Christine Nöstlinger gab sich Zeit ihres Lebens wahnsinnig bescheiden, obwohl es dafür keinen Grund gab. Seit über 40 Jahren sind ihre Bücher nicht mehr aus den Kinderzimmern wegzudenken. Insgesamt hat sie um die 150 Bücher veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Nöstlinger war zwar erfolgreich, trat aber in Interviews stets bodenständig und ehrlich, ja fast resch auf.

Auch mir wurden ihre Geschichten immer wieder vorgelesen, bis die Bücher irgendwann auseinanderfielen. Ich sehe noch heute das Cover der Feuerroten Friederike mit ihren buschigen, wildabstehenden roten Haaren und dem frechen Gesichtsausdruck vor mir und erinnere mich, dass die anderen Kinder spotteten, es würde auf ihrem Kopf brennen. Schließlich fliegt sie mit ihrem Kater in ein fernes Land, in dem alle so viel arbeiten, wie sie möchten und kein Kind mehr ausgelacht wird und lernt, dass Anderssein auch schön sein kann. Oder das Buch mit dem finster dreinblickenden Gurkenkönig mit der Krone auf dem Kopf, der mir lange Zeit riesige Angst machte. Das Mischwesen zwischen Gurke und Kürbis zieht bei der Familie Hogelmann ein und terrorisiert sie eigentlich. In der Geschichte erfährt man schließlich viel über kindliche Ängste, wie das Auflehnen gegen unsinnige Regeln geht, was geschwisterlicher Zusammenhalt bedeutet und reflektiert ganz nebenbei das eigene Familienleben.

Während andere Kinderbuchautor*innen krampfhaft versuchten, pädagogisch wertvolle Vorbilder in feministischen und gesellschaftsgerechten Geschichten zu erschaffen, schien Christine Nöstlinger es ganz leicht und selbstverständlich zu gelingen. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben oder mit belehrender Moral aufzutreten. Ihre Bücher waren authentisch, manchmal auch absurd komisch und voller gesellschaftlicher Kritik.

Nun ist sie im Alter von 81 Jahren gestorben, wie ihr Verlag am Freitag bestätigte. Ihre Stimme wird Österreich fehlen. Gerade jetzt.

Nöstlinger kam eher zufällig zum Schreiben

Nöstlinger wurde am 13. Oktober 1936 in Wien geboren und wuchs dort im Arbeitermilieu der Vorstadt auf. Später absolvierte sie das Abitur und studierte Gebrauchsgrafik an der Akademie für Angewandte Kunst. Zum Schreiben kam sie eher zufällig, als sie das Buch 

Die feuerrote Friederike illustrierte und danach eine Geschichte dazu schrieb. Das Buch feierte direkt Erfolge und Nöstlinger wurde später mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet – unter anderem mit dem Nobelpreis für Kinder- und Jugendliteratur.

Ich sag nur manche Dinge frei heraus, die andere verschweigen." – Christine Nöstlinger

Christine Nöstlinger ist in Österreich und über die Grenzen des Landes aber nicht nur für ihre Arbeit als Autorin bekannt, sondern auch für ihre kritische Stimme. "Ich sag nur manche Dinge frei heraus, die andere verschweigen", erklärte die Autorin in einem Interview mit dem ORF.

Für mich war und ist Christine Nöstlinger seit meiner Kindheit ein Vorbild. Als Kind liebte ich ihre Bücher. Später bewunderte ich sie für ihre selbstverständliche Vorstellung von Feminismus und Gleichberechtigung. Sie unterstützte erst im vergangenen Jahr noch tatkräftig das Frauenvolksbegehren, das sich für die Gleichberechtigung von Frauen in Österreich einsetzt. Ich bewunderte sie zudem dafür, wie ehrlich sie über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit erzählte. Nöstlinger nahm nie ein Blatt vor den Mund.

So warnt sie in einer Rede vor dem österreichischen Parlament 2015 bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen vor Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie erzählte vom Krieg und ihrer Kindheit. Von ihrer Großmutter, die über "die Nazis" schimpfte, und ihrem Onkel in SS-Uniform, der über Jüd*innen sagte: "Die Juden gehen alle durch den Rauchfang", woraufhin ihn seine Schwester, Nöstlingers Mutter, ohrfeigte.

Zum Positiven verändert hat sich da bis heute nicht besonders viel." – Christine Nöstlinger in ihrer Rede über Rassismus

In dieser Rede erzählt Christine Nöstlinger aber nicht nur von damals, sondern zieht die Parallelen bis heute: "Meine Generation und die meiner Kinder wurden also in einem Land groß, in dem Rassismus keineswegs nur eine schlimme Erinnerung war, sondern nach wie vor Gesinnung sehr vieler (...) Zum Positiven verändert hat sich da bis heute nicht besonders viel. Allerdings kommt Rassismus in einem anderen Mäntelchen daher."

Auch wenn es mittlerweile gewisse Tabus wie Begriffe aus der NS-Zeit in der Gesellschaft gäbe, sei der Rassismus immer noch tief verankert: "Heutiger Rassismus lehnt schlicht ‚alles Fremde‘ ab, sieht das eigene Volk durch ‚Überfremdung‘ in Gefahr, wittert sogar ‚Bevorzugung der Ausländer‘ und meint – alles in allem: ‚Die wollen von uns leben, die wollen uns etwas wegnehmen!‘"

Dann holt Nöstlinger in ihrer Rede aus und macht klar: "Wer so denkt und unter Gleichgesinnten auch so redet, schmiert noch lange keine rassistischen Parolen, wirft keine jüdischen Grabsteine um, beschimpft keine Frauen, die Kopftuch tragen, verprügelt keinen Schwarzen und zündet kein Asylantenheim an. Aber den Menschen, die es tun, geben sie die Sicherheit, auch in ihrem Interesse zu agieren. Sie sind der Nährboden, aus dem Gewalt wächst."

Nöstlinger appellierte immer wieder an die Verantwortung

Zeit ihres Lebens machte Christine Nöstlinger den Österreicher*innen mit derart mutigen Worten klar, dass frei von Schuld zu sein nicht bedeute, frei von Verantwortung zu sein. Ihr Tod lässt in der österreichischen Gesellschaft eine klaffende Lücke zurück, die niemand füllen können wird. Gerade in Zeiten von offen ausgelebtem Rassismus, einer rechtskonservativen Regierung in Österreich und einem gesellschaftlichen Diskurs, der immer stärker nach rechts triftet, schmerzt es besonders, dass eine Person wie Christine Nöstlinger gestorben ist.

In den 1970er- und -80er Jahren hatte Nöstlinger die Hoffnung, dass sich die Welt zu einem besseren Ort verändern könnte, wie sie in einem Fernsehinterview dem ORF einmal erzählte. "Diese Hoffnung ist jetzt weg. Ich kann nur mehr zuschauen in den nächsten Jahren, so lange ich halt noch lebe, wie Europa nach rechts wandert. Das finde ich sehr traurig, ich bin schon zu alt und müde, um zornig zu sein, also bleibt mir nur das Traurigsein über."

Für mich bleibt Christine Nöstlinger mit ihren Büchern und ihrer Vorstellung von einer gerechten Welt für immer unsterblich. Sie sollte uns, all die nachfolgenden Generationen, daran erinnern, gegen Fremdenhass und Rassismus einzutreten und uns immer wieder für Fairness auszusprechen. So wie es Christine Nöstlinger es tat.

"Was geht mit Österreich?" Mit dieser Frage beschäftigt sich unsere Korrespondentin und Exil-Österreicherin Eva Reisinger in ihrer Kolumne. Sie lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählt euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist.