In der Serie "Mit dem Tod leben" protokollieren wir die Erfahrungen von Menschen, die den Tod von Nahestehenden verarbeiten mussten. Was hat ihnen während der Trauer geholfen und haben sie durch den Verlust etwas für sich selbst gelernt?

Lena, 25, Regensburg

Ich habe in meinem bisherigen Leben mehrere wichtige Menschen verloren. Als ich elf war, ist mein Cousin bei einem Motorradunfall gestorben. Er war 18. Ein Jahr später hörte das Herz meines Papas unerwartet auf zu schlagen. Am Tag davor waren wir noch im Freizeitpark, am nächsten Morgen lag er tot im Badezimmer. Er war 42 und ich zwölf.

Ich habe mehrere Jahre gebraucht, das zu verarbeiten. Ich habe unendlich viel geweint. Auch wenn ich noch sehr jung war, habe ich zwar verstanden, dass diese beiden Menschen nicht mehr da sind. Aber die riesengroße Frage, die mich nicht mehr losließ, war die nach dem Warum. Warum wurde mir mein Papa und mein Cousin so früh genommen? Warum so jung? Niemand konnte mir das beantworten.

Zum Glück haben wir innerhalb der Familie viel darüber gesprochen. In all dieser Hilfslosigkeit war es irgendwie beruhigend zu erleben, dass ein geliebter Mensch nicht einfach gleich vergessen wurde. Andererseits hat es die schweren Gefühle jedes Mal wieder hochgeholt, alles immer und immer wieder aufgewärmt. Aber so konnten wir uns zumindest gegenseitig trösten.

Trost habe ich auch von meinen Freunden in der Schule bekommen. Im Nachhinein ist es unglaublich, was für ein Feingefühl Kinder haben können. Sie waren alle in meinem Alter und so rücksichtsvoll. Sie ließen mich reden und weinen und sie umarmten mich, wenn es mir schlecht ging.

Am Tag der Beerdigung meines Papas wurden mir und meinen zwei Brüdern Notseelsorger zugeteilt, die uns geholfen haben, uns zu verabschieden. Wir durften ihn ganz ohne Mama noch einmal sehen, Sachen in den Sarg legen, ihn berühren.

Ich habe Angst, nicht bei meiner Familie sein zu können

Die Frage nach dem Warum blieb trotzdem. Ich konnte diese Unvermitteltheit der Tode nicht verstehen, und so wuchs über die Jahre Angst in mir. Nicht um mich selbst, überhaupt nicht. Aber um andere. Angst, wieder jemanden zu verlieren. Angst, dass jemandem etwas passiert. Angst, keine Kontrolle zu haben. Sie hemmt mich so sehr, dass ich mein Leben an ihr ausrichte. Habe ich tolles Jobangebot in einer anderen Stadt, nehme ich es nicht an, weil ich Angst davor habe, nicht bei meiner Familie sein zu können. Die räumliche Entfernung, seien es auch nur wenige Kilometer, könnte ich nicht ertragen. Ich wohne daher immer noch bei meiner Mama, genauso wie meine Brüder. Mein Beschützerinstinkt bezieht sich auf die ganze Familie. Wenn jemand etwas Schlechtes über sie sagt, kann ich richtig aggressiv werden.

Ich fürchte mich davor, den Schmerz der Vergangenheit noch mal spüren zu müssen.

Dabei träume ich schon lange davon, Rundreisen durch andere Länder zu machen, zum Beispiel eine Backpackingtour in Irland. Zu mehr als einem verlängerten Wochenende oder einem kurzen Strandurlaub habe ich mich noch nicht getraut.

Ähnliches gilt für Beziehungen. Meine beiden bisherigen Partnerschaften gingen wegen meiner Angst in die Brüche. Sie funktionierten immer nur so lange, bis die Angst einsetzte. Hatte ich das Gefühl, wir leben uns auseinander oder haben unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft, habe ich Schluss gemacht. Bei Problemen schrecke ich zurück. Ich bin so vorsichtig, dass ich mir schwer damit tue, eine Bindung aufzubauen. Und weil ich mich vor allem Schmerzhaften verstecken möchte, lasse ich es gar nicht so weit kommen. Mein damaliger Freund hat zum Beispiel von Heiraten gesprochen, da war ich 22. Und weil meine Eltern 21 waren, als sie geheiratet haben, habe ich Panik bekommen und nur noch in Was-ist-wenn-Sätzen gedacht. Ich fürchte mich davor, den Schmerz der Vergangenheit noch mal spüren zu müssen.

Ohne Hilfe geht es nicht

Mittlerweile sitzt mir die Angst nicht mehr so akut im Nacken. Ich habe keine Angst, dass jemandem etwas passiert, sobald er das Haus verlässt. Aber unterbewusst sorge ich mich immer noch. Ich denke nicht, dass ich das ohne Therapie oder andere Hilfe in den Griff bekommen werde. Das sitzt so tief in mir, in den vergangenen 13 Jahren hat sich die Angst in mir eingefressen.

Dabei widerspricht sich das mit meinen Lebenszielen, denn ich hätte gerne einmal eine eigene Familie. Ich wäre gerne eine gute Mutter, die Job und Haushalt super unter einen Hut bekommt, eine richtige Powermama eben. Das wünsche ich mir. Deswegen will ich die Angst auch unbedingt loswerden. Ein erster Schritt wird für mich sein, bald von zu Hause auszuziehen. Ich hoffe darauf, dass mir ein bisschen mehr Abstand vielleicht die Sorgen nimmt.

Ich weiß, dass ich es schaffe

Natürlich werde ich nie eine zufriedenstellende Antwort auf das Warum finden. Ich bin zwar nicht sehr religiös, gehe nur zum Sterbetag meines Papas in die Kirche und das auch eher nur für die Oma. Den Spruch "Gott gibt einem so viel, wie man tragen kann" finde ich trotzdem schön. Vielleicht kriege ich deshalb so viel aufgelastet, weil andere Menschen weniger gut damit klar kämen. Ich habe eine tolle Familie, die mir Rückhalt gibt, einen sicheren Job und ich weiß, dass ich alles überwinden werde.

Drum lass ein gutes Wort das letzte sein. Bedenk: Das Letzte könnt's für immer sein.
Auszug aus dem Guten Wort von Editha Theiler

Ich versuche seither, nach dem Guten Wort von Editha Theiler zu leben und mir immer zu überlegen, was ich als letztes sage. Sei es vor dem Schlafengehen, bevor ich das Haus verlasse, oder wie ich mich verabschiede. Jedes Wort könnte das letzte sein. Ich habe selbst erfahren, wie wahr dieser Spruch ist. Deswegen war es mir auch sehr wichtig, mich freundschaftlich von meinen Partnern zu trennen. Der Spruch hängt jetzt bei uns zu Hause im Gang.Teil 1: "Meine Familie starb an Krebs und ich habe Sinn darin gefunden"

Teil 2: "Ich trage jeden Tag ein Schmuckstück meiner verstorbenen Oma"

Teil 3: Wann uns Trauer reifen lässt