Du kennst das: wenn du so lange von links nach rechts wischst, bis du Tinder durchgespielt hast, auf Matches wartest und dich fragst: Bin ich etwa nicht schön genug? Stell dir vor, dir schreibt dort eine Fotografin und bittet dich darum, ihr zu sagen, was du an dir richtig gut findest und was nicht. So begann das jüngste Projekt Trompe L’Oeil von Fotografin Eylül Aslan.

Auf Tinder versuchen alle, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Der Realität entspricht das eher selten, denn Mimik und Stimme liefert ein Selfie nicht mit, stattdessen deine Oberfläche. "Ich war beeindruckt, dass Menschen ein Bild auf Tinder sehen und in einer Millisekunde entscheiden müssen, ob sie die Person darauf gut finden oder nicht. Und dann treffen sie sie und die Person sieht vielleicht ganz anders aus", sagt Eylül Aslan.

Die Fotografin lebt in Berlin und beschäftigt sich in ihren Fotos überwiegend mit weiblicher Sexualität, Körperwahrnehmung und Identität. Für dieses Projekt beschäftigte sie sich mit der Frage nach Schönheit bei Männern – und traf 25 Männer über Tinder. Jeden einzelnen von ihnen bat sie, ihr zu sagen, was er an sich selbst und an ihr besonders attraktiv findet und was er gar nicht an sich mag. Und brachte sie damit an ihre Grenzen.

Auch Männer leiden unter dem Schönheitsdruck

Es ist kein Geheimnis, dass Cis-Frauen in unserer heteronormativen Gesellschaft enormem Druck in Bezug auf ihr Äußeres ausgesetzt sind. Aber auch für Transmenschen und Cis-Männer ist es schwer, ihre eigene Schönheit einfach anzuerkennen: "Es war für alle definitiv einfacher, mir Komplimente zu machen, als mir zu sagen, was sie an sich selbst schön finden", sagt Aslan.

Die Antworten der Teilnehmer hat sie fotografiert: auf der linken Seite ihres Buches Trompe L’Oeil ist immer das zu sehen, was die Männer an sich selbst und an ihr nicht schön finden – auf der rechten das, was sie für attraktiv halten. Die Fotos zeigen nichts als diese Stellen, wodurch die Körper der Fotografierten zu einzelnen, abstrakten Flächen und Strukturen werden. Sie sind nicht mehr als Gesamtperson wahrnehmbar, sondern werden ebenso zerteilt, wie unser wertender Blick es tut, wenn wir über unsere Körper urteilen. Oder wie ein zärtlicher Blick, den wir haben, wenn wir verliebt oder zufrieden einzelne Körperstellen betrachten und uns nicht an ihnen sattsehen können.

In den Interviews mit den Modellen fand Eylül Aslan heraus, dass die Männer dem Glauben unterliegen, ihre Körpergröße sei entscheidend dafür, wie schön sie sind. An der Fotografin gefielen ihnen wiederum ganz unterschiedliche Dinge. Auch das, was sie nicht ganz so sexy fanden, war selten dasselbe. Manche fanden die Ohren zu klein, andere die dunklen Augen zu dunkel, wieder andere genau das selbe Körperteil besonders toll. Das zeigte einmal mehr: Schönheit liegt im Auge der Betrachter*innen. Die eine Sache, die dich schön macht – gibt es nicht.

Die schmerzhafte Konfrontation mit sich selbst

Für sie selbst war der Prozess an dem Foto-Projekt teilweise schmerzhaft, aber lehrreich, denn sie wurde bei diesen besonderen Tinder-Dates mit ihren eigenen Unsicherheiten konfrontiert. "Wenn ich etwas selbst an mir nicht mag und dann sagt mir jemand, dass sie das an mir nicht schön finden, dann verletzt mich das." Gegen Kritik an Dingen, die sie an sich liebt, ist sie hingegen resistent.

Eylül Aslan wurde in ihrer türkischen Heimat als Kind für ihr Aussehen so sehr gehänselt, dass ihr erster Freund sie vor seinen Kumpels geheim hielt. Ihre Brüste waren angeblich zu klein, die Lippen zu schmal. Sie fragte sich schließlich, ob es um die Meinung der anderen geht oder darum, wie du dich selbst siehst. Und entschied sich für sich selbst. Das versuchte sie auch den Männern zu vermitteln, die sie fotografierte.

Denn der Druck, der auf ihrer Jugendliebe lastete – eine Person begehren zu müssen, die auch von anderen attraktiv gefunden wird – ist einer, den Eylül Aslan auch im Rahmen des Projekts bei den Männern beobachtet hat: "Für die Männer ist es anders kompliziert. Sie müssen sich auch noch dafür rechtfertigen, zu wem sie sich hingezogen fühlen."

Aber wer entscheidet, was schön ist und was nicht?

Überall leuchten uns bis zur Post-Perfektion retuschierte Gesichter entgegen. Dass nicht mal die Models selbst in Wirklichkeit so aussehen, wissen wir, und dennoch macht der Anblick etwas mit uns. Eylül Aslan glaubt, unsere kapitalistische Gesellschaft ist der Grund für den ständigen Zwang zur Selbstoptimierung. Konzerne verdienen an Makeln: "Es gibt Cremes für deine Nasenlöcher, für dein Gesicht, für deinen Po. Es werden Probleme kreiert, die in erster Linie keine waren, damit Produkte verkauft werden können."

Man könnte meinen, dass wir längst wissen, dass wir einzigartig und in Ordnung sind, aber "uns wird nicht beigebracht, uns selbst zu lieben". Das will die Fotografin ändern. "Es gibt nicht so was wie einen Standard, der entscheidet, wer attraktiv ist und wer nicht. Wenn ich mich also heute schön fühle, dann bin ich das. Wenn nicht, dann nicht."

Niemand ist frei von dem Bestreben nach Wertschätzung. Aber, wenn du dir selbst erlaubst, dich schön zu finden, ist laut Eylül Aslan schon mal einiges gewonnen.