Gestern Abend gab ich zum ersten Mal bei Facebook an, in Sicherheit zu sein. Viele meiner Freund*innen hatten sich Sorgen gemacht. Auf der London Bridge war ein Lieferwagen in eine Menschengruppe gerast. Kurz darauf hatten die Täter in der Nähe am beliebten Borough Market Passant*innen mit Messern attackiert. Sieben Menschen wurden getötet, 48 verletzt. Unter den Verletzten sollen auch Deutsche sein. Inzwischen hat es Hausdurchsuchungen und erste Festnahmen gegeben.

Nick (22), in London geboren, war gerade in der U-Bahn auf dem Weg zu Freund*innen, als die Ansage kam, der Zug halte nicht an der Station London Bridge – wegen eines Polizeieinsatzes. "Als ich dann im Süden aus der U-Bahn kam, erzählten mir meine Freund*innen, was passiert war. Das machte mich einfach nur sauer." Es sei keine normale Samstagnacht mehr gewesen.

"Wenn Leute so unnütz sterben, hast du keinen Bock zu feiern. Das ist aber genau das, was die Terroristen erreichen wollen," sagt Nick. Er ist Tourguide und war heute mit einer Gruppe in SoHo unterwegs – in London der beste Ort, um das Leben und eine offene und inklusive Gesellschaft zu feiern. "Gerade heute müssen wir rausgehen, um einen zu trinken, zu leben und zu lachen", sagt Nick trotzig.

Am heutigen Sonntag ist der Anschlag das alles beherrschende Thema auf der Straße. "Mich haben total viele Freund*innen gefragt, ob ich gestern auf der Brücke war", höre ich einen Typen zu seiner Freundin sagen, als ich an ihnen vorbeilaufe. Die Sonne scheint und viele Leute sitzen in Cafés, Bars und Restaurants. In Chelsea sehe ich einen vollen Biergarten. Die Leute sind draußen unterwegs, so wie immer.

Ich treffe Jasmin (26) aus Deutschland, die über das Pfingstwochenende mit einer Freundin in die Stadt gekommen ist. Zu zweit waren sie gestern Abend in der Nähe der Anschlagsorte etwas trinken. "Wir sind einfach länger in der Bar geblieben und dann irgendwann nach Hause, als es ruhiger wirkte", berichtet Jasmin. Beim letzten Anschlag in London war sie auch zufällig in der Stadt, nun wieder. "Das ändert aber nichts, ich gehe trotzdem raus und will etwas unternehmen." Sie habe sich trotzdem schon einmal Gedanken darüber gemacht, was sie in einer solchen Situation machen würde: "Ich würde einfach rennen."

Britta (27) aus München war nur wenige Stunden vor dem Anschlag auf der London Bridge. "Ich hatte mich gewundert, dass es da keine Absperrungen gab als Sicherheitsvorkehrung, gerade nachdem es ja schon mal einen Anschlag auf einer Brücke gegeben hatte." Heute fühle sich sich trotzdem sicher. "Es sind so viele Touristen unterwegs, das gibt mir ein gutes Gefühl."

Selfies mit dem Big Ben

Ich fahre zum Big Ben, dem bekannte Glockenturm neben dem Parlament, dem politischen Herzen des Landes. Es ist der Ort, an dem bereits vor etwas mehr als drei Monaten ein Terroranschlag stattfand. Die Gegend ist immer voller Tourist*innen, so auch heute. Selfies mit dem Big Ben, Foto in Pose an einer roten Telefonzelle, ziemlicher Alltag. "Es ist viel ruhiger als sonst", berichten mir zwei Polizisten. Bei so gutem Wetter an einem Sonntag seien sonst viel mehr Leute in der Stadt unterwegs. Die Tourist*innen wirkten auf sie jedoch entspannt: "Wie sonst auch kommen sie zu uns, fragen nach dem Weg oder ob sie ein Foto mit uns machen können."

Die beiden Beamten sind normalerweise im Stadtbezirk Harrow im Nordwesten Londons stationiert. Aufgrund der höheren Sicherheitsbestimmungen entsendete heute jeder der 32 Londoner Bezirke mindestens sieben Polizist*innen in die Innenstadt. In Zweierteams spazieren sie mit ihren neongelben Uniformen durch die Stadt und sollen den Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

"Unsere Schicht ging um sieben Uhr los und wir werden bestimmt bis 23 Uhr unterwegs sein", erzählen sie. "Das ist lang, aber wir sind uns der besonderen Situation bewusst, es muss einfach sein." Darüber hinaus seien auch viele Zivilipolizist*innen in der Stadt unterwegs. In den britischen Medien gab es viel Lob für die Sicherheitsbehörden. Sie hätten gestern Nacht gut reagiert und noch Schlimmeres verhindert.

Der Bürgermeister hat keine Zeit für Trumps Tweet

"Wir sind die sicherste globale Stadt der Welt", versicherte Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Die Menschen sollten sich keine Sorgen machen, dass mehr Polizist*innen als sonst in der Stadt seien. Donald Trump kritisierte ihn daraufhin auf Twitter, indem er Khans Aussage sinnentstellend und ohne den Bezug auf die verstärkte Polizeipräsenz wiedergab: "Mindestens 7 tot und 48 verletzt durch Terroranschlag und Londons Bürgermeister sagt, 'kein Grund zur Sorge!'"

Ein Sprecher des Bürgermeisters sagte daraufhin, Khan habe keine Zeit auf einen solchen Tweet zu reagieren. Er sei zusammen mit den Sicherheitsbehörden damit beschäftigt, die Tat aufzuklären.

Es war nicht der einzige Tweet Trumps zum Anschlag in London. Er wiederholte seine Forderung nach einem strikten Einreiseverbot, das von US-Gerichten bisher immer wieder abgelehnt wurde. Man müsse zudem aufhören, politisch korrekt zu sein und endlich anfangen, die Bevölkerung zu schützen.

Die britische Premierministerin Theresa May von der konservativen Tories sagte indes dem Extremismus den Kampf an und wetterte gegen das Internet und Firmen wie Google und Facebook, die extremistischen Ideologien eine Plattform bieten würden. Die Zeitung The Guardian kommentierte, May mache es sich zu leicht, das Internet zum Sündenbock zu machen.

Mays Herausforderer bei den Wahlen, Jeremy Corbyn von der Labour-Partei, warf ihr vor, sie hätte zu viele Einsparungen bei Polizeikräften zugelassen. Laut Corbyn solle die Polizei tun dürfen, was immer nötig sei, um Leben zu schützen. Nach den Anschlägen fünf Tage vor der Wahl ist klar: Es sind die Themen Sicherheit und Terror, die diese Wahl bestimmen werden.