In einer Kleinstadt an der Algarve hatte ich am wenigsten mit einem Verschwörungsideologen gerechnet. Gerade hatte sich der Regen verzogen, die Sonne schien auf den idyllischen Kirchplatz in der Altstadt. Als Grüppchen von Fremden schlenderten wir durch die Gassen. Ich mag diese spontanen Cliquen, die sich im Hostel zusammenfinden. Alle sind entweder im Urlaub, machen eine Auszeit oder finden sich selbst. Niemand hat große Lust darüber zu reden, wo sie herkommen, was sie machen und wo sie hingehen. Man kann im Moment sein. Und da man sich ohnehin nie wieder sieht, gerät man auch nicht aneinander.

Es sei denn, einer kommt mit der jüdischen Weltverschwörung um die Ecke.

Wie ein richtiger Verschwörungsideologe hatte er nicht gewirkt. Aber wie wirkt so jemand schon? Irgendwie kommen da Bilder von besoffen Sieg-Heil-rufenden-Skinheads in Springerstiefeln in meinen Kopf. Das hat noch nie gestimmt. Nein, dieser Backpacker war unscheinbar, trug einen teuren Wanderrucksack und passte eher ins Bild des Outdoor-Typen als der Fascho-Glatze.

Wir hatten uns über Sprachen unterhalten. Was man unter Touris eben so bespricht. Kulturelle Unterschiede, Religion – und dann sagte er: "Eigentlich haben die Juden den zweiten Weltkrieg angezettelt." Hätte er in einer Doku gesehen.

Neben mir gehörten noch zwei Deutsche zu dem Grüppchen, das sich gerade auf den Kirchenstufen in der Sonne rekelte. Sie befanden sich wie ich erkennbar im Alarmzustand, machten aber nicht den Eindruck, als wollten sie etwas entgegnen. Stattdessen sagte ein anderer Mitreisender, die Doku habe er auch gesehen. Zionisten hätten auf die USA eingewirkt, Deutschland den Krieg zu erklären.

Jahreszahlen?!

Ein kurzer Blick ins Internet reicht, um diese und ähnliche Verschwörungsideologien zu finden. Webseiten, viele davon auf Englisch und aus den USA, liefern ihre ganz eigene Deutung der Vergangenheit. Einige leugnen den Massenmord der Nazis an den europäischen Jüd*innen komplett, andere erwähnen ihn nur in Nebensätzen, gemeinsam haben sie aber alle, dass sie Hitler-Deutschland in eine Opferrolle bringen wollen. Eingekreist von einer jüdischen Verschwörung, hätten sich die Deutschen nur verteidigt.

Eigentlich sollte ich wissen, wie man gegen Rechte argumentiert. Aber ich bin total blockiert.

Sachlich bleiben oder ausrasten? Abblocken oder argumentativ gegenhalten?

Aber wann genau war noch mal der Kriegseintritt der USA und weshalb? Und wann waren die Nürnberger Rassengesetze? Der Einmarsch in Polen? Jahreszahlen? Jahreszahlen!?

Die Wahrheit ist: Ich lebe in einer Blase. Zwar habe ich den Holocaust sicher siebzehnmal in der Schule durchgenommen, aber in die Details des Zweiten Weltkriegs sind wir im Geschichtsunterricht nie gegangen. Und wenn – hätte ich sie mir gemerkt? Ich brauche diese Fakten ja im Alltag nicht. Ich weiß, dass man keine Vergasen-Witze macht und dass die jüdische Weltverschwörung ein antisemitisches Hirngespinst ist. Aber was entgegne ich meinem Hostel-Rechten?

Der ist sich nämlich seiner Sache äußerst sicher. Ob ich die Wahrheit nicht vertragen könne, weil ich so zittere, fragte er genüsslich. Tatsächlich zitterte ich, vor Wut, vor Ohnmacht. Meine Sightseeing-Gruppe hatte beschlossen, das Thema zu wechseln, ich war alleine.

Alternative Fakten

Klar, Holocaustleugnung steht in Deutschland unter Strafe. Dazu gehört auch die Verharmlosung oder Rechtfertigung der NS-Verbrechen, heißt es in §130 StGB. Allerdings wollte ich meinen Hostel-Rechten wohl nicht an den Ohren auf eine portugiesische Polizeiwache schleifen. Außerdem greift das Verbot auch nur bei Aussagen, die geeignet sind, den "öffentlichen Frieden zu stören". Ein öffentlicher Friede steht hier aber nicht auf dem Spiel, nur mein persönlicher Friede. Oder?

Bei diesem Typen handelte es sich um einen sogenannten Geschichtsrevisionisten. Diese versuchen, historische Fakten zu widerlegen oder umzudeuten, vor allem solche, die für die politische Gegenwart relevant sind. Dazu gehört das Eingestehen der deutschen Schuld an der Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen. Sie prägt zum Beispiel, wie wir heute mit neurechten Bewegungen umgehen oder über Einwanderung sprechen. Wer damit nicht einverstanden ist, sucht sich alternative Fakten in der Vergangenheit. Mit der Flüchtlingsdebatte hat Geschichtsrevisionismus Auftrieb bekommen. Und an Pseudo-Fakten kommt man über das Netz schneller als früher.

Umso wichtiger also, dagegen zu halten – womit wir wieder bei meinem Problem des fehlenden Wissens wären. Die Webseite Geschichtscheck.de ist ein Projekt von Historiker*innen, die beliebte verschwörungsideologische Behauptungen zusammen- und richtigstellen. Allerdings ist die Weltkriegs-Zionisten-These meiner Urlaubsbekanntschaft auf diesem praktischen Portal nicht aufgeführt. Außerdem habe ich Geschichtscheck.de natürlich auf der Kirchentreppe nicht zur Hand.

Überhaupt erfahre ich alle diese Hintergründe erst, als die Begegnung längst vorbei ist. Ich habe mich unter einem Vorwand von der Gruppe abgespalten und bin erst einmal wie aufgeschreckt durch die Altstadtgassen gehetzt, um mich abzuregen. Viel Spaß mit meiner Wahrheit, hatte mir der Verschwörungsideologe noch gewünscht. Er hat den Schlagabtausch klar gewonnen.

Am Nachmittag sitze ich auf dem Dach des Hostels, wo ich mich verstecke, um ihm nicht wieder zu begegnen. Während ich langsam einen Sonnenstich bekomme, ergoogle ich, was mir eben widerfahren ist. Das Wissen darüber hilft, es ordnet ein. Aber es ändert nichts daran: Was meine Bürgerpflicht angeht, habe ich versagt. Als ich wieder runterkomme, ist er abgereist. Ich bin erleichtert. Und schäme mich.

Wie hätte ich reagieren können?

Wochen später erst frage ich bei der Amadeu-Antonio-Stiftung nach, wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte. "Grundsätzlich hilft da alles, was man auch bei Rassismus, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus im Allgemeinen tun sollte", sagt Lobert Lüdecke von der Stiftung. "Ruhig und sachlich nachfragen, vor allem Quellen erbitten – und diese kontextualisieren."

Man kann die Leute nicht bekehren, höchstens verunsichern.

Und das ist schon mal viel wert. Das war mein Fehler: Ich wollte ihn überzeugen, wollte gewinnen, ihn plattmachen. Damit habe ich ihn viel zu wichtig genommen.

Für meine nächste Begegnung dieser Art weiß ich: Es gibt rechte Verschwörungsideolog*innen, es gibt sie überall, sogar im Urlaub. Das ist nervig, aber erst mal nicht bedrohlich. Ich kann also weiteratmen. Möglichst unbeeindruckt nachfragen und seine Theorie auf Schwachstellen untersuchen. Und die Schwachstellen entlarven. Nach außen sind Verschwörungsideologien imposant, nach innen oft porös. Bevor die USA in den Krieg eintraten, gab es ja bereits seit Jahren Krieg, nicht wahr? Und viele Gruppen in den Vereinigsten Staaten waren für einen Kriegseintritt – warum also nicht auch ein paar Zionist*innen? Ist das wirklich dasselbe wie einen Weltkrieg anzetteln?

Ich werde es vielleicht nicht schaffen, eine*n Verschwörungsideolog*in zu bekehren, aber ich kann eine weitere Person sein, die er nicht mit seinem Quatsch überzeugt hat – und vielleicht sogar die anderen Mitreisenden. Es ist ein bescheidener Triumph. Aber einer, mit dem es sich entspannt weiterurlauben lässt.