In der zehnteiligen Serie "Mit dem Tod leben" protokollieren wir die Erfahrungen von Menschen, die den Tod von Nahestehenden verarbeiten mussten. Was hat ihnen während der Trauer geholfen, und haben sie durch den Verlust etwas für sich selbst gelernt?

Robert, 28, Bernburg (Sachsen-Anhalt)

Meine Großmutter war Anfang 70, als sie an Demenz erkrankte. Zu dieser Zeit, Anfang 2014, arbeitete ich bei einer Versicherung, und meine Mutter bat mich, die alten Versicherungen meiner Oma zu prüfen, weil sie es alleine nicht mehr schaffte.

Ich löste alte, ungünstige Verträge auf und schloss neue bei meiner Versicherung ab: eine Unfallversicherung, zwei Lebensversicherungen und eine Sterbegeldversicherung.

Es fühlte sich etwas komisch an, den Tod meiner Oma zu versichern, denn wir standen uns nahe, und sie war ja nicht irgendeine Klientin. Aber ich dachte mir, dass der Tod auch zum Leben gehört. Es bringt ja nichts, zu sagen: 'Du bekommst es nicht, weil ich nicht möchte, dass du stirbst.'

Komplikationen im Krankenhaus

Zwei Jahre später brach sich meine Großmutter den Oberschenkelhals und kam ins Krankenhaus. Sie sollte an einem Montag entlassen werden, doch dann kam am Tag davor ein Anruf aus der Klinik. Es sei zu Komplikationen gekommen. Ich war zu der Zeit mit meiner Freundin bei meinen Eltern zu Besuch, und wir setzten uns sofort ins Auto, um die 160 Kilometer zu ihr zu fahren. Unterwegs versuchte ich, meine Mutter zu beruhigen und sagte mir immer, dass schon alles gut werden würde. Ich habe einfach funktioniert. Auf halben Weg rief mein Onkel an, der schon vor uns dort war. Er sagte, dass sie bereits tot sei. Sie war an einer Lungenembolie gestorben.

Die Pflegekräfte hatten sie in einen sogenannten Abschiedsraum gebracht. Sie war bedeckt, aber so, dass man ihr Gesicht sehen konnte. Da habe ich erst realisiert, dass sie wirklich tot ist. Zunächst konnte ich den Raum nicht betreten und machte auf der Schwelle kehrt. Mein ganzer Körper fühlte sich taub an und ich fing an zu weinen.

Ich wartete vor der Tür, wo nach und nach der Rest meiner Familie ankam. Am Ende waren wir 25 Leute. Dass die Familie so zusammengehalten hat, das hat mich sehr berührt und mir geholfen. Es war ein schlimmer Moment, und doch war es schön zu sehen, wie die Familie füreinander da war. Es geht gar nicht darum, dass man große Reden schwingt. Es reicht, einfach nur da zu sein und sich in den Arm zu nehmen. Das war ein guter Trost.

Wir sind dann zusammen in ihre Wohnung gefahren, um einige Dokumente zu holen. Ich nahm ihre Versicherungsunterlagen mit, weil ich wusste, dass sich sonst niemand darum kümmern wollen würde.

Zurück am Arbeitsplatz

Am Tag darauf bin ich direkt wieder zur Arbeit, aber ich habe nichts auf die Reihe bekommen. Es war zu früh, der Gedanke an Omas Tod hat sich in alles hineingedrängt und ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Nach einer Stunde bin ich wieder nach Hause gegangen.

Am nächsten Tag sah ich den Versicherungsordner und die Sterbeurkunde meiner Oma auf meinem Tisch wieder. Ich habe kurz gezögert, aber dann dachte ich mir, ich probiere jetzt einfach, mich damit auseinanderzusetzen. Ich hätte die Arbeit auch an meine Kollegen abgeben können, aber es war mir irgendwie wichtig, das selbst zu machen. Es war etwas beklemmend am Anfang, aber dann kam mir meine Routine aus vielen anderen Sterbefällen zu gute. Ich wusste genau, was ich tun musste.

Es hat den Tod greifbar gemacht."

Diese Routine gab mir Sicherheit. Ich sortierte Omas Unterlagen, scannte, kopierte, telefonierte mit den Fachabteilungen, und das jeden Tag ein bisschen. Bis alles erledigt war, hat es zwei bis drei Monate gedauert.

Auch wenn es vielleicht seltsam klingt, hat es den Tod meiner Oma für mich greifbarer gemacht und ihm eine gewisse Normalität gegeben. Jedes Mal kamen Erinnerungen an sie hoch. Zum Beispiel die Situation, als sie das erste Mal in ihrem Leben bei McDonald’s war. Vor uns stand ein Mädchen mit einer Portion Pommes. Ich fragte Oma, was sie essen wollte und sie sagte: 'Ich nehme auch die dicken Nudeln, die das Mädchen hat.'

So nahm ich mit jedem Telefonat und jeder Mail ein Stück Abschied von ihr und durchlebte unsere gemeinsame Zeit noch einmal.

Als alle Versicherungen ausbezahlt waren, packte ich alle Papiere in einen Ordner, brachte ein Namensschild darauf an und den Hinweis auf ihren Tod. Ich ging in den Keller und stellte die Akte in den Archivschrank. Für mich war das wie ein kleiner Schlussstrich unter der Trauer, es war ein zweiter Abschied – und es hat gut getan.

"Ich muss nicht auf Knopfdruck trauern"

Meine Mutter hat mich in den Wochen nach dem Tod gefragt, warum ich nicht so leiden würde. Ich muss wohl nach außen etwas kühl gewirkt haben. Ich habe schon auch hin und wieder geweint, aber eher für mich. Und ich hab nicht in dem Maße gelitten wie meine Mutter. Mir wurde durch den Tod meiner Oma klar, dass ich nicht auf Knopfdruck traurig sein muss oder auf eine bestimmte Art zu trauern habe, weil man es von mir erwartet. Jeder hat eben seine eigene Art, so etwas zu verarbeiten.Teil 1: "Meine Familie starb an Krebs, und ich habe Sinn darin gefunden"

Teil 2: "Ich trage jeden Tag ein Schmuckstück meiner verstorbenen Oma"

Teil 3: Wann uns Trauer reifen lässt

Teil 4: "Seit mein Papa tot ist, hat sich Angst in mein Leben gefressen"