Englische und russische Hooligans lieferten sich Straßenschlachten in Marseille, gewalttätige deutsche Fußball-Anhänger machten Jagd auf ukrainische Fans in Lille. Da sind sie wieder, die Hooligans. Und einige Bilder aus Frankreich erinnern an frühere Ausschreitungen, bei denen Sicherheitskräfte krankenhausreif geprügelt wurden.

Während Igor Lebedew, Parlamentsvizepräsident und Vorstandsmitglied der russischen Fußball-Union, twitterte, dass er "nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden" könne, ermahnt die Uefa beide Länder und drohte bei weiteren Ausschreitungen mit einem Ausschluss der Nationalmannschaften von der EM. Aber geht das so einfach? Wir fragten den Sportwissenschaftler und Fan-Experten Harald Lange.
Harald Lange, kann die Uefa Nationen von der Europameisterschaft ausschließen?

Rein formal können die das machen, ja. Die Uefa hat einen Maßnahmenkatalog und auch eine Satzung, mithilfe derer sie in bestimmten Fällen solche Maßnahmen treffen kann.

Was sind das für Fälle?

Das sind Fälle von Fan-Gewalt, die das jeweilige Land nicht in den Griff bekommt. Das schreibt man dem Fußball insgesamt in diesem Land zu und da gehören eben die Fans auch mit dazu. Die Bestrafungen sind so aufgebaut, dass zunächst Geldstrafen gegen Mannschaften verhängt werden können, diese von einzelnen Spielen ausgeschlossen werden, Punktabzug erhalten oder eben komplett ausgeschlossen werden.
Wie können nationale Fußballverbände, wie bei uns der DFB oder die DFL, Fan-Gewalt verhindern?

Das ist schwierig. Im Bundesliga-Alltag können Maßnahmen bis hin zum Stadionverbot ergriffen werden. Es gibt länderübergreifende Dateien mit Gewaltstraftätern im Sport. Wenn die bei bestimmten sportlichen Großereignissen in eine Kontrolle kommen, werden sie festgehalten und nicht ins Stadion gelassen.
Wie kommunizieren Fans und Verbände?

Es gibt diverse Fan-Organisationen, die sich ab und an mit Funktionären treffen und austauschen. In aller Regel sind Fans aber von offiziellen Gesprächen ausgeschlossen. Sie haben keine Stimme bei sportpolitischen Entscheidungen, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Obwohl sie letztlich der Motor des Fußballs sind. Fans sind dafür verantwortlich, dass mit Fußball so viel Geld verdient wird.
Sie denken demnach, wenn Fans mehr an Verbandsentscheidungen beteiligt wären, könnten Übergriffe wie in Marseille und Lille eher vermieden werden?

Das wäre der Beginn eines Entwurfs einer ganz neuen Sportpolitik, den ich sofort unterstützen würde. Man muss aus meiner Sicht Fans beteiligen. Das Funktionärswesen im Fußball ist massiv durcheinander gekommen: In den letzten Monaten wurden ja quasi im Wochentakt Enthüllungen über Korruptionen, Schiebereien, Manipulationen in den Funktionärsebenen der Fifa, Uefa und auch beim DFB sichtbar.

Nach den Vorfällen zwischen englischen und russischen Fans waren Sätze in den Medien zu lesen wie: "Russland forderte seine Fans mit Nachdruck zu vernünftigem Verhalten auf" – Was haben denn Regierungen für einen Einfluss auf die Verbände?

In formaler Hinsicht haben sie keinen Einfluss. Die Verbände legen großen Wert auf ihre Autonomie im Sport. Aber die Politik mischt sich mindestens auf indirektem Weg ein.

Nur als Beispiel: Falls die Nationalmannschaft ins Endspiel kommt, wird die Bundeskanzlerin und auch der Bundespräsident wieder dabei sein. Sie werden sich mit der Mannschaft fotografieren, beim Bier trinken in der Kabine, beim Feiern oder beim Trösten. Das führt dazu, dass den Politikern, die sich mit solchen Bildern in Verbindung bringen lassen eine gewisse Volksnähe zugesprochen wird. Ihre Beliebtheit steigt.

Nur zur Erinnerung: Während der WM in Brasilien vor zwei Jahren stieg die Beliebtheit der CDU bei der Sonntagsfrage um zwei Prozent. Obwohl politisch gesehen gar keine Gelegenheit war, um zu punkten. Meine These ist: Das rührt natürlich daher, dass Frau Merkel sich mit der Nationalmannschaft und der Stimmung im Land optimal arrangiert hat und in Szene setzen konnte. Und das wissen natürlich alle Politiker aller Parteien, dass man mit Sport in der Politik punkten kann. Gerade jetzt werden auch alle darum buhlen, bei den Diskussionen dabei zu sein.
Wie schätzen Sie die Sicherheitsvorkehrungen bei der Europameisterschaft insgesamt ein?

Natürlich werden die Sicherheitsvorkehrungen immer bemängelt. Das ist auch gut so, wenn Experten Fehler entdecken, müssen sie diese benennen. Nur so können sich Sicherheitssysteme verbessern. Aber nach allem, was ich bisher beobachtet, gesehen und auch in Gesprächen herausgefunden habe, ist das wahrscheinlich das sicherste sportliche Großereignis, was wir jemals hatten.
Trotzdem gibt es ja Krawalle mit Verletzten.

So etwas lässt sich nicht ausschließen, weil letztlich immer Menschen agieren und da sind ja nicht nur die Stadien betroffen, sondern auch die Städte, in denen gespielt wird. Das ist eine Wahnsinnsaufgabe für die Polizei, die Sicherheitskräfte, das Innenministerium. Sodass man leider sagen muss: Absolute Sicherheit, absolute Gewaltfreiheit kann es gar nicht geben bei solchen Veranstaltungen.

Das Alkoholverbot an sensiblen Orten war überfällig. Dass Alkoholeinfluss sowohl bei dem England-Russland-Spiel, als auch bei den Ausschreitungen deutscher Hooligans eine Rolle gespielt hat, war ersichtlich.
Wie schnell können gewaltbereite Fans ausfindig gemacht werden?

Oft werden einzelne Täter per Foto und Video dokumentiert. Nicht nur von der Polizei, sondern vor allem auch von anderen, friedlichen Fans, die ihre Handyaufnahmen dann den Sicherheitsbeamten zur Verfügung stellen. Ich bin mir sicher, alle, die in den vergangenen Tagen in Frankreich für Unruhe gesorgt haben, wird man dingfest machen. Wir werden eine EM erleben, in der das Hooligan-Thema keine größere Rolle spielt.[Außerdem bei ze.tt: Natinalflagge hissen, ja oder nein? – EM genießen ohne Pegida-Verdacht]