Anfangs kaut er noch auf seinem Finger herum, als könnte er damit die Tränen zurückhalten. Doch langsam, aber sicher werden Lars Eidingers Augen feucht. "Ich finde, unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet, was Hass und Missgunst angeht", erklärt der Schauspieler bei der Berlinale-Pressekonferenz des Dramas Persian Lessons.

Er ist sichtlich ergriffen, als er weiterspricht: "Und das ist natürlich dann umso tragischer, wenn man versucht, ganz platt Liebe in die Welt zu tragen und kriegt dafür Hass als Antwort." Am Ende seiner Rede: Applaus der Anwesenden. Der rbb lud einen Mitschnitt dieses Moments auf Twitter hoch und titelte das gerade einmal etwas mehr als eine Minute lange Video mit "Lars Eidinger bricht beim Gedanken an Hanau in Tränen aus".

Worum geht es überhaupt?

Wer das Video aufmerksam schaut, dürfte allerdings schnell feststellen, dass Eidinger selbst gar keinen Bezug zu Hanau herstellt. So passen einige Aussagen auch gar nicht in den Kontext: "Ich versuche, durch die Kreativität mich selbst zu begreifen oder die Welt zu begreifen oder die Gesellschaft zu verstehen", sagt er etwa.

Tatsächlich wurde Eidinger auf der Pressekonferenz zu seiner Rolle als Nazi-Offizier im Film Persian Lessons befragt. Dabei kam er auf den Schriftsteller Stefan Zweig zu sprechen, der nach dem Ersten Weltkrieg ein Medium gefordert habe, das bei der moralischen Entgiftung der Gesellschaft helfe. Das Internet sei ja genau dieses Medium, führte Eidinger laut Deutschlandfunk aus, es werde aber genau fürs Gegenteil genutzt. Das sei Anlass für ihn, dagegen zu kämpfen und ein bisschen der Grund für seine Omnipräsenz.

Der rbb entschuldigte sich einen Tag später dafür, den Zusammenhang zum Terroranschlag hergestellt zu haben:

Privilegiert und selbstverliebt

Nichtsdestotrotz polarisierten Eidingers Tränen. Viele Twitter-Nutzer*innen empfanden Eidingers Worte als reine Farce und sahen darin gespielte Betroffenheit: "Schlimmer als dieses privilegierte Gewimmer ist nur die beifallklatschende Presse, die wohl denkt, einen magic moment der ach so geilen Berlinale erlebt zu haben", schreibt ein*e User*in. "Können wir nach #Hanau bitte gerade nicht die Gesichter weinender toxischer Männer zeigen, die Terror als Anlass benutzen, über ihre Arbeit an der 'Liebe' zu sprechen?", ein anderer. Oder auch: "Lars Eidinger, der mit ner 550-Euro-Tasche im Stile einer Alditüte vor einem Obdachlosennachtlager posiert, heult darüber, wie vergiftet unsere Gesellschaft ist. Genau mein Humor."

In der taz kommentiert Journalist*in Hengameh Yaghoobifarah den emotionalen Ausbruch des Schauspielers mit: "In einer Zeit, in der Schwarze, jüdische, muslimische, migrantische und nichtweiße Deutsche um durch rechten Terror Ermordete trauern und um ihre eigene Sicherheit fürchten, schleust Eidinger ein gesellschaftspolitisches Thema als trojanisches Pferd ein, nur um über sich selbst zu labern."

Auch die ersten Memes ließen nicht lange auf sich warten:

Ob die Kritik berechtigt ist? Autorin Sophie Paßmann merkt an, dass – sofern Eidingers Tränen echt sind – ihm seine Gefühle schlichtweg abgesprochen werden. Auch der Podcaster und Autor Tommi Schmitt mischt sich in die Debatte ein. Er twittert: "In der 'Causa Eidinger' geschieht gerade das Deutscheste, was ich je gesehen/vernommen habe: Es wird der Beweggrund kritisiert, warum jemand weint."

Lars Eidinger äußerte sich bislang nicht zu der Kritik. Er postete den Ausschnitt der Pressekonferenz lediglich auf seinem Instagram-Account.