Immer wenn ein US-Bundesstaat sich dazu entschließt, das Leben eines*r Straftäter*in zu beenden, fährt Lucy (Ellen Page) hin, um dagegen zu protestieren. Mit ihrer älteren Schwester Martha (Amy Seimetz) und ihrem kleinen Bruder Ben (Charlie Shotwell) reist sie im Wohnwagen umher. Mal stehen sie mit ihren Bannern in Oklahoma, mal in Texas, mal in Missouri vor den Zäunen der Gefängnisse. Aber nicht nur Todesstrafengegner*innen harren dort aus. Vor den Zäunen treffen die Gegner*innen immer wieder auf die Befürworter*innen der Todesstrafe.

Eines Tages lernt Lucy eine von ihnen kennen: Mercy (Kate Mara) steht ihrer Familie bei, als ein geistig behinderter Mann für den Mord am Kollegen von Mercys Vater hingerichtet wird. Zwei völlig entgegengesetzte Weltsichten prallen aufeinander. Doch aus dem Konflikt entwickelt sich etwas, womit weder Lucy noch Mercy gerechnet haben. Sie entdecken eine gegenseitige Anziehung, die in einer Welt, in der es eh schon nicht einfach ist, anders zu sein, äußerst kompliziert werden kann.

My Days Of Mercy widmet sich mit der Todesstrafe und der Homosexualität im mittleren Westen der USA gleich zwei großen Themen. Regisseurin Tali Shalom Ezer gelingt das Drama, indem sie leise Töne und ruhige Bilder verwendet.  Zu Recht hat sie dafür viel Lob erhalten – zuerst bei der Premiere 2017 beim Filmfest in Toronto, danach bei weiteren Festivals. Nun erscheint My Days Of Mercy endlich bei uns in den Kinos.

Ein ungleiches Paar in einer rauen Welt

My Days Of Mercy ist eine wunderbar unaufdringliche Studie der US-Gesellschaft im mittleren Westen. Tali Shalom Ezer und Drehbuchautor Joe Barton treten dabei als moralische Instanz in den Hintergrund. Sie nutzen den Film nicht, um dem Publikum mit dem Vorschlaghammer eine Meinung aufzudrücken. Ihr Erzählstil und die Geschwindigkeit sind herrlich unaufgeregt. Trotz des Konfliktpotenzials müssen Mercy und Lucy nicht auf Krampf laut werden. Oft werden Bilder einfach stehen gelassen, ohne dass viel passiert oder sie kommentiert werden müssen.

Den Vollzug einer Todesstrafe inszeniert die Regisseurin höchst sensibel: Statt des eigentlichen Geschehens zeigt die Kamera immer nur die Henkersmahlzeit und das Vergehen der Strafgefangenen. Lediglich einmal müssen sich die Zuschauer*innen direkt mit einer Hinrichtung auseinandersetzen. Das wiederum geht tief ins Mark und bleibt noch lange nach Ende des Films im Kopf.

Als Lucy wegen ihrer Homosexualität von einer Kollegin als abartig und krank bezeichnet wird, trifft nicht nur Lucy der Schlag, sondern auch den*die Zuschauer*in. Denn völlig aus dem Nichts heraus, während eines recht normalen Smalltalks, zieht Lucys Gesprächspartnerin die Schlinge immer weiter zu und haut zum Ende der Unterhaltung Gemeinheiten raus. Diese kleinen, völlig unerwarteten Momente sind es, die zeigen, wie tief die Ablehnung bei manchen Menschen verankert ist.

Dass die beiden Hauptdarstellerinnen Page und Mara im echten Leben befreundet sind, schlägt sich positiv in ihrem Schauspiel nieder. Beide Figuren harmonieren wunderbar. Sie bekommen zudem gleichberechtigt Raum, um sich und ihre Meinung zu erklären. Und so ist My Days Of Mercy ein starker Film, der es schafft, zwei Geschichten außerordentlich klug, austariert und eindringlich zu erzählen. Dass es dem Drama obendrein gelingt, der scheinbar liberalen Gesellschaft der USA den Spiegel vorzuhalten, macht ihn umso bedeutender.

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