Hebammen, Haftpflichtversicherungen, Verbände – alles keine Wörter, bei denen der socialmediaverwöhnte Informations-Junkie von heute beim Durchscrollen seiner Facebookwall kleben bleibt.

Beim zweiten Hinsehen stellt sich heraus, dass das, was da seit Monaten halb im News-Dschungel, aber nie als Schlagzeile, durch die Nachrichten-Landschaft nebelt, eine Sache ist, die uns alle angeht. Männer und Frauen, jetzt noch Söhne und Töchter, irgendwann Väter und Mütter.

Ich selbst scrollte immer nur, obwohl 24/7 online und Freundin einer Mutter mit junger Familie, am Thema Zukunft der Hebammen mit halbem Auge vorbei, bis ich diesen Tweet von Anne Roth las:

Sie trifft den Kern einer Diskussion, die bis heute viel zu lasch geführt wurde und deren Hintergrund folgender ist:

Hebammen, Haftpflichtversicherung – hä?

Wie viele andere Freiberufler*innen müssen auch Hebammen eine Berufshaftspflichtversicherung abschließen. Deren Jahresbeitrag beträgt momentan 6.274 Euro. Vor 15 Jahren musste eine Hebamme noch 404 Euro bezahlen, um sich zu versichern.

ze.tt: Warum ist der Betrag so schnell so stark angestiegen, Jana Friedrich?

Jana Friedrich: Die Schadensersatzforderungen für Risikofälle, also Geburten, bei denen es zu Komplikationen kommt, werden immer höher. Deshalb haben die Versicherungen auch den Beitragssatz für Hebammen drastisch erhöht, damit sie in einem Schadensfall, die klagenden Eltern bezahlen können.Wie oft kommt es denn zu solchen Risikofällen?

Nicht sehr oft. Es gibt nur sehr wenig Geburten, bei denen etwas schief geht. Hebammen sind allerdings 30 Jahre rückwirkend verklagbar. Das ist ein weiterer Unsicherheitspunkt für den Versicherer.

Für Versicherungen sind Hebammen also nicht gerade rentabel. Die Folge ist, dass es momentan nur noch eine Gruppenhaftpflichtversicherung für freie Hebammen gibt, die läuft im Juli 2016 aus. Dann können sich freiberufliche Hebammen gar nicht mehr versichern, das heißt im Prinzip: Sie müssen ihren Job aufgeben.

"Einschnitt in die Selbstbestimmung der Frau"

Um das zu verhindern, tagte vor einer Woche eine Schiedsstelle, die den Zwist zwischen Krankenversicherungen und dem Deutschen Hebammenverband (DHV) beilegen sollte. Das Ergebnis allerdings ist aus Sicht der Hebammen ernüchternd: Zwar sollen alle Hebammen, die mindestens vier Geburten im Jahr betreuen, ihre Aufwendungen für die Berufshaftpflicht von den Kassen finanziert bekommen. Beschlossen wurde aber auch, dass bei der Überschreitung des berechneten Geburtstermins um drei Tage, immer erst ein Arzt bestimmen muss, ob eine Hausgeburt überhaupt möglich ist.Wie ist diese Entscheidung einzuordnen, Jana?

Viele Kolleginnen und ich sind darüber fürchterlich wütend. Diese Entscheidung greift unsere Kompetenz als Hebammen sehr stark an. Wir haben doch gelernt, Probleme bei der Geburt zu erkennen und wenn nötig, die werdende Mutter in eine Klinik verlegen zu lassen. Wir sind dazu ausgebildet, zu sehen, ob etwas gut läuft oder nicht.

Die Entscheidung hat zwei Konsequenzen: Erstens wird es praktisch keine Hausgeburten mehr geben, weil die Ärzte Angst haben, verklagt zu werden, wenn etwas bei der Hausgeburt schief läuft, die sie genehmigt haben. Zweitens ist das ein Einschnitt in die Selbstbestimmung der Frau. Sie kann dann nicht mehr entscheiden, ob ihr Kind als Hausgeburt zur Welt kommt oder nicht.Was bedeutet das für den Beruf der Hebamme?

Es wird ihn außerhalb von Kliniken wahrscheinlich einfach nicht mehr geben. Ich finde es verrückt, dass unsere Gesellschaft dem Anfang von neuem Leben so wenig Bedeutung beimisst.

Verändertes Familienleben – junge Frauen brauchen Hebammen dringender denn je

Hebammen sind keine Schwerverdiener*innen. "Niemand wird Hebamme, weil er reich und berühmt werden möchte", sagt Jana. Um den jetzigen Versicherungsbeitrag von 6.274 Euro aufbringen zu können, muss eine freie Geburtshelferin etwa ein Vierteljahr arbeiten. Eine Hürde, vor der schon in den letzten Monaten etliche kapituliert haben.Wie viele freie Hebammen gibt es noch?

Nicht mehr allzu viele [Anmerkung der Redaktion: Es gibt noch 2.348 freiberufliche Hebammen, die Geburten begleiten]. Ich kenne viele, die mittlerweile ihren Job gewechselt haben und jetzt etwas ganz anderes machen, weil sie selbst sonst nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Es ist traurig, aber wahr: Mit Kellnern verdienst du mehr, als mit Leben auf die Welt bringen. 

Klar, jetzt könnte man sagen: Pah, es geht doch nur um Hausgeburten, dann sollen die Mütter doch ihre Kinder im Krankenhaus bekommen. Aber nein, es geht eben nicht nur um Hausgeburten, sondern vor allem um die Betreuung der Frauen während und nach der Schwangerschaft.

Das Familienleben hat sich stark verändert: Viele Frauen leben in Städten weit weg von ihrer Familie. Der direkte Draht zu Mutter und Großmutter fehlt. Eine Frau, die die Ängste, Sorgen, aber auch die Freuden werdender Mütter kennt, ist da immens wichtig. Doch die fehlt, weil Hebammen fehlen.

Immer mehr Frauen finden keine*n Geburtshelfer*in mehr, der*dem sie sich anvertrauen können. Für sie hat der DHV eine Landkarte der Unterversorgung erstellt – eine Map, die zeigt, in welchen Gebieten Mütter keine Hebamme mehr fanden. Jana Friedrich und ihre Kolleg*innen sind überlastet, erzählt sie:

Kolleginnen und ich müssen Anfragen werdender Mütter ablehnen, weil wir es nicht schaffen, sie ordentlich zu betreuen. Bei der Vorsorge könnte man ja noch sagen, okay die Gynäkologen übernehmen das. Aber die Wochenbettbetreuung ist eine originäre Hebammenaufgabe, das macht niemand sonst. Frauen späterer Generationen werden uns verteufeln, wenn wir uns jetzt nicht weiter dafür einsetzen, dass sich etwas ändert.

Großbritannien als Vorbild

In Deutschland ist die Entscheidung über die Wichtigkeit von Hebammen Chefärzt*innen- und Verbandssache. In Großbritannien sieht das ganz anders aus. Hier verlässt man sich auf die Erkenntnisse medizinischer Studien aus den vergangenen Jahren und empfiehlt Frauen, ihr Kind in vertrauter Umgebung zu bekommen. Also zu Hause zu gebären.

Frauen mit komplizierterem Schwangerschaftsverlauf kommen in eine Klinik und werden dort Eins-zu-Eins betreut. Ein Modell, das sich Jana Friedrich auch für Deutschland wünscht. In Bezug auf die aktuelle Situation von Hebammen hierzulande stellt sich allerdings nur eine Frage:Warum bist du noch Hebamme, Jana?

Es ist eine Berufung, Freude daran zu haben, Leben auf die Welt zu bringen. Wenn man das einmal gelernt hat und sich damit identifiziert, ist es auch Teil von einem. Es ist eine schöne und bereichernde Arbeit, immer wieder dabei zu sein, wenn ein Kind geboren wird.