Wütende Menschen zu beruhigen ist nicht immer leicht. Oft reicht ein falscher Satz, um eine Situation eskalieren zu lassen. Wie in einem Beispiel, das Kommunikationstrainerin Claudia Berghaus schildert: Einer ihrer Klient*innen arbeitet in der Reklamationsabteilung eines Reiseausrüsters. Eines Tages kam ein Mann mit rotem Kopf in das Geschäft. Er baute sich vor dem Tresen auf und schwang ein gebrochenes Paddel in seiner Hand. Er hatte es mit einem Ruderset wenige Tage zuvor dort gekauft. Bei seinem ersten Einsatz auf dem Wasser war es gebrochen – er kenterte.

Nun beschwerte er sich also über die mangelhafte Qualität und wollte sofort Ersatz. Der Mitarbeiter wusste jedoch, dass er nur ein Paddelpaar einschicken konnte. Das heilgebliebene Paddel hatte der Kunde jedoch zu Hause gelassen. "Bitte holen Sie noch das zweite Paddel, damit ich das Set einschicken kann", sagte der Mitarbeiter. Das machte den gereizten Mann noch wütender. Er fing an zu schreien und wollte den Chef sprechen.

Hätte der Reklamations-Mitarbeiter anders reagiert, hätte er eine Eskalation vermeiden können.

"Eine Möglichkeit wäre gewesen, das Reiz-Reaktions-Schema zu brechen – zum Beispiel durch eine Handlung, die das Gegenüber so nicht erwartet", sagt Berghaus. "Das Angebot, sich zunächst zu setzen und einen Kaffee zu trinken, solange der Mitarbeiter alle Hebel in Bewegung setzt, um dem Kundenwunsch zu entsprechen, hätte eine Irritation ins Reiz-Reaktions-Schema gebracht." Wie ein Feuer, das Holz benötigt, um weiter zu lodern, braucht Wut ebenfalls Nahrung, um am Leben zu bleiben. Die lieferte der Mitarbeiter dem Mann mit seiner Reaktion, dass ein einzelnes Paddel nicht für eine Reklamation genügen würde.

Obwohl dem Mitarbeiter klar war, dass er ohne das zweite Paddel nichts regeln kann, hätte er durch das Angebot, dem Kunden einen Kaffee zu machen, Zeit gewonnen. Später hätte er ihm in entspannterer Lage die Bedingungen für eine Rücksendung erklären können.

Sich selbst besser kennenlernen

Um souverän reagieren zu können, muss man jedoch zunächst seine Wahrnehmungsfilter besser kennen, sagt Berghaus. "Der Klient war völlig auf das Produkt fixiert. Er war nicht in der Lage, die Gesamtsituation so schnell zu erfassen und hat betriebsblind nur auf das eine Paddel geschaut, das er alleine nicht einschicken konnte." Den schimpfenden Mann neben dem Produkt habe er nur selektiv wahrgenommen. Er war der Situation kommunikativ nicht gewachsen und hatte nicht aktiv zugehört.

"Wenn Sie solche Situationen trainieren, lernen Sie Ihre Wahrnehmungsfilter besser kennen und können das nächste Mal in einer derartigen Situation besser reagieren", sagt sie.

Dass wir ohne Übung nicht souverän reagieren, wenn wir einem wütenden Menschen gegenüberstehen, hat auch mit unserem Gehirn zu tun, wie die Kommunikationstrainerin Susanne Lorenz erklärt. "Wir haben noch immer ein Reptilienhirn, das in solchen Momenten auf fight or flight schaltet." Das Problem ist, dass dann andere Systeme im Körper heruntergefahren werden. Dazu gehört das logische Denkvermögen, sagt Lorenz. 

Deshalb ist ein weiterer Tipp: Erstmal kurz gar nichts tun. Dieser Moment hilft, sich der Situation bewusst zu werden und Zeit zu gewinnen. Dann kann man gelassener reagieren – zum Beispiel mit einer Nachfrage. "Das ist immer gut. Stellen Sie eine Detaillierungsfrage, wie zum Beispiel: 'Was ist genau passiert?'", sagt Berghaus. Dieses "genau" sei wichtig, weil jemand, der sehr emotional ist, gerne pauschalisiert, sagt Kommunikationstrainerin Jessica Wahl. "Die Nachfrage nach dem Genau entschleunigt die Situation. Wer das Problem exakt beschreiben soll, muss nachdenken und beruhigt sich dabei", sagt sie.

Der dritte wichtige Schritt: Mitgefühl zeigen. Wer beispielsweise sagt: "Mitten auf dem Fluss ist Ihnen das passiert? Das muss furchtbar für Sie gewesen sein", signalisiert dem Gegenüber, dass er sein Bedürfnis ernst nimmt, sagt Wahl.

Außerdem ist es oft hilfreich, wenn die wütende Person Dampf ablassen kann. "Die große Kunst ist, da ruhig zu bleiben", sagt Susanne Lorenz. "Dreimal tief ausatmen oder die Faust ballen kann helfen. Aber das ist alles eine Frage der Übung. Wenn ich diesen Mechanismus nicht internalisiert habe, fällt es mir schwer. Man benötigt ein inneres Stoppschild", sagt sie.

Wie reagiere ich auf aufgeregte Menschen?

All diese Tipps hätten helfen können, den Kunden zu beruhigen – und erst dann den Punkt mit dem zweiten Paddel anzusprechen. "Bevor die Wut nicht abklingt, sind sachliche Diskussionen aussichtslos. Denn wer wütend ist, hört nicht richtig zu", schreibt Albert J. Bernstein in seinem Buch How to deal with emotionally explosive people. Der US-Amerikaner ist klinischer Psychologe und Autor. Er gibt Verhaltenstipps, wie man wütenden Personen am besten begegnet. Sie decken sich zum Teil mit denen der Kommunikationstrainerinnen. Hier sind einige weitere:

1. Tu erst mal nichts

Wer einer wütenden Person gegenüber steht, handelt instinktiv und unüberlegt. Um clever zu reagieren, benötigt man aber sein Denkvermögen. Hilfreich kann es also sein, kurz innezuhalten, durchzuatmen und beispielsweise zu sagen: "Geben Sie mir einen Moment Zeit, darüber nachzudenken." Ein positiver Effekt laut Bernstein: Die wütende Person hat ebenfalls einen Moment, um über die Situation nachzudenken.

2. Gestehe der Person das Recht zu, wütend zu sein

Einer der schlimmsten Fehler ist nach Bernsteins Angaben folgender Satz: "Es gibt überhaupt keinen Grund, so wütend zu sein." Stattdessen sollte man der Person das Recht zugestehen, wütend zu sein – allerdings möglichst ohne das Wort selbst zu benutzen, denn das wollen wütende Menschen eben nicht hören. Stattdessen sollte man zum Beispiel Folgendes sagen: "Ich kann verstehen, dass Sie aufgebracht sind." Dieser Satz bedeutet noch lange nicht, dass man mit der Meinung der wütenden Person übereinstimmt. Und wer sich mitfühlend zeigt, nimmt dem Zorn die Nahrung.

3. Versuche nicht, die Situation zu erklären

Auch wenn es schwer fällt, sollte man den Drang unterdrücken, sich zu erklären. Warum? Die wütende Person schreit meistens. Und wer schreit, kann nicht gleichzeitig denken – und demnach auch keine logischen Informationen aufnehmen. Ein erklärender Satz macht laut Bernstein meist nur eines der folgenden beiden Dinge:

  • Er demonstriert Dominanz: Ich habe alle Fakten parat und sie zeigen, dass Sie falsch liegen und ich richtig.
  • Fluchtversuch: Es war nicht meine Schuld, Sie sollten sich bei jemand anderem beschweren.

Beide Reaktionen werden die wütende Person noch wütender machen. Bei ihr kommt eine Erklärung in etwa so an: "Wenn du nicht wirklich komplett blöd bist, wirst du sehen, dass du keinen Grund hast wütend zu sein, weil du derjenige bist, der falsch liegt."

4. Frage nach: "Was möchten Sie, dass ich tue?"

Die Frage "Was möchten Sie, dass ich tue?" kann laut Bernstein Wunder wirken, weil sie den Zorn des Gegenübers unterbricht und ihn*sie zwingt, darüber nachzudenken, was er*sie eigentlich will. In den meisten Fällen wissen wütende Personen gar nicht genau, was sie möchten. Sie müssen also nachdenken – und das wird zu einer gemeinsamen Lösung des eigentlichen Problems führen.