"Rassismus ist kein Schwarzes, sondern ein weißes Problem", schrieb Noah Sow 2008 in ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß. Weiße Menschen haben Rassismus erfunden, weiße Menschen profitieren bis heute von Rassismus, wir Weiße müssen an unserem Problem mit Rassismus arbeiten. Ein erster Schritt kann sein, zu begreifen, dass man weiß ist – und was es bedeutet, weiß zu sein.

Studien zeigen, dass weiße Menschen in Deutschland sich überwiegend nicht als weiß wahrnehmen. "Weiße Personen beschreiben sich über Beruf, Alter, Geschlecht, Religion, nicht aber in Bezug auf ihr Weißsein. Wenn sie betonen, das habe doch keinen Einfluss auf ihre Person, dann suggerieren sie Neutralität und setzen zugleich Weißsein als universelle, neutrale Norm", schreibt Anna Greve in dem Buch Von Whiteness Studies zu Kritischer Weißseinsforschung.

Die Unsichtbarkeit des Weißseins ist ein Problem. "Diese Unsichtbarkeit ermöglicht es, die weiße Machtposition zu relativieren oder gar zu negieren. Das größte weiße Privileg ist, sich nicht mit Rassismus beschäftigen zu müssen", schreibt Elina Marmer in ihrem Aufsatz Kritisches Weißsein als Perspektivwechsel und Handlungsaufforderung.

Dabei ist wichtig, zu verstehen, dass Weißsein nichts mit biologischen Merkmalen zu tun hat. Die Begriffe Schwarz und weiß bezeichnen "historisch entstandene, sozial konstruierte und politisch bedeutsame Kategorien", so Marmer. Weißsein bedeutet, eine gesellschaftliche Machtposition innezuhaben, von Privilegien zu profitieren, beziehungsweise nicht aufgrund des Weißseins benachteiligt und diskriminiert zu werden.

"Wann ist dir das erste Mal bewusst gewesen, dass du weiß bist?"

Wie es aussieht, wenn sich Weiße kritisch mit ihrem Weißsein auseinandersetzen, zeigt sich unter dem Instagram-Post der Afrikawissenschaftlerin Josephine Apraku. In einem Post fragte sie: "Wann ist dir das erste Mal bewusst gewesen, dass du weiß bist?" Über hundert Menschen haben ihr bereits geantwortet und erzählen von den Momenten, in denen sie das erste Mal ihr Weißsein und ihre Privilegien wahrnahmen.

Eine Nutzerin schreibt beispielsweise: "Als ein Lehrer einen Mitschüler, nachdem er bei rot über die Ampel gelaufen ist, damit beschimpfte, dass er das 'im Busch, wo er herkommt, machen kann, aber hier nicht'."

Immer wieder ist zu lesen, wie Privilegien beim Thema Wohnungssuche wahrgenommen wurden. "Als ich nach der Schule mit Freunden über die Suche nach einer Wohnung gesprochen habe und diejenigen die 'den falschen' Nachnamen hatten nicht mal zur Besichtigung eingeladen worden. Eine verheiratete Freundin hat irgendwann ihren Mädchennamen angegeben, um überhaupt eine Chance zu haben, zur Besichtigung eingeladen zu werden. Das war schlimm und traurig und beschämend", erzählt eine Frau.

Eine andere Nutzerin antwortet: "Ich war auf Wohnungssuche und mein Kumpel Jerry hat mich begleitet. Meine Tante hielt das für kontraproduktiv, weil 'es ja vielleicht Mieter gibt, die ein Problem damit haben'. Ich hab im ersten Moment nicht verstanden, dass sie mit 'damit' seine Hautfarbe meinte."

Es gilt, das Schweigen zu durchbrechen, machen wir uns an die Arbeit!
Elina Marmer

Auch Begegnungen mit Zoll, Polizei und Ticketkontrolleur*innen spielen in den Kommentaren immer wieder eine Rolle. Eine Nutzerin erzählt: "Als ich im Flixbus von Amsterdam nach Deutschland saß und mein Portemonnaie vergessen hatte und wir bei der Einreise nach Deutschland kontrolliert wurden und der Zollbeamte meinte, es sei nicht so schlimm, ich würde ja deutsch aussehen."

Eine andere schreibt: "Als ich mal im Zug zum Schaffner ging, weil der Ticketautomat nicht funktionierte, um die Situation und das fehlende Ticket zu erklären. Seine Reaktion: 'Sie wirken glaubwürdig'." Apraku kündigte an, noch bis zum 6. Juli täglich eine Frage zur rassismuskritischen Selbstreflexion zu posten.

Auch der Journalist Malcolm Ohanwe rief auf Twitter weiße Personen dazu auf, unter dem Hashtag #KritischesWeißsein von Momenten zu berichten, in denen weiße Privilegien zum ersten Mal bewusst wurden.

Auch hier kamen dutzende Antworten:

Kritisches Weißsein ist indes kein neues Phänomen. Die Disziplin entstand überwiegend in den USA zu Zeiten der Sklaverei sowie in den damaligen Kolonien – als "intellektuelle Übung Schwarzer Menschen, um zu überleben", wie es die portugiesische Autorin Grada Kilomba beschreibt. Inzwischen ist Kritische Weißseinsforschung ein interdisziplinäres Studienfeld.

Für Elina Marmer, die in diesem Feld forscht, besteht Kritisches Weißsein im Kern aus zwei Dingen: Einerseits aus einem Perspektivwechsel, andererseits aus einer Aufforderung zum Handeln. Sie schreibt: "Es gilt, das Schweigen zu durchbrechen, machen wir uns an die Arbeit!" th