Als Emmanuel Macron am Sonntagabend die Pforte zum Louvre betrat, wo Tausende seiner jubelnden Wähler*innen auf ihn warteten, setzte laut Musik ein. Es war die Europahymne, Beethovens Ode an die Freude – nicht die französische Nationalhymne. Das ist als öffentliche Geste, als Statement zu verstehen: Ich will Präsident eines europäischen Frankreichs sein.

"Eine immense Aufgabe liegt vor mir", sagte er in seiner Rede gegen 22 Uhr auf der Bühne, "ich werde nicht leichtfertig mit eurem Vertrauen umgehen". Er sprach damit die vielen Wähler*innen an, die sich durch das Wahlsystem betrogen und nicht repräsentiert fühlen. Diejenigen, die ihm nur mangels einer echten Alternative ihre Stimme gaben. Sie werden ihn in den kommenden fünf Jahren an diesen Worten messen.

Schon im Vorhinein war der Protest groß. Tausende gingen nach einer Petition absichtlich erst nach 17 Uhr wählen. Bei der ersten Hochrechnung um 20 Uhr waren die Stimmen, die nach 17 Uhr abgeben wurden, noch nicht enthalten. So wollten die Protestwähler*innen die Zahl der potenziellen Nicht-Wähler*innen in die Höhe treiben und ein Zeichen setzen: Wir heißen weder Macron noch seine Gegnerin Marine Le Pen gut, aber fühlen uns unter Zugzwang. Sie wünschen sich einen Präsidenten für die, die es nicht immer leicht hatten in ihrem Leben, einen, der die Abgehängten repräsentiert.

Seine Herausforderin Le Pen, die er mit großem Vorsprung hinter sich lassen konnte, machte damit Wahlkampf: den sozial Schwachen, den Armen, eine neue Perspektive zu geben. Doch die rechts-konservative Populistin wäre eine Zumutung gewesen – das merkten die französischen Wähler*innen spätestens im letzten TV-Duell, wo Le Pen einerseits über ihre politischen Inhalte log und andererseits Macron unter der Gürtellinie attackierte. Auch aufgrund dieses Fauxpas haben sich viele Französ*innen noch einmal umentschieden.

Wofür steht Macron eigentlich?

Macron dürfte das wissen. Und auch, dass seine Präsidentschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Der 39-Jährige möchte das Land radikal umbauen, wie er sagt, er will ein neues Sozialversicherungssystem schaffen, die 35-Stunden-Woche noch weiter lockern und den Druck auf Arbeitslose erhöhen, eine Beschäftigung anzunehmen. Außerdem will er, dass sich Frankreich stärker in die EU einbringt, gerade wenn es um mögliche Reformen geht.

Die Freude darüber, das Schlimmste abgewendet zu haben, ist da. Viele der Wähler*innen sind erleichtert – aber nicht zufrieden. Macron ist für sie nicht mehr als ein dürftiger Kompromiss. Er zeigte sich nämlich auch als Politiker, der sich nicht so wirklich festlegen wollte, weder links noch rechts sei, vor allem bei Reizthemen wie Kriminalität und Migration. Macron sagt, er möchte sich um Bildung, Arbeit, Wirtschaft, Sicherheit, Außenpolitik und die sogenannte Demokratische Erneuerung kümmern. Das ist austauschbar und vage. Vieles von dem, was jetzt passieren wird, bleibt im Ungewissen.

Gerade für junge Wähler*innen ist mit Macrons Wahlsieg und dem abgewendeten Übel nur ein erster Schritt gemacht – die echte Arbeit beginnt jetzt. Mehr als 21 Prozent der Französ*innen haben im ersten Wahlgang den Front National gewählt. Macron bekam für sein Programm nur 23 Prozent der Stimmen. Dass er im zweiten Wahlgang jetzt deutlich siegte, liegt an seiner Gegnerin, nicht an ihm. Scheitert er bei der Umsetzung seiner Versprechen, allen Bürger*innen ein Präsident zu sein, könnte das Wähler*innen dazu bringen, die nächste Wahl zu boykottieren. Das wiederum würde dem rechten Front National unter Le Pen in die Hände spielen. Die Partei könnte in den kommenden fünf Jahren erstarken.

Viele Menschen haben genug von diesem Wahlsystem, das sie dazu zwingt, nur deshalb wählen zu gehen, um Schlimmeres abzuwenden. Sie könnten diese Stimme anders einsetzen – nämlich gar nicht mehr. Und dann könnte der Traum eines europäischen Frankreichs schnell zerplatzen.