Wer durch den Twitter-Account des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian scrollt, entdeckt normalerweise nichts Ungewöhnliches. Bis Le Drian Anfang vergangener Woche einen Tweet mit den Worten "Der Countdown läuft" absetzte. Dabei ging es nicht um Wahlergebnisse, sondern um ein Emoji, das schon lange von den Menschen in der Bretagne gefordert wird und nun tatsächlich Realität werden könnte.

Und das ist brisanter, als es zunächst den Anschein machen mag.

Kulturelle Identität auch auf dem Smartphone

Jean-Yves Le Drian wurde in der Hafenstadt Lorient geboren. Auf den ersten Blick ein typisch französischer Küstenort, in dem man das Salz des Atlantiks förmlich schmecken kann und wo es an vielen Ecke nach frischem Fisch und Meeresfrüchten riecht. Als Französ*innen verstehen sich viele Menschen in Lorient jedoch nicht. Denn der Ort liegt in der Bretagne, einer der Regionen, die sich aufgrund ihrer geschichtlichen, kulturellen und sprachlichen Besonderheiten gegen den französischen Zentralismus auflehnt. Neben einer eigenen Regionalhymne und einer Fußballauswahl ist vor allem die bretonische Sprache, die heute noch von etwa 200.000 der 3,5 Millionen Breton*innen, gesprochen wird, Ausdruck der regionalen Identität. Am sichtbarsten ist aber die allgegenwärtige schwarz-weiße Flagge der Bretagne – die Gwenn ha du.

Als unabhängiges Königreich im neunten Jahrhundert wurde die Bretagne 1532 an Frankreich angeschlossen. Die regionale Identität wurde seitdem immer wieder vehement verteidigt. In den 1970er-Jahren kam es zu Attentaten auf staatliche Einrichtungen, die von der bretonischen revolutionären Armee (ARB) begangen wurden und zu einem Anschlag auf das Schloss Versailles. Die Bretonische Befreiungsfront wurde 1974 verboten und zerschlagen. Doch bis in die 1990er-Jahre gab es immer wieder Attentate und Bestrebungen für eine unabhängige Bretagne.

Heute wünscht sich bis auf eine Minderheit kaum noch jemand in der Bretagne die Unabhängigkeit von Frankreich. Der Wunsch nach mehr Autonomie und Erhalt der kulturellen Identität lebt aber fort. Diese soll sich nun auch im Digitalen bemerkbar machen – mit einem eigenen Emoji.

Rothaarige Menschen – ja, Tibet – nein

Im Jahr 2017 wurde erstmals versucht, die Jury des Unicode-Konsortiums – einem globalen Gremium, das neue Emojis genehmigt – von der Gwenn ha du zu überzeugen. Eine von der bretonischen Regionalregierung unterstützte Kampagne verlor letztlich gegen das Mate-Emoji. Der südamerikanische Tee landete nur knapp vor der bretonischen Flagge als meistgefragtes Emoji weltweit und ist seit 2019 auf Smartphones zu finden.

Vergangene Woche startete die Region dann den nächsten Anlauf, die schwarz-weiße Flagge als Emoji durchzusetzen. Eine entsprechende Petition unterzeichneten bis zum Einsendeschluss mehr als 30.000 Menschen. Mehr als 400.000 Mal wurde unter dem Hashtag #emojiBZH seitdem der Wunsch nach einem eigenen bretonischen Emoji auf Twitter geteilt. Innerhalb weniger Stunden erklomm der Hashtag die Spitze der französischen Twittertrends. BZH steht dabei für Breizh – so lautet der Name der Region auf Bretonisch.

Der Euphorie zum Trotz erscheint es aktuell aber noch fraglich, ob die Breton*innen mit ihrem Vorhaben Erfolg haben werden. Bereits in der Vergangenheit waren ähnliche Petitionen, wie etwa die tibetische oder die katalanische Flagge als Emoji forderten, vor dem Unicode-Konsortium gescheitert. Die Organisation, der viele große Softwareunternehmen wie Apple, Microsoft und Google angehören, hält sich für gewöhnlich aus globaler Symbolpolitik raus. Divers zeigen sich Emoji bislang nur, wenn es um Geschlechter oder Hautfarben geht. Politische Konflikte scheinen dem Unicode-Konsortium zu heikel.

Die Breton*innen wollen es dennoch versuchen: Bis März diesen Jahres soll die offizielle Bewerbung für das Emoji an das Unicode-Konsortium eingereicht, Anfang Mai dann die ersten Ergebnisse bekanntgegeben werden. Wenn alles glatt läuft, könnte die Gwenn ha du dann ab 2021 auch auf Smartphones wehen. "Der Countdown läuft", wie Jean-Yves Le Drian sagen würde.