Zunächst wirkt es eher wie ein Konstrukt, das sich viele nicht zutrauen oder vorstellen können: zwei Wohnsitze in unterschiedlichen Städten. Aber ob zwischen Berlin und Köln, München und Shanghai oder Darmstadt und Düsseldorf: Manche Menschen entscheiden sich dennoch dafür, zwischen zwei Orten zu pendeln, statt eine Wohnung für unbestimmte Zeit aufzugeben. Warum Karla, Linda und Christoph so leben, erzählen sie im Gespräch.

Karla, 25, wohnt in Darmstadt und Düsseldorf

"Als ich mit meinem BWL-Bachelor in Düsseldorf fertig war, wollte ich noch mal etwas ganz anderes machen. Meine Wahl fiel auf den Studiengang Soziale Arbeit, für den ich aber leider nur an der Uni in Darmstadt angenommen wurde, mit dem Auto etwa drei Stunden von Düsseldorf entfernt. Zunächst entschied ich mich deshalb für die logische Konsequenz, nämlich nach Hessen zu ziehen. In den ersten zwei Semestern vermisste ich Düsseldorf jedoch sehr und fragte ich mich oft: Wie kann ich mein Heimweh stillen, ohne mein Studium aufgeben zu müssen?

Seit zwei Semestern wohne ich wieder in Düsseldorf, in einer kleinen Einzimmerwohnung in Bilk, die mir meine Eltern bezahlen. Nebenher arbeite ich fünfmal im Monat als Assistentin für eine Frau mit einer körperlichen Behinderung. Für die Uni-Seminare bin ich fest in Darmstadt und habe dort ein 9-Quadratmeter-Zimmer in der WG einer Kommilitonin, für das ich einen kleinen Betrag an Strom und Wasser zahle.

Ich bin Studentin, aber fühle mich eher, als ob ich das Studium nur nebenbei mache."

Mein Alltag in Düsseldorf lässt sich zeitlich gut mit meinem Unileben in Darmstadt verbinden. Doch so schön es ist, meine engsten Freund*innen die meiste Zeit wieder um mich zu haben, so schwer ist es, im Studium Anschluss zu finden. Oft fühle ich mich als Außenseiterin, etwa bei Gruppenarbeiten oder wenn es darum geht, etwas zusammen zu unternehmen. Ich bin Studentin, aber fühle mich eher, als ob ich das Studium nur nebenbei mache. Zu meinen Kommiliton*innen habe ich wenig Kontakt. Darunter leiden auch manchmal die Leistungen und meine Noten. Zusätzlich bin ich einfach oft zu gestresst, um mich nachts, wenn ich in Düsseldorf angekommen bin, an eine Projektarbeit zu setzen.

Jetzt sind es aber nur noch zwei Semester und dann bin ich fertig. Und ich weiß für mich: Ich kann mir ein Leben außerhalb von Düsseldorf als Hauptwohnsitz nicht mehr vorstellen – da muss ich eben Abstriche machen während des Studiums."

Christoph, 28, pendelt zwischen Köln und Berlin

"Mein Job als Journalist ist mein Ein und Alles. Als ich ein Angebot aus Berlin bekam, bei einem tollen Radiosender als Redakteur zu arbeiten, folgten trotzdem lange Gespräche. Mein Freund Jonte und ich waren erst vor Kurzem in Köln zusammengezogen. Er war nicht bereit, nochmal umzuziehen. Damals hatte er auch gerade einen Job in Köln gefunden, der ihm total Spaß machte. Ich hab lange mit ihm überlegt, ob es überhaupt klappen könnte, dass ich zwei Wochen im Monat in Berlin arbeite und den Rest der Zeit in Köln wohne. Letztlich hat der finanzielle Aspekt mich dazu bewogen, es zumindest auszuprobieren.

Kann ich es mir nicht doch vorstellen, ganz in Berlin zu wohnen?"

Der Job in Berlin ist tatsächlich großartig und ich liebe die Zeit, die ich dort für mich habe: ohne Beziehung, ohne Verpflichtungen, mit weniger sozialem Stress. Immer wenn ich zurück nach Köln komme, merke ich, wie viel weniger Zeit ich dort für mich habe. Daher fühlt sich das Arbeiten in Berlin manchmal wie Urlaub an, auch wenn ich nur im Gästezimmer in der Wohnung eines Freundes schlafe.

Dennoch stresst mich das ständige Wäschewaschen und Taschepacken. Jonte und ich haben es zwar besser als manche Paare, die eine Fernbeziehung führen. Trotzdem bin ich manchmal genervt davon, dass ich derjenige bin, der die Anstrengung des Fahrens auf sich nimmt. Und auch derjenige, der sich rechtfertigen muss, wenn ich nicht schon wieder zu den Schwiegereltern nach Saarbrücken fahren will, weil ich einfach mal kurz an einem Ort verweilen muss. Wenn ich in meinem Lieblingscafé in Kreuzberg sitze, frage ich mich inzwischen manchmal: Kann ich es mir nicht doch vorstellen, ganz in Berlin zu wohnen? Dann wäre ich zumindest nicht alleine dafür verantwortlich, hin und her zu fahren und hätte auch mehr Ruhe in meinem Leben."

Linda, 26, arbeitet in Shanghai und München

"Eigentlich habe ich nie geplant, im Ausland zu leben und zu arbeiten. Es hat sich einfach so ergeben. Ich bin seit drei Jahren in einem Automobilunternehmen im Bereich Sales in München angestellt. Am Anfang bin ich einmal oder zweimal im Jahr beruflich nach Shanghai geflogen – immer nur für maximal zwei Wochen. Nach und nach hat sich aber mein Kundenstamm vergrößert. Im letzten Jahr war ich alle zwei Monate dort – für jeweils vier bis sechs Wochen. Meine Firma organisiert mir alles: Business Class mit den besten Airlines nach Shanghai, Shuttle und Luxusherberge. Bei den ersten Reisen habe ich mich im Hotel immer zurückgezogen und bin gar nicht richtig angekommen. Im letzten Jahr, als ich genauso viel Zeit dort verbracht habe wie in München, habe ich angefangen, auch mal den Spa-Bereich zu erkunden und eine gewisse Routine entwickelt. Trotzdem will ich mich dort nicht so richtig zu Hause fühlen.

Früher habe ich in Würzburg gewohnt und studiert, da war meine Situation ganz anders. Da habe ich so richtig gelebt, bin mit Freund*innen ausgegangen, kannte jede Ecke, hatte eine Lieblingskneipe und konnte meine Familie oft sehen. Immer wenn ich jetzt von Shanghai wieder nach München komme, bin ich unglaublich kaputt. Ich kenne hier kaum Menschen und es ist schwer, Freundschaften und einen Alltag aufzubauen, wenn ich einfach ständig weg bin. Meine Beziehung ist im letzten Jahr auch daran zerbrochen. Mein Exfreund hat immer gemeckert, dass ich nicht nach Würzburg komme, aber es war mir schlicht zu viel.

Ewig werde ich dieses Tempo und die zwei Wohnorte aber sicher nicht hinbekommen."

Zunächst war es eine Erleichterung, nicht mehr von ihm unter Druck gesetzt zu werden. Ich habe sogar wieder gerne in Shanghai gearbeitet. Der Stress ist aber schnell noch größer geworden als vor der Trennung. Im letzten Jahr war ich so oft krank wie noch nie zuvor. Meine Eltern machen sich totale Sorgen um mich, und mein Arzt hat mir vorgeschlagen, mich mehr als nur ein paar Tage krankzuschreiben. Ich denke aber immer noch: Es ist wichtig, in der heutigen Zeit den Kompromiss zu machen, auch im Ausland zu leben und zu arbeiten, damit man karrieretechnisch weiterkommt. Ewig werde ich dieses Tempo und die zwei Wohnorte aber sicher nicht hinbekommen. Das weiß ich schon jetzt."