Der kommende Sonntag ist der vorletzte Halt, den die Piratenpartei auf dem steilen Weg nach unten anfährt: Die Netzpartei wird aller Voraussicht nach aus dem Landtag von Schleswig-Holstein fliegen. Eine Woche später droht ihr dasselbe Schicksal in Nordrhein-Westfalen. In beiden Bundesländern haben vor fünf Jahren noch knapp acht Prozent der Wähler*innen den Piraten ihre Stimme gegeben. Jetzt tauchen die Orangefarbenen nicht mal mehr in den Umfragen auf.

Michele Marsching gibt noch nicht auf. Der 38-Jährige ist Spitzenkandidat der Piraten in NRW und befindet sich in der heißen Phase des Wahlkampfes. "Wir müssen zeigen, dass es uns noch gibt. Viele wissen gar nicht, dass wir im Landtag sitzen", sagt der Politiker. Er sei immer davon überzeugt gewesen, dass sich gute Arbeit von alleine auszahle. Gerade merkt er, dass das nicht so ist.

"Wir haben gedacht, dass wir schneller etwas verändern können", sagt der Fraktionsvorsitzende. "Doch als kleine Partei konnten wir nichts verändern." Dementsprechend groß sei die Enttäuschung bei der Partei und den Wähler*innen.

Von Null auf 'Jetzt macht mal'

Ähnliches hat auch Christoph Bieber beobachtet. Der Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit der Piratenpartei auseinandergesetzt. Der erste Erfolg der Piraten – der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus 2011 mit 8,9 Prozent – hatte mehrere Gründe, erklärt er: Die Unzufriedenheit mit der damals regierenden Koalition, die modernen Themen und die Ankündigung, alles anders zu machen als das Establishment. "Das war eine günstige Gelegenheit, die genutzt wurde."

Danach hätten die Piraten es jedoch nicht geschafft, sich produktiv im politischen Prozess einzubringen, erklärt der Professor. Außerdem seien sie von den Medien sehr kritisch beobachtet worden. "Da gab es keine Schonzeit. Doch was will eine Partei mit acht Prozent schon liefern?", fragt er rhetorisch. "Zumal sie von den anderen Parteien anfangs komplett isoliert wurde."

Die Piraten haben das Netz groß rausgebracht

In Zukunft, glaubt er, werden die Piraten wieder das sein, was sie vor 2009 waren: Eine Kleinst- und Nischenpartei, die etwa ein Prozent der Stimmen holt. "Dennoch bin ich überzeugt, dass es die Piraten gebraucht hat", betont Christoph Bieber. Der Schock der Piraten-Wahlerfolge sei nötig gewesen, damit sich die anderen Parteien mit Themen wie Netzpolitik, Digitalisierung oder Industrie 4.0 auseinandersetzen. "Da waren die Piraten ein wichtiger Katalysator, doch als Partei haben sie ihre Wirkungszeit überschritten."

Dass die Piraten bald wieder bedeutungslos sein könnten, hätte Nicklas nicht gedacht. Der 23-Jährige studiert Multimedia-Design und gab der Partei bei der Bundestagswahl 2013 seine Stimme. "Und ich würde sie auch wieder wählen", sagt er. Vor allem bei den Themen Bildung und Einwanderung sei er mit den Piraten einer Meinung. "Und die Themen Netzfreiheit, Internet-Zensur und Digitalisierung sind ja wichtiger denn je."

Wird es ein Comeback geben?

Davon ist auch Michele Marsching überzeugt. Und dennoch erreicht er die Wähler*innen nicht mehr. Ein Großteil von ihnen sei einem Medienhype entsprungen, erklärt er. "Die haben uns damals als reine Protestpartei wahrgenommen, weil wir alles anders machen wollten. Dabei sind wir das Update, nicht die Revolution." Wer heute aus Protest wählt, wähle nicht mehr die Piraten, sondern die AfD. "Das ist doof, aber das kann ich nicht ändern."

Für den Politiker sind die Piraten dennoch kein Phänomen der Vergangenheit. "Die Partei verschwindet ja nicht in dem Moment, wo sie nicht mehr in Landtagen vertreten ist." Die außerparlamentarische Opposition könnte laut Michele Marsching auch die Chance sein: "So können wir das, was wir theoretisch angesprochen haben, auf neue Fundamente stellen."

Für ihn selbst habe sich ohnehin wenig geändert, sagt er. "Als ich in die Partei eingetreten bin, hatte sie 0,9 Prozent. Da sind wir jetzt in Umfragen wieder." Wenn die Piraten-Themen wieder in der Gesellschaft diskutiert werden, brauche es die Partei als Vehikel, sie umzusetzen, ist er überzeugt. "Wir haben es schon einmal geschafft, eine ominöse Kleinstpartei stark zu machen."