Haustiere sind beliebter denn je: Im Jahr 2015 lebten in 43 Prozent aller deutschen Haushalte Tiere, insgesamt sind es 30 Millionen Hunde, Katzen, Vögel und andere Kleintiere. 1999 waren es geschätzt nur 21,3 Millionen Tiere. So lauten die Angaben einer repräsentativen Erhebung vom Industrieverband Heimtierbedarf e. V. (IVH) und dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e. V. (ZZF). Zahlen von offizieller Seite werden bislang nicht erhoben.

Am liebsten hielten Deutsche, folgt man den Angaben der Erhebung, nach wie vor Katzen (12,9 Millionen), Hunde (7,9 Millionen) und Kleintiere (5,1 Millionen). Danach folgen Ziervögel (4,2 Millionen), Tiere in Aquarien beziehungsweise dem Gartenteich (3,6 Millionen) und in Terrarien (0,7 Millionen).

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Immer mehr Singles und Paare leben mit einem Haustier

Laut IVH steigt seit 2015 die Zahl der Haustiere in Ein- und Zweipersonenhaushalten. Die meisten Tiere leben in Zweipersonenhaushalten (38 Prozent), in Einpersonenhaushalten sind es 29 Prozent – im Vergleich zum Vorjahr sind das jeweils zwei Prozentpunkte mehr. Nach wie vor leben aber auch viele Haustiere in Familien mit drei und mehr Personen, nämlich 33 Prozent.

Das passt zur These von Clemens Wischermann, promovierter Historiker, der an der Uni Konstanz zu Mensch-Tier-Beziehungen forscht. "Immer mehr Singles und Paare leben mit einem Haustier", sagt er. Die Tiere erfüllen viele Funktionen: Sie halten uns fit, trösten uns, amüsieren, entschleunigen und unterhalten uns. "Es gibt auch ganz verrückte Sachen: Bei manchen Leuten hat die Katze ihr eigenes Katzenzimmer und andere fahren ihren Hund im Kinderwagen umher oder bringen ihn zum Hunde-Spa", so Wischermann.

Der Haustier-Boom sei ein Wohlstandsphänomen westlicher Industriestaaten. Die Tiere werden als vollwertige Familienmitglieder angesehen. Dementsprechend haben die Tiere einen Namen, bekommen gutes Essen und eine hervorragende Gesundheitsvorsorge. "Einige schlafen mit im Bett der Herrchen und haben sogar einen Impfausweis", sagt der Forscher.

"Seit dem 19. Jahrhundert leben immer mehr Menschen in Städten und halten sich gerne Haustiere", erklärt Wischermann. Zuerst seien es vor allem Vögel, Hunde und Katzen gewesen. "Seit den 1970er Jahren spiegelt sich das auch darin wider, dass es ganz viele Kleintierarztpraxen in urbanen Räumen gibt", so der Wissenschaftler.

Nicht Kinderersatz, sondern Kindheitsersatz

Kinderersatz seien die Tiere laut Wischermann nicht. Die Haustiere seien zwar, genauso wie Kinder, abhängig und gleichzeitig schutzbedürftig. Aber gegen die Ersatztheorie spreche schon alleine, dass viele Haustiere in Familien mit Kindern leben. Vielmehr seien die Tiere Kindheitsersatz für viele Besitzer*innen. "Die Besitzer versuchen, dem Haustier das zu ermöglichen, was sie sich selbst als Kind gewünscht haben, aber vielleicht nicht hatten, nämlich eine glückliche Kindheit", so Wischermann. Deshalb schenken viele Besitzer*innen ihren Tieren sehr viel Zuwendung und Aufmerksamkeit, vermutet der Forscher.

Katzen: die Haustiere der Zukunft?

12,9 Millionen Katzen leben in deutschen Haushalten und 7,9 Millionen Hunde. Dabei war das Verhältnis früher umgekehrt. "In den letzten 20 Jahren haben Katzen Hunde zahlenmäßig deutlich überholt", sagt Clemens Wischermann von der Uni Konstanz. Auch dafür hat er eine Erklärung.

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Hunde stünden für ein hierarchisches Zusammenleben, für Disziplin und Gehorsam, für Abhängigkeit und Autorität. "Hunde verlassen das Haus nur, wenn der Mensch mit ihnen rausgeht oder sie rauslässt", so der Forscher. Katzen dagegen seien sehr unabhängige, freiheitsliebende, eigenwillige Tiere, die sich nicht so disziplinieren lassen. "Es gibt zum Beispiel Katzenklappen, da entscheiden die Katzen selbst, wann, wie oft und für wie lange sie nach draußen gehen", sagt Wischermann.

Unabhängige Tiere als Lebensbegleiter für Menschen, das passe besser zum modernen Menschen, der selbst dynamisch und flexibel lebt und Sehnsucht nach Natur und Freiheit hat. So erklärt sich Wischermann auch, dass Ziervögel, die in Käfigen gehalten werden, immer weniger nachgefragt werden.

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Dass Katzen das Haustier der Zukunft sind, glaubt auch das Rheingold-Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen in Köln, das Katzenhaltung seit mehr als zehn Jahren erforscht. Im Essay Trendtier Katze – Oder: warum finden fast alle Katzen so toll? aus dem Jahr 2014 wird die Ambivalenz von Katzen beschrieben. Sie seien sehr pflegeleicht, Sinnbild unserer Gesellschaft und trotzdem sehr verschmust. Dort wird ein Katzenhalter wie folgt zitiert: "Die Katze ist das perfekte Haustier, sie braucht nicht so viel Pflege, ist selber sehr sauber und wenn ich keinen Bock habe, mich mit ihr zu beschäftigen, beschäftigt sie sich selbst."

Der Forschungsbereich Mensch-Tier-Beziehungen war lange nicht voll akzeptiert. "Früher wurde das nicht ernst genommen, da wurde ich viel belächelt. Da haben Kollegen mich gefragt: 'Hast du nichts Richtiges zu tun?'", erzählt Wischermann, der vor mehr als 15 Jahren durch seine eigene Katze zur Mensch-Tier-Forschung gekommen ist. Umfassende Studien im Bereich Human Animal Studies gibt es noch kaum. Doch das ändert sich allmählich, denn der Forschungsbereich erfährt gerade einen regelrechten Boom.