"Die meisten zieht es in die Stadt"

Dabei fängt der Tag eigentlich überaus idyllisch an. Der Spätherbst ist so golden, dass der dichte Fichtenwald in Oberösterreich nahe der tschechischen Grenze malerisch im Sonnenlicht glänzt. Rot-gelb-orange Blätter fallen auf Wiesen und Wege. Die Luft ist frisch und doch angenehm warm für den Oktober. Perfekte Umstände, um Herzen zu erobern. Eigentlich.

"Hier gibt es hauptsächlich Milchbauern", erzählt der Taxifahrer, der in der Region aufgewachsen ist, während er den Wagen über die sich zum Hotel hochschlängelnden Straßen steuert. "Aber es werden immer weniger, die meisten zieht es in die Stadt." Das Flirtfest findet in einem Single-Hotel mit Pool und Wellnessbereich statt, die auch die Anwohner*innen aus den Dörfern gerne nutzen – allerdings nur alleine, denn im Hotel gilt: Pärchen verboten, verlieben erwünscht. Im Zimmer findet sich statt einer Bibel das Buch Die Kunst, allein zu reisen.

Warum wirkt die Landwirtschaft so abschreckend?

Der erste Eindruck lässt erahnen, dass es nicht gut steht um die Liebesleben der Landwirt*innen. Warum braucht es ein eigenes sowie analoges Flirtfest für Landwirt*innen? Was an der Landwirtschaft schreckt Frauen und Männer so stark ab, dass selbst ursprünglich Interessierte nicht erscheinen? Und was bedeutet das für all die alleinstehenden Landwirt*innen?

Antworten sowie Ernüchterung finden sich auf der Alm. Elf angemeldete Teilnehmerinnen sind wie vom Erdboden verschluckt. Der Plan, an diesem Oktoberwochenende die bessere Hälfte zu finden, erscheint nun hoffnungslos für die Landwirte. Der Stachel sitzt tief. Denn der Schock zu Beginn des Flirtfests ist sinnbildlich ist für die Situation der Bäuer*innen in Deutschland und Österreich. Sie kennen den Partner*innenmangel zu gut und erleben immer wieder, wie Landflucht, falsche Vorstellungen von der Landwirtschaft und eine mangelhafte Wertschätzung ihres Berufs die Suche nach Lebensgefährt*innen zur Qual machen.

"Früher genoss ein Landwirt viel höheres Ansehen"

Das Knurren der Teilnehmer ebbt nur langsam ab. "Kasperltheater" ist hier und da noch zu hören, oder ein "morgen reise ich ab, hat ja keinen Sinn". Die Resignation der Landwirte ist spürbar. Trotzdem bleiben alle.

Franz, 31 Jahre, geht gerne schwimmen und liebt die Natur. Ein gemütlicher Kerl samt Dreitagebart. Er spricht schüchtern, aber freundlich. Franz betreibt eine Schweineaufzucht in Österreich. Auf das Flirtfest hat der junge Landwirt sich gefreut, weil man da gleich "mehrere potenzielle Partnerinnen zur Auswahl und einen persönlichen Kontakt und Austausch hat". Natürlich habe Franz mehr Frauen erwartet, aber "leider haben die irgendeine Scheu". Er seufzt. Es liege an der fehlenden Wertschätzung für seinen Beruf, dass die Partnerinnensuche so schwer sei: "Früher genoss ein Landwirt viel höheres Ansehen."

'Bauer sucht Frau' schreckt viele ab.
Robert

Robert Herzog, ebenfalls Typ gemütlicher Bauer von nebenan, richtet seine Sonnenbrille und streicht sich über seine ausgewaschene Bluejeans. Der 35-Jährige überragt mit knapp zwei Metern die anderen Teilnehmer*innen und pflichtet Franz bei: "Ich denke, dass die Landwirtschaft in gewissen Bereichen an Wertigkeit verloren hat." Teilweise kämen zu ihm aber heute wieder junge Kund*innen aus den Städten, die ein Bewusstsein für Qualitätsprodukte hätten, gerne regional einkauften und bereit seien, etwas höhere Preise zu bezahlen.

Die Partner*innensuche erleichtere das indes nicht. Robert, der Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert hat und dann zurückkehrte auf den elterlichen Rinderhof, sucht seit drei Jahren auf verschiedenen Partner*innenbörsen eine Lebensgefährtin. Erfolglos. Davor hatte er zwar ein paar Beziehungen, aber sie waren nur von kurzer Dauer. Trennungsgrund war oft die Landwirtschaft. "Das Interesse der Frauen ist immer schnell verflogen."

Warum nur? Robert lastet die fehlende Wertschätzung einem falschen und extremen Bild an, das von der Landwirtschaft vermittelt wird. "TV-Sendungen wie Bauer sucht Frau schrecken viele ab", sagt er. Frauen glaubten fälschlicherweise, man müsse nonstop arbeiten und hätte keine Zeit. Oder, dass sie kein selbstständiges Leben führen und nicht selbst arbeiten könnten. Landwirt sei zwar eine anstrengende Arbeit, meint Robert, habe aber wie alle anderen Jobs Vor- und Nachteile. "Am Wochenende stehst du natürlich auch morgens auf und fütterst die Tiere. Dafür hast du die Ruhe und die Natur, in der andere Urlaub machen."

Alkohol schafft Abhilfe

Stille. Die Landwirt*innen spüren, dass sie nicht den attraktivsten oder einen zeitgemäßen Job haben. Die erfolglose Partner*innensuche deprimiert – und zeigt, dass ein analoges Flirtfest speziell für Bäuer*innen durchaus Sinn ergibt. Wenn denn mehr Frauen gekommen wären.

Eine Wanderung mit Jäger Otto, seines Zeichens auch Schnapsbrenner, bringt dankbare Abwechslung. Die Stimmung lockert sich, weil der Jäger gleich ein paar selbstgebrannte Schnäpse dabei hat. Aufatmen. Bei der anschließenden Bier-Verkostung sind die ersten Gläser schnell geleert und spätestens nach dem dritten Pfiff Bier wird wieder schallend gelacht. Erleichterung. Was als Flirtfest gedacht war, reift zu einem Männerabend inklusive Bogenschießen und Saunagang.

Auch Frauen auf dem Land haben Probleme bei der Partner*innensuche

Mittendrin immer noch: die Henne im Korb, die einzige Flirtfesteilnehmerin. Sarah*, 34 Jahre – mittelgroß, schwarze Haare, Jeansshorts – ist auf einem Hof in Ostdeutschland aufgewachsen, lebt in Bayern und will ihren richtigen Namen lieber nirgends lesen. "Als ich erst mal nur Kerle gesehen habe, wäre ich fast auf Toilette verschwunden und nie mehr wiedergekommen", lacht sie über den Anfangsschock. "Dann wurde aber mein Name schon aufgerufen und es war zu spät." Zwar seien die anderen alle "ganz lieb", aber für sie sei nicht "der Richtige" dabei.

Auch für eine Frau im Landwirtschaftsbereich ist die Partner*innensuche kompliziert. Neun der elf Flirtfest-Absagerinnen kamen aus dem landwirtschaftlichen Bereich, drei hatten einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb. Sarah wuchs auf einem Hof in Ostdeutschland auf, doch fand sie einfach keinen Lebensgefährten. Für Männer aus anderen Bereichen war das Leben in einem Landwirtschaftsbetrieb meist nicht vorstellbar und andere Landwirte erwarteten von ihr, dass sie auf ihre Höfe umziehe. Deshalb verließ Sarah ihr Elternhaus, zog nach Bayern und wurde Konditorin, um weniger ortsgebunden zu sein. Die Landwirtschaft mag sie immer noch und hofft weiterhin auf einen Partner aus dem Bereich.

Landflucht: Drei Viertel der Deutschen leben in Städten

Als ein großes Problem für das Dating auf dem Land identifiziert Sarah die Landflucht. "Junge Leute ziehen in die Stadt, weil sie die Schnauze voll haben vom Landleben", sagt sie: "Auf dem Land gibt es keinen Bus und keine S-Bahn, keine Disco, wenig Einkaufsquellen und weniger potenzielle Partner."

In Deutschland verschwinden in der Tat immer mehr Höfe. Von 2013 bis 2016 fiel die Anzahl der Viehhaltungsbetriebe um acht Prozent, die der Schweinefleischerzeuger*innen sogar um 18 Prozent. Manch potenzielle*r Partner*in mag auch aus Zukunftsangst nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben wollen. In Bayern zum Beispiel wächst vor allem die Stadtbevölkerung. War das Verhältnis zur Jahrtausendwende etwa ausgeglichen, so lebten 2017 schon 6,9 Millionen Menschen in den bayerischen Städten und 6,1 Millionen auf dem Land. In Ostdeutschland ist die Landflucht noch größer und insgesamt sind in Deutschland mehr als drei Viertel der Menschen in Städten zu Hause.

Später am Abend geht’s in die hoteleigene Alm. Rustikale Holztheke, Biertische mit Blümchendecken, mit Kuhfell überzogene Hocker, Hirschgeweihe an der Wand. Neben gewöhnungsbedürftigem Schlager-Pop und noch mehr Bier gesellen sich jetzt auch weibliche Hotelgäste dazu. Die Landwirte wittern ihre Chance. Doch jahrelange Absagen haben das Selbstvertrauen der Bauern nicht gerade gesteigert. Und so dauert es, bis ein paar Mutige erste Ansprechversuche unternehmen.

Tief verwurzelt auf dem Land

Franz und Robert haben die Hoffnung noch nicht verloren. "Ich bin überzeugt, dass ich die richtige Partnerin finden kann, auch im landwirtschaftlichen Bereich", sagt Schweinebauer Franz. Die Frauen sollten sich einfach mehr trauen. Auch Robert kann beim Thema Dating noch lachen: "Ich sitze jetzt auch nicht jeden Abend vor dem Computer und schaue mir 1.000 Frauen an." Ein faireres und korrekteres Bild der Landwirtschaft in den Medien und mehr Verständnis gegenüber Landwirt*innen wären seiner Meinung nach sehr hilfreich.

Ihre Berufe aufgeben und in die Stadt ziehen wollen Franz und Robert jedenfalls nicht. Zu viel hängt an ihnen und ihren Betrieben, zu viel haben sie investiert, zu viele Wurzeln haben sie geschlagen. Und der Job in der Natur und mit Tieren macht ihnen einfach Spaß. Aber es ist auch eine Werteentscheidung: Generationen schon haben ihre Höfe vor ihnen geführt, ihre Eltern haben in die Betriebe ihr Herzblut gesteckt. Sie erwarten, dass Franz und Robert übernehmen, wie es auf dem Land halt üblich ist.

Manchmal fühle ich mich allein.
Sarah

Das ruhige Landleben mag für Stadtmenschen romantisch erscheinen. Vor Ort sorgt es bei jungen Leuten für ernsthafte Probleme. Die Dating-Schwierigkeiten der Landwirt*innen versinnbildlichen einen traditionellen Wirtschaftszweig, der große Veränderungen durchläuft, immer weniger Menschen einen Job bietet und dadurch immer unattraktiver wird. Höfe schließen, große Agrarunternehmen dominieren. Der Anteil der in der deutschen Landwirtschaft Erwerbstätigen geht dank moderner Technik seit Beginn des 20. Jahrhunderts bei ansteigender Produktivität stetig zurück: Lag er vor 100 Jahren noch bei 38 Prozent, beträgt er jetzt nur noch knapp zwei Prozent.

Kein Happy End für Franz und Robert. Sie kehren mit leeren Händen nach Hause auf ihre Höfe zurück. Mal wieder. Zurück zu den Tieren, zurück in die Natur, die vermeintliche Idylle. "Ich bin ständig auf der Suche nach dem Partner fürs Leben", sagt Sarah und macht eine Pause. "Manchmal fühle ich mich allein." Die Suche geht weiter.

*Name von Redaktion geändert