Die einzige Tatsache ist, dass Langeweile nicht bloß eine andere Bezeichnung für Depression oder Apathie ist. Vielmehr ist es ein spezifischer Geisteszustand, den wir als unangenehm empfinden. Ein Stimulationsmangel, der nicht laut nach Erleichterung schreit, aber soziale, medizinische und verhaltensbezogene Konsequenzen fordert.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept von Langeweile hat laaaaaange Tradition. Dennoch fehlt es bis heute nicht nur an verlässlichen Methoden, um Langeweile zu messen, sondern auch an Techniken, um Testpersonen im Labor so richtig zu langweilen.

Trotzdem oder gerade deswegen wächst die Zahl an Forscher*innen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Im Mai 2015 veranstaltete die Universität Warschau zum zweiten Mal die jährliche internationale Boredom Conference, bei der mehr als 50 Vertreter*innen aus der Sozialpsychologie und Soziologie zum Thema diskutierten. Langeweile dürfte also doch ganz spannend sein.

Langeweile messbar machen

Im Jahr 1986 veröffentlichten Norman Sundberg und Richard Farmer von der University of Oregon in Eugene die sogenannte Boredom Proneness Scale (BPS), die erste wissenschaftlich-systematische Messmethode, die über die simple Frage "Fühlen Sie sich gelangweilt?" hinausging.

Mithilfe von Richtig- und Falschangaben auf einzelne Statements kann so ein Wert ermittelt werden, der den persönlichen Hang zur Langeweile ausdrückt. Die Skala inspirierte andere Forscher*innen, weitere Skalen zu entwickeln. Diese Menge an neuen Möglichkeiten der Messbarmachung brachte eine gewisse Relevanz in das noch fremde Forschungsfeld.

Die BPS hat allerdings Schwachstellen. Da sie bloß Gewohnheiten und Persönlichkeitsmerkmale abfragt, ist sie naturgemäß subjektiv. Sie misst lediglich die Anfälligkeit für Langeweile, nicht ihre Intensität in einer x-beliebigen Situation. Auch John Eastwood, Psychologe an der York University in Toronto, war der Meinung, dass es eine Unterscheidung zwischen situationsbedingter und intrinsischer Langeweile geben muss.

Im Jahr 2013 half er daher mit, die sogenannte Multidimensional State Boredom Scale (MSBS) zu entwickeln. Eine Skala, die mithilfe von 29 Aussagen über die aktuelle Gefühlslage, herausfinden soll, wie sehr eine Person im Moment gerade gelangweilt ist. Damit diese Methode sinnvoll angewendet werden kann, müssen Testpersonen allerdings auch gelangweilt sein. Und eine richtige Langeweile bei Personen hervorzurufen, ist wieder eine ganz andere Herausforderung.

Langeweile auf Knopfdruck

Seit Jahrzehnten werden in der Psychologie wissenschaftlich anerkannte Videos verwendet, um bestimmte Emotionen bei Probanden auszulösen – Zufriedenheit, Trauer, Empathie, Wut und viele andere. Colleen Merrifield produzierte 2014 im Rahmen ihrer Dissertation ein Video, das den Anspruch hatte, Menschen zu langweilen.

Der Inhalt: zwei Männer, die in einem weißen, fensterlosen Raum fünfeinhalb Minuten lang Kleidungsstücke von einem Stapel nehmen und auf eine Wäscheleine hängen. In einer Zeit, in der man auf YouTube weißer Farbe beim Trocknen zusehen kann, ist das Wäscheaufhängen allerdings fast schon wieder spannend.

Viele Wissenschaftler*innen greifen daher nach wie vor lieber auf bestimmte Arbeitsaufgaben zurück, um denselben Effekt zu erzielen. Adressen Korrektur lesen, Schrauben und Muttern zusammendrehen und ähnlich Langweiliges. Die vielen Formen, Langeweile herbeizuführen, sind so dabei unterschiedlich, dass es Forscher*innen bis heute schwerfällt, einzelne Studien miteinander zu vergleichen. Ohne einer standardisierten Methode wird das auch weiterhin so bleiben.

Wissenschaftler*innen der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania haben im Jahr 2014 genau damit begonnen. Im Rahmen einer Studie verglichen sie sechs verschiedene Arten, wie man Langeweile am besten hervorrufen könnte. Die Gewinnerin: eine Tätigkeit, bei der die Teilnehmer*innen am Computer ein Bild von einer Klammer via Mausklick um jeweils eine Viertelumdrehung im Uhrzeigersinn drehen sollten. Immer und immer wieder.

Die Ungenauigkeit der verschiedenen Messmethoden lassen allgemeingültige Aussagen über das Konzept der Langeweile nur schwer zu. Vor allem in Bezug auf Probleme des echten Lebens, die mit Langeweile in Verbindung stehen – zum Beispiel Suchtverhalten, Glücksspiel und Essstörungen.

James Danckert, kognitiver Neurowissenschaftler an der University of Waterloo in Kanada, charakterisiert Langeweile als Mangel an Selbstregulierung: "Es ist die Problematik, sich mit Tätigkeiten in seiner eigenen Umwelt auseinanderzusetzen. Je mehr Selbstbeherrschung jemand hat, desto weniger wahrscheinlich ist er gelangweilt." Dass Langeweile und der Mangel an Selbstbeherrschung trotzdem getrennt voneinander existieren können, sei ihm allerdings bewusst.

Langeweile oder doch lieber Schmerzen?

Trotz der vielen unterschiedlichen Definitionen, Messverfahren und -ergebnisse ist sich der Großteil der Wissenschaft einig, dass die meisten Menschen vieles dafür tun würden, nur um nicht mehr gelangweilt zu sein.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 würden sich viele lieber selbst schwache Elektroschocks geben als auch nur 15 Minuten mit Nichtstun zu verbringen. In einer weiteren Studie, bei der Testpersonen unbegrenzten Zugriff sowohl auf Süßigkeiten als auch auf Elektroschocks hatten, nahm das Verlangen nach beidem je nach Stärke der Langeweile zu.

Irgendeine Art von Beschäftigung oder Empfindung, seien es auch negative, scheinen uns offensichtlich lieber zu sein, als Langeweile zu empfinden. Solange sich die Wissenschaft selbst noch nicht im Klaren darüber ist, wie Langeweile genau unser Leben beeinflusst, können wir uns also weiterhin getrost zur Schokolade greifen. Zumindest haben wir eine gute Ausrede dafür.

Wie es aussieht, ist die Wissenschaft bei der Erforschung des Langeweile-Konzepts noch nicht so richtig weit gekommen. Es wurden Messbarkeits-Skalen und diverse Methoden entwickelt, um Menschen möglichst effektiv zu langweilen. Aber wohin hat es geführt?

Wissenschaftler*innen wollen zukünftige Forschungen auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Langeweile und anderen Geisteszuständen konzentrieren. Zusätzlich sollen vermehrt Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Kulturen an langweiligen Tests teilnehmen, um später vielleicht das Lernverhalten positiv zu beeinflussen. Wir dürfen daher gespannt sein, wie spannend Langeweile noch werden kann.