Heiko ist seit Februar tot. Es war ein Facebookpost, der mich über seinen verlorenen Kampf gegen den Krebs informierte. Kein Anruf, keine SMS, es war ein einfacher Post, der fast zwischen lustigen Tierfotos und Partyankündigungen verschwand. Beinahe hätte ich ihn übersehen.

Es ist drei Jahre her, dass sich unsere Wege kreuzten. Als mein Tanzlehrer versuchte er mehrmals die Woche, meine Füße im Takt der Musik wippen zu lassen. Aus dem strengen Lehrer wurde schnell ein liebevoller Freund. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich, als ich mit dem Leben und der Liebe haderte und das, obwohl er schon damals von Medikamenten und Chemotherapie gebeutelt war.

Seitdem begleitete mich die Angst, dass ich ihn irgendwann nicht mehr spontan anrufen könnte, wenn mir etwas auf dem Herzen liegt. Dieser Angst muss ich nun ins Auge blicken. Heikos Todesnachricht war die erste Facebook-Statusmitteilung, die mich zum Weinen brachte. Ich war nicht die Einzige. Unter dem Post sammelten sich traurige Smileys und Beileidsbekundungen. Irgendwie wirkte das surreal. Ständige Interaktionen, so viel pulsierendes Leben auf seinem Profil, obwohl sein Herz nicht mehr schlug.

Ein fast perfekter Online-Zwilling seiner selbst

Laut Facebook stirbt alle drei Minuten ein*e User*in in Deutschland. Die Zahl der Geisterprofile erhöht sich also stetig. In der modernen Welt zu sterben, ist eine ganz andere Art, von dieser Erde zu gehen, als noch vor wenigen Jahrzehnten. Damals gab es eine Traueranzeige in der Tageszeitung, eine Beerdigung und mit Glück zum Todestag einen Strauß Blumen auf dem Grab.

Ich höre noch immer seine Playlists oder seine Stimme per alter WhatsApp-Sprachnachrichten."

Es bleibt nicht viel mehr als einige Erinnerungen. Von meinen Urgroßeltern zum Beispiel habe ich zwar ein paar Fotos, aber das ist auch das Einzige, was sie für mich in dieser Welt zurückgelassen hatten. Jetzt, in Zeiten des Internets und Social Media, stirbt niemand so ganz. Das World Wide Web enthält so viele persönliche Spuren, dass sie nicht einmal der Tod auslöschen kann. Heiko, der Geist in meiner Freundesliste, hinterließ mir einen fast perfekten Online-Zwilling seiner selbst. So höre ich noch immer seine Playlists, werde von Facebook an seinen Geburtstag erinnert und kann seine Stimme, wann immer ich will, per alter WhatsApp-Sprachnachrichten abspielen. Manchmal fühle ich mich wie im Film Transcendence, in dem Johnny Depp nach seinem Tod im Internet weiterlebt.

Ich genieße es, dass ein Teil von ihm bei mir ist

Ich erwische mich sogar ab und zu dabei, wie ich ihm eine Nachricht auf Facebook schreiben will, nur um zu schauen, ob er wirklich nicht antwortet. Ich finde es manchmal beängstigend, dass trotz des Verschwindens seines Körpers noch so viel von ihm geblieben ist. Das entspricht doch nicht dem Prinzip des Todes, oder? Wer tot ist, ist nicht mehr da, er wird nicht wiederkommen. Doch ich habe die Möglichkeit, diesen toten Menschen jederzeit zu sehen und zu hören, auch wenn es nur sein virtuelles Ich ist. So beängstigend ich das finde, so sehr genieße ich es, dass ein Teil von ihm bei mir ist.

Heiko hat sein Leben verloren, aber ganz ist er nicht von mir gegangen. Ich kann mir so viel Zeit lassen wie ich will, um mich von ihm zu verabschieden. Vermisse ich ihn, höre ich mir seine Stimme an. Möchte ich mich daran erinnern, wie wunderbar er das Tanzparkett gerockt hat, schaue ich seine Facebookvideos. Und da bin ich nicht die Einzige.

Nach seinem Tod ist sein Facebookprofil zu einem Treffpunkt geworden. Dort finden sich diejenigen zusammen, in deren Herzen Heiko für immer einen Platz haben wird. Zwar besteht die Möglichkeit, das Profil nach dem Tod in einen Gedenkstatus zu versetzen, aber ich finde das Gefühl schön, sein Profil und damit auch ihn so zu sehen, wie ich ihn in Erinnerung behalten möchte, als Kämpfer und immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Er wollte in Erinnerung bleiben wie er war, bevor er ging

Wenn ein Mensch stirbt, ist die Gefahr groß, dass der*die Gestorbene vergessen wird. Er*sie ist nicht mehr jeden Tag präsent und die gemeinsamen Momente verblassen stetig. Wer vergessen wird, hat irgendwie nie existiert. Doch darum braucht man sich in unseren modernen Zeiten keine Gedanken zu machen. Facebook und Co sorgen dafür, dass uns die Profile unserer Toten weiterhin begleiten. Wir werden an ihre Geburtstage erinnert und vergangene gemeinsame Momente ploppen regelmäßig auf.

Ich sehe mich schon jetzt mit meinen zukünftigen Kindern vor dem Computer sitzen, während ich mir Heikos Profil anschaue. "Mami, wer ist denn der hübsche junge Mann auf den Fotos?", werden sie mich fragen und ich werde stolz antworten: "Das, das ist Heiko, er wohnt im Himmel, aber wenn du möchtest, zeige ich dir gerne, wie schön er zu Lebzeiten tanzen konnte."

Ich glaube das hat er so gewollt. Er wollte in Erinnerung bleiben wie er war, als er noch vor Leben strotzte. Denn genau das strahlt sein Profil aus. Auch wenn es ein sogenanntes Geisterprofil ist, für mich ist es die schönste und beste Erinnerung an meine Zeit mit ihm. Ich werde wohl nie Blumen auf sein Grab legen, das finde ich altmodisch und traurig. Ich poste lieber meine Lieblingsbilder von uns auf sein Profil, davon haben seine Liebsten mehr, als von verwelkten Blumen, die sowieso kaum jemand sieht.