfight generell sehr wichtig, sagt Christopher. Für die beiden scheint das so zu funktionieren. "Der Plan ist schon, dass wir uns jetzt öfter sehen", lächelt Teresa Christopher an. Er stimmt zu.

Experimentieren ohne Hemmungen

Das Einlassen auf andere, das Austesten der eigenen Grenzen und das Sich-Selber-Kennenlernen ohne Bewertung, das steht für die meisten hier im Vordergrund. Auch Lena ist am Ende des Abends sichtbar euphorisch. Sie ist stolz auf sich, dass sie sich überwunden hat, und schwärmt von der Erfahrung. "Teilweise war schon ein Unwohlsein da", räumt sie ein. "Aber ich wusste ja immer, dass ich jederzeit Stopp sagen kann."

Du kannst einfach so sein, wie du bist. Du bist an nichts gebunden und hast nichts zu verlieren.
Lena

Obwohl es ihr erster Playfight-Abend war, konnte sie auch schon etwas über sich herausfinden. Denn bisher hat sie bei intimen Begegnungen immer sofort abgebrochen, sobald ihr etwas wehgetan hat. Darauf steht sie nämlich eigentlich gar nicht. Aber heute war sogar sie es, die mit dem Kratzen begonnen hat. Und es hat ihr gefallen, obwohl es ein bisschen geschmerzt hat. Sie lacht kurz über die kleinen roten Spuren auf ihrem Oberarm. "Durch mein Kratzen konnte ich seines steuern und intensiver machen."

Dass sie hier mehr oder weniger anonym war, hat ihr dabei geholfen, sich fallen zu lassen. Bei einem Partner habe man schnell einmal das Gefühl, dass man etwas falsch mache oder vielleicht zu weit gehe, findet Lena. Aber hier könne man alles ausprobieren, ohne Hemmungen. "Du kannst einfach so sein, wie du bist. Du bist an nichts gebunden und hast nichts zu verlieren. Das hat mir extrem getaugt", sagt sie, während sie vor der Eingangstür an ihrer Zigarette zieht. Zu den Playfights kommt sie jetzt definitiv öfter, lacht sie, und kehrt auf die Matratzen zurück, um mit den anderen zu essen.