Am 11. Juli 1995, im letzten Jahr des Bosnienkriegs, begann der erste Völkermord auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Massaker von Srebrenica gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa nach 1945. Bosnisch-serbische Truppen ermordeten im Laufe mehrerer Tage mehr als 8.000 Bosniak*innen. Obwohl Srebrenica damals eine Schutzzone der UN war und die Menschen davon ausgingen, sie seien in Sicherheit.

Heute noch werden Leichen und Leichenteile der Opfer gefunden. Auch am 25. Jahrestag des Verbrechens von Srebrenica wird man wieder sterbliche Überreste von Opfern im Rahmen des Gedenkens in Potočari beisetzen.

Aufgrund seiner Bedeutung finden anlässlich des Massakers in einigen deutschen Städten wie unter anderem Berlin, aber dieses Jahr vermehrt online (zum Beispiel hier in einem Livestream), Gedenkveranstaltungen statt. Wir erklären dir hier das Wichtigste zum Massaker.

Wo ist das Massaker geschehen?

Zu Beginn der 1990er Jahre begann der langsame Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien in sechs Teilrepubliken: Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien. Srebrenica ist ein kleiner Ort im Osten von Bosnien und Herzegowina nahe der Grenze zu Serbien.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es zum Bürgerkrieg. Die Jugoslawische Volksarmee kämpfte einerseits gegen verschiedene Unabhängigkeitsbewegungen. Andererseits bekämpften sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, Muslime, bosnische Serb*innen und bosnische Kroat*innen, in den einzelnen Republiken auch untereinander.

Srebrenica wurde nach Ausbruch des Bürgerkriegs zur Zufluchtsstätte vor allem für bosnische Muslime. Zuvor hatten die Vereinten Nationen das Gebiet zur Sicherheitszone erklärt. Niederländische Truppen sollten vor Ort die Sicherheit der Bevölkerung garantieren.

Wer hat das Massaker begangen?

Am 11. Juli nahmen bosnisch-serbische Truppen unter der Führung des Militärchefs Ratko Mladić die Kleinstadt ein. Mladić und Radovan Karadzic, der Führer der bosnischen Serben, planten, unterstützt vom damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, ein sogenanntes Großserbisches Reich mit "ethnisch reinen" serbischen Territorien.

Wie viele Menschen waren betroffen?

Am 11. Juli 1995 befanden sich in Srebrenica laut dem Zentrum für politische Bildung unter 42.000 Zivilist*innen ungefähr 36.000 Geflüchtete. Militärs töteten in den darauffolgenden Tagen mehr als 8.000 Bosniak*innen, mehrheitlich Muslime, vor allem Jungen und Männer im Alter zwischen 13 und 94.

Was ist mit ihnen geschehen? Und warum findet man heute noch Leichenteile?

Als die nach Srebrenica geflüchteten Menschen mitbekamen, dass sie nicht mehr sicher sind, wollten sie erneut flüchten. Der Plan war, ins 100 Kilometer entfernte Tuzla zu gelangen. Männer und männliche Jugendliche, die bei Mladićs Einmarsch noch vor Ort waren, wurden sogleich in Potočari und Umgebung erschossen. Seine Armee begann zudem, die in Richtung Tuzla Geflüchteten einzuholen und auf Wiesen, Feldern, in Ställen oder Lagerhallen zu töten. Die Leichen wurden in schnell ausgehobenen Massengräbern verscharrt.

Um den Massenmord zu verschleiern, wurden die Gräber später wieder ausgehoben und die menschlichen Überreste vereinzelt auf andere Gebiete der bosnischen Serbenrepublik (Republika Srpska) verteilt. Dieses Umbetten der Leichen fand auch nach Ende des Krieges weiter statt.

Heute können die Leichtenteile nur noch mit aufwendigen DNA-Analysen den Opfern zugeordnet werden. Wie bei den meisten Jahrestagen zum Genozid in Srebrenica werden auch diesmal wieder sterbliche Überreste von Opfern im Rahmen der Gedenkfeiern in Potočari beigesetzt.

Warum hat die UN nicht geholfen?

Als die Truppen von Mladić einmarschierten, forderten die niederländischen Blauhelme in ihrer Basis Potočari am Ortseingang von Srebrenica Luftunterstützung der Nato an. Sie kam nicht. Die 350 dort stationierten UN-Soldaten waren nur leicht bewaffnet. Weder das UN-Mandat noch die Ausrüstung reichten aus, um den Schutz der Stadt sicherzustellen.

Die Blauhelme konnten den Truppen von Mladić keine Gegenwehr leisten. Zudem war für die rasche serbische Einnahme der Schutzzone entscheidend, dass einem Teil der im UN-Sicherheitsrat vertretenen Staaten der politische Wille fehlte, der serbischen Gewaltpolitik mit schützender Gewalt entgegenzutreten. Jahre später gesteht die UN ihr Versagen in Srebrenica ein.

Sind die Verantwortlichen verurteilt worden?

Das Haager Tribunal hat die Hauptdrahtzieher des Massakers von Srebrenica verurteilt. Laut Zentrum für politische Bildung wurde gegen insgesamt 161 hochrangige Politiker*innen, Militärs und Polizeiangehörige der verschiedenen Parteien des Jugoslawienkonflikts Anklage erhoben. 79 von ihnen wurden verurteilt, 18 freigesprochen und 13 für Prozesse in Länder des ehemaligen Jugoslawiens überstellt. 36 Verfahren wurden eingestellt. 15 Verfahren laufen noch. (Stand 2015)

Militärchef Ratko Mladić wurde im November 2017 wegen Srebrenica und anderer Verbrechen in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil ist rechtskräftig. "Sie zählen zu den abscheulichsten, die die Menschheit je gesehen hat", sagte Richter Alphonse Orie bei der Urteilsverkündung. Im Herbst diesen Jahres steht die Berufungsverhandlung des heute 77-Jährigen an.

Gibt es vor Ort eine Vergangenheitsbewältigung?

"Es ist eine Situation der durchgängigen Genozid-Verleugnung", sagt Emir Suljagić, der Direktor des Gedenkzentrums in Potočari zu der Deutschen Presse-Agentur. Laut Suljagić gibt es trotz der Haager Urteile bei den politischen Eliten in Serbien und in der Republika Srpska wenig Schuldeinsicht. "Die politische Klasse, die akademische Lehre, die Medien, selbst die Serbisch-Orthodoxe Kirche machen da mit. Es ist eine Kultur der Genozid-Verleugnung."

2003 wurde in Potočari ein Gedenkfriedhof eingeweiht, auf dem mehrere tausend Opfer beigesetzt worden sind. Das Internationale Jugoslawien-Tribunal stufte das Massaker an den bosnischen Muslimen als Völkermord ein. Ende Februar 2007 bewertete der Internationale Gerichtshof die Gräueltaten ebenfalls als Genozid.

Zeitzeugenberichte von überlebenden Kriegskindern erhalten die Erinnerung des Völkermords am Leben.

(pk)