Nur 700 Meter lang war sie und doch riss sie Familien und Freund*innen auseinander. Auf halber Strecke zwischen Leipzig und Nürnberg liegt das beschauliche Dörfchen Mödlareuth, dessen Ortskern 37 Jahre lang durch eine Mauer getrennt war. Mödlareuth wurde dadurch zu einem Mikrokosmos deutscher Teilungsgeschichte an der thüringisch-bayerischen Grenze.

Die Ursachen für die Teilung Mödlareuths liegen Jahrhunderte zurück. Im Jahre 1810 wurden entlang des Tannbachs in der Ortsmitte neue Grenzsteine gesetzt. Die eingemeißelten Initialen: KB (Königreich Bayern) auf der westlichen, FR (Fürstentum Reuß) auf der östlichen Seite. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ging der Westteil Mödlareuths in den neu gegründeten Freistaat Bayern, der Ostteil in das Land Thüringen über. Seitdem gibt es bis heute in dem Ort unterschiedliche Postleitzahlen, Autokennzeichen und Telefonvorwahlen, doch das Alltagsleben der Mödlareuther*innen wurde dadurch kaum beeinträchtigt.

Das änderte sich am 26. Mai 1952: Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechend den Londoner Protokollen in vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde, lag der in Thüringen liegende östliche Teil Mödlareuths in der sowjetischen und der westliche im Freistaat Bayern liegende Teil in der US-amerikanischen Besatzungszone.

Mit Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 gehörte nun der Ostteil Mödlareuths zum Territorium der DDR, der Westteil zu dem der Bundesrepublik. Mit dem späteren Beschluss des Ministerrates der DDR über die Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands war die Teilung Deutschlands und auch Mödlareuths endgültig besiegelt.

Anders als in Berlin gab es hier keine Checkpoints

Im Jahr 1966 wurde mitten durch Mödlareuth entlang des Tannbachs eine Betonmauer gebaut. Drei Meter hoch und 700 Meter lang. Anders als in Berlin gab es hier aber keine Checkpoints. Jahrhundertealte wirtschaftliche, gesellschaftliche und familiäre Verbindungen über den Tannbach hinweg kamen damit abrupt zum Erliegen.

Robert Lebegern erinnert sich im Gespräch mit ze.tt an eines der vielen Schicksale aus 37 Jahren Teilung. Er ist Leiter des Deutsch-Deutschen Museums, welches bereits kurz nach dem Fall der Mauer in Mödlareuth errichtet worden war und bis heute an die Geschichte des geteilten Ortes erinnert. Lebegern erzählt von den Gebrüdern Max und Kurt Goller. Die beiden Häuser der mittlerweile verstorbenen Brüder lagen nur wenige Meter Luftlinie voneinander entfernt. Doch dazwischen lag der Tannbach, jenes Flüsschen, das zur Demarkationslinie zwischen Ost und West wurde. Mit dem Bau der Mauer, konnten sich Max und Kurt nur noch über einen sechstündigen Umweg mit dem Zug über das 80 Kilometer entfernte Plauen und Hof besuchen. Hier lagen die nächstgelegenen Checkpoints, die die Brüder passieren mussten, um ins andere Mödlareuth zu gelangen. Möglich war dies allerdings nur für Max, der mit einem Visum aus der Bundesrepublik auf der bayrischen Seite in die DDR einreisen konnte. Kurt sah für über drei Jahrzehnte nur die Hälfte seiner Heimat.

Als George Bush Senior, damals noch US-Vizepräsident, Mödlareuth im Februar 1983 einen Besuch abstattete, nannte er es "Little Berlin". Wie der große Bruder war das kleine Örtchen an der thüringisch-bayerischen Grenze ein Symbol der deutschen Teilung. Dass der neue US-Präsident Ronald Reagan vier Jahre später in West-Berlin vor Tausenden Menschen von Michail Gorbatschow forderte, die Mauer endlich einzureißen ("Tear down this wall!"), ging auch an Mödlareuth nicht spurlos vorüber. Genauso wenig wie die Montagsdemonstrationen, der Rücktritt Honeckers, die Pressekonferenz Schabowskis in Berlin und deren Folgen am Abend des 9. November 1989: der Fall der Mauer in Berlin, die Öffnung der innerdeutschen Grenze.

Von Begriffen wie Ossis und Wessis wollen die Menschen hier gar nichts hören.
Robert Lebegern, Museumsleiter Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth

Doch während nach dem 9. November überall neue Grenzübergänge entstanden, mussten die Mödlareuther*innen noch einen Monat warten, bis die Grenze am 9. Dezember 1989 schließlich auch in ihrem Dorf fiel. Karen Merkner lebt bis heute in dem Ort und arbeitet im Kassenhäuschen des Museums. Als die Grenze unter "Die Mauer muss weg!"-Rufen stückweise geöffnet wurde, empfing sie die thüringischen Mödlareuther*innen mit Schnaps und Glühwein. Es folgten stürmische Begrüßungsszenen und ausgelassenes Feiern bei Bier, Sekt und thüringischen Bratwürsten. 37 Jahre nach der Teilung Deutschlands war aus dem Ost- und Westteil auch ein wiedervereintes Mödlareuth geworden.

Heute leben in Mödlarheut 48 Menschen – 30 auf der thüringischen Seite, 18 auf der bayerischen. "Von Begriffen wie Ossis und Wessis wollen die Menschen hier gar nichts hören", sagt Robert Lebegern. Heute trennt sie nichts mehr, bis auf den Dialekt: Im Westen sagt man Grüß Gott, im Osten Guten Tag.

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