Es gibt Frauen, die auf nichts sehnsüchtiger warten, als endlich zwei Linien auf dem Schwangerschaftstest zu sehen. Ich jedenfalls klappte bei ihrem Anblick erstmal in den Armen meines Freundes zusammen. Wir hatten genau ein Mal das Kondom weggelassen, und das nichtmal während des Eisprungs. Trotzdem war ich jetzt schwanger. Mit gerade mal 22 Jahren, mitten in einem Studium, das ich im Begriff war, abzubrechen und völlig abgebrannt.

Ein Baby war das letzte, was ich jetzt brauchen konnte. Dennoch fiel mir die Entscheidung, es zu behalten, nicht schwer: Ein Jahr vorher hatte ich trotz sorgsamer Verhütung einen Schwangerschaftsabbruch machen lassen müssen und mir damit das Trauma meines Lebens eingehandelt. Ein Kind zu bekommen konnte in meiner Vorstellung nicht so schlimm sein wie die Depression, die mich im Anschluss befallen hatte. Und ich war ja nicht allein.

Auch wenn es in der Beziehung mit meinem Freund und mir nicht nur rote Rosen hagelte, hatte ich zumindest einen Partner, der – Achtung, Wortwitz – bereit war, das Kind zu schaukeln. Also sagte ich mir nach den ersten Panikminuten: "Scheiß drauf. Dann werde ich jetzt eben Mutter."

Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben drehte sich nicht mehr alles um mich selbst

Klar, während meine Kommiliton*innen in der Vorlesung mitschreiben konnten, verschwand ich halbstündlich aufs Klo – in der ersten Zeit zum Brechen, hochschwanger dann zum Pinkeln. Die Nummer mit dem Feiern war auch durch: Gingen wir auf eine Party, ratzte ich Punkt zehn auf dem jeweiligen Sofa ein, ganz egal ob die Geräuschkulisse eigentlich nach Polizei verlangte. Und mit Stillbaby bleibt man halt eh zu Hause.

War ich vorher daran gewöhnt, mich nur um mich selbst zu kümmern, war da auf einmal meine kleine Tochter, die fast rund um die Uhr Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchte. Für mich blieb kaum noch etwas übrig. Einen Spielfilm ohne Unterbrechungen durchgucken? Vergiss es. Musik aufdrehen? Keine Chance. Ein Spaziergang ohne Baby im Tragetuch? Undenkbar. Und doch ging es mir erstaunlich gut damit. Denn zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben drehte ich mich nicht mehr ausschließlich um mich selbst.

Fragen und Zweifel, mit denen ich mich früher tagelang quälen konnte, hatten keinerlei Bedeutung mehr. Hat mein Studium irgendeinen Sinn? Hätte ich nicht doch in diese andere Stadt ziehen sollen? Und wie kriege ich meinen Hintern endlich wieder in diesen winzigen Mini, den ich seit der Abizeit nicht mehr getragen habe?

Nun waren da völlig basale Dinge, die mich umtrieben, wie endlich mal wieder zum Fußnägelschneiden zu kommen beispielsweise. Oder diese berühmt-berüchtigten paar Stunden Schlaf am Stück zu kriegen. Es war wie eine Erholungskur von all dem unnützen, nie zu irgendetwas führenden, egozentrierten Blabla in meinem Kopf – eine Mischung aus Überlebenskampf und Meditation. Ja, verdammt, da war etwas, das in diesem Moment wichtiger war als ich selbst: mein Kind.

Eltern sein heißt effizient sein

Gleichzeitig fiel es mir schwer, das Kinderthema allzu ernst zu nehmen. Die Muttis, die ich in Babygruppen oder Parks kennenlernte, langweilten mich mit ihren Gesprächen über Impfungen und Beikost zu Tode. Die meisten von ihnen wollten außerdem mindestens zwei Jahre zu Hause bleiben. Zwei Jahre! Das fand ich völlig übertrieben, aber ich war ja auch immer mit Abstand die Jüngste. Die, die noch mitten im Studium steckte und ohne Job, der auf mich auch in zwei Jahren noch warten würde. Die mit dem Hunger aufs Leben.

Jetzt, wo ich Verantwortung für meine Tochter hatte, beschloss ich, mich zusammenzureißen und zu Ende zu studieren. Als sie etwas über ein halbes Jahr alt war, ging mein Freund in Elternzeit, damit ich wieder Kurse belegen konnte, und er brachte sie mir zwischen den Veranstaltungen zum Stillen. Völlig unerwartet entwickelte ich eine unglaubliche Effizienz in allem, was ich tat (das geht übrigens vielen Eltern so!). Und ich wurde gut darin. So gut, dass ich später mit Kusshand an meinem Institut eingestellt wurde und das Studium mit Einser-Zeugnis abschloss.

Es gibt nicht den perfekten Zeitpunkt

Ich weiß, ich habe Glück gehabt. Ich hätte mit meiner Veranlagung ebenso gut in die postpartale Depression abrutschen können. Mein Freund hätte abhauen können oder sich weigern, die Elternzeit gerecht mit mir zu teilen. Meine Professor*innen hätten weniger nachsichtig mit verpassten Prüfungen und zu spät eingereichten Hausarbeiten sein können. Aber das sind Probleme, die immer auftauchen können. Egal, wie sehr man vorher darauf bedacht war, die perfekten Umstände herbeizuführen – wie die Dinge ausgehen, weiß man nie vorher.

Jetzt, mit Mitte 30, fangen in meinem Umfeld viele erst mit dem Kinderkriegen an – oder verfallen in Panik angesichts der Tatsache, dass da kein*e geeignete*r Partner*in in Sicht ist. Vorher macht man halt Karriere oder haut auf die Kacke, danach sitzt man brav zu Hause und kocht Schnuller aus. Life before, life after. Ja, das Leben verändert sich, wenn man ein Kind gezeugt oder aus sich rausgepresst hat. Aber niemand ist gezwungen, sich eine Doppelhaushälfte zu kaufen oder dreckige Witze zu vermeiden, nur weil er*sie Vater oder Mutter ist. Kinder hindern uns nicht daran, diejenigen zu sein, die wir sein wollen. Weder versagen sie uns das Glück, noch werden sie uns zufriedener machen. Sie sind ein ganz natürlicher Bestandteil des Lebens, und wir müssen sie nicht künstlich mit Bedeutung aufladen.

Auch wenn sich zwei Streifen auf dem Test natürlich wie ein Todesurteil anfühlen können – sie sind es nicht. Echt nicht. Sie sind das, was du draus machst. Wie immer.

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