Es sind alte Mauern, in denen Deutschlands jüngste Sterneköchin kocht. Vor über 500 Jahren wurde Schloss Loersfeld, auf dem Julia Komp, 28, arbeitet, westlich von Köln gebaut. In der Eingangshalle knistert ein offener Kamin, im Gastraum riecht es leicht nach verbranntem Holz. Die rosafarbenen Stoffservietten auf den runden Tischen sind ordentlich gefaltet, eine gleicht der anderen. Um die Tische stehen wuchtige Lehnstühle aus Holz. Hier könnte auch eine Jane-Austen-Verfilmung mit Keira Knightley gedreht werden.

Deutlich moderner und exotischer geht es im gleichnamigen Restaurant zu: arabische Falafel, das chinesische Reisdessert Tang Yuan oder Tom-Ya-Gai oder eine thailändische Hühnersuppe mit Kokosmilch werden hier serviert. Bevor Julia Komp vor etwa zweieinhalb Jahren von der stellvertretenden Küchenchefin zur Chefköchin aufstieg, standen noch gutbürgerliche, anspruchsvolle regionale Gerichte auf der Karte. Statt Rehrücken kochen sie und ihr fünfköpfiges Team nun, was Komp bei ihrer einer ihrer letzten Reisen inspiriert hat.

Dabei hat es Julia Komp vor allem Tunesien angetan. Von klein auf war sie mehrmals im Jahr dort und reist immer noch regelmäßig in ihre zweite Heimat, wie sie es nennt, wo ihre Großeltern ein Ferienhaus besitzen. Sie erzählt begeistert von den dort ansässigen Gewürzmanufakturen, der Essenstradition und der größeren Wertschätzung, die den Mahlzeiten dort im Vergleich zu Deutschland entgegengebracht wird. Ihren Großeltern hat sie übrigens nicht nur die Leidenschaft für die arabische Küche, sondern auch ihren Beruf zu verdanken. Als Besitzer*innen eines Reisebüros kamen die beiden viel rum, Julia Komp hat sie als Kind häufig in tolle Hotels begleitet und durfte hin und wieder bei Führungen in die Küchen mitmachen. Das hat sie fasziniert. Nach dem Abitur machte sie schließlich eine Ausbildung zur Köchin im Kölner Sternerestaurant Zur Tant.

Das Erfolgsrezept: Ehrgeiz, jeden Tag aufs Neue

Gerade bereitet Julia Komp Börek zu. "Das ist ein türkisches Nationalgericht, bei uns in hübsch gemacht", erklärt sie, und formt beim Wort "hübsch" mit ihren Fingern Hasenohren. Dann gibt sie eine dunkelgrüne Spinatsoße in einen tiefen Teller. Darauf kommt eine kleine Runde Scheibe Filoteig, der aussieht wie flache Kartoffelchips. Darüber drapiert sie geschnittene Kalbsbäckchen, noch eine Scheibe von dem Teig und Spinat. Zum Schluss reibt Komp Schafskäse über das Gericht und garniert es mit kleinen Kügelchen aus Olivenöl, die gelber Kaviar sein könnten. Fertig ist ein kleines Kunstwerk. "Wir haben die Geschmäcker in seine Bestandteile zerlegt und neu zusammengebaut." Auch wenn das Wort ausgelutscht klingt, gibt sie zu, wolle sie "eine Geschmacksexplosion erzeugen. Die Leute sollen denken, sie sind in einer anderen Welt."

Als wir auf der Liste standen, war ich zum ersten Mal in meinem Leben sprachlos." – Julia Komp

Die neuen Zutaten und Rezepte haben offensichtlich auch die Michelin-Tester*innen überzeugt. Im November 2016 verkündete der Guide Michelin, dass Julia Komp den Stern ihres Vorgängers verteidigt hat, genau ein Jahr nachdem sie Küchenchefin geworden ist. "Das war ein verrückter Tag", erzählt sie. In der Küche habe ständig jemand den Aktualisieren-Button auf der Homepage geklickt. "Als wir auf der Liste standen, war ich zum ersten Mal in meinem Leben sprachlos. So ein Tag wird nie wieder kommen." Die Begeisterung und Anspannung von damals ist ihr auch heute noch anzumerken.

Der Guide Michelin ist mehr als ein jährlicher Hotel- und Restaurantführer, seine vergebenen Sterne sind die Auszeichnung der Branche. Die meist unübersehbar am Eingang angebrachte rote Plakette ist ein wichtiges Werbeinstrument für Restaurants. Zweimal im Jahr kommen Tester*innen, die sich nicht zu erkennen geben, und bewerten die Küche. Worauf genau es ankommt, bleibt ein Geheimnis. Auf jeden Fall zählt eine gleichbleibend hohe Qualität des Essens. So bleibt der Druck, auch wenn der Stern vorerst da ist. Niemand weiß, wann die Inspektor*innen wieder auf Schloss Loersfeld speisen, um die begehrte Auszeichnung zu vergeben.

"Letztes Jahr habe ich es übertrieben"

Für den ersten Stern hat Julia Komp ehrgeizig gekämpft: "Vom ersten Tag meiner Ausbildung an wollte ich Sterneköchin werden", sagt sie. Heute ist sie eine von wenigen deutschen Frauen, die sich als solche bezeichnen können. Unter den in Deutschland genau 300 mit einem, zwei oder drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Köch*innen befinden sich laut Angaben von Michelin nur neun Frauen. Unter Köch*innen, die keinen Stern haben, ist das Verhältnis weniger unausgewogen, aber dennoch eindeutig: Laut Bundesagentur für Arbeit ist etwa ein Drittel aller Fachkräfte weiblich. Unter allen Auszubildenden sind gemäß Deutscher Industrie- und Handelskammer nur 22 Prozent Frauen.

Der Beruf ist körperlich anstrengend, Kistenschleppen gehört zum Alltag. Der Umgangston in der Küche kann schroff sein. "Man muss zäh sein", sagt Julia Komp. Dazu komme das "Familienproblem", wie die 28-Jährige es nennt: "Für mich wäre es unmöglich, diesen Job mit einer Familie zu schaffen." Während andere samstagabends schon die ersten Drinks intus haben, steht Julia Komp noch in der Küche. "Wem Freizeit wichtig ist, für den ist Küchenchef der falsche Beruf." Viele wüssten gar nicht, dass sie mehr macht als kochen. Sie ist auch für die Facebookseite des Restaurants und die Bestellungen zuständig und kreiert etwa alle sechs Wochen eine neue Speisekarte. Ihre Liebe für den Beruf, die Leidenschaft und der Ehrgeiz, noch besser zu werden, sind ihr das jedoch wert, betont sie.

Die Rheinländerin ist daneben noch viel unterwegs auf Messen, Wettbewerben, Events. Neulich war sie für ein paar Tage in Dubai, davor für einen Tag in Budapest. "Das sind alles coole Sachen, aber letztes Jahr habe ich es damit übertrieben", sagt sie. Die noch höhere Arbeitsbelastung ist es, wegen der sie sich noch nicht selbstständig gemacht hat. "Eigentlich wollte ich immer ein eigenes Restaurant eröffnen. Aber dann hätte ich gar keine Freizeit mehr."

Das nächste Ziel: der zweite Stern

Auch ein anderer nicht umgesetzter Plan beginnt mit diesem kleinen Wort: "Eigentlich wollte ich auch nur ein Jahr hier arbeiten und dann nach Dubai gehen." Sie habe extra Business Englisch dafür studiert, doch dann kam die Chance, auf Schloss Loersfeld von der stellvertretenden Küchenchefin – im Fachjargon Sous Chefin genannt – zur Küchenchefin aufzusteigen. Das konnte sie nicht absagen. "Und jetzt bin ich immer noch hier", sagt sie und lacht. Denn, und das schiebt sie sofort hinterher, sie hätte es nicht besser treffen können.

Nachdem sie die Speisekarte modernisiert hat, will sie jetzt noch eine neue Zielgruppe erreichen. Statt der "eher älteren, wohlhabenden" Gäste, die das Drei-Gänge-Mittagsmenü für 48 Euro bestellen oder sich am Abend sieben Gänge für 143 Euro gönnen, möchte sie mehr jüngere Leute ins Sternerestaurant locken – und diese durch Qualität überzeugen. Immerhin kommen schon jetzt mehr und mehr junge Paare zum Heiraten auf das Schloss, die danach wieder im Restaurant sitzen, weil es ihnen so gut geschmeckt hat. Gleichzeitig hat Julia Komp schon die nächste Auszeichnung im Blick. "Für den zweiten Stern kämpfe ich."