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Könntest du eine Klitoris zeichnen? Wo sie liegt, wie groß sie ist, welcher Teil außerhalb oder innerhalb des Körpers ist? Ein paar junge Frauen probieren es, die Kritzeleien sehen komplett unterschiedlich aus. Mal wie eine krumme Gurke, ein Drache oder ein Auge mit Wimpern. Die Frauen lachen dabei, halb amüsiert, halb verunsichert, als ihnen klar wird: Sie haben keine Ahnung, wie die Klitoris aussieht.

Der Dokumentarfilm My Name Is Clitoris zeigt zwölf Frauen Anfang bis Mitte zwanzig, die über ihre Körper und ihre Sexualität sprechen. Darüber, wie sie angefangen haben, beides zu erkunden, und wie viel Unwissen, Scham und Verunsicherung dabei eine Rolle gespielt hat. Dass sie dachten, Masturbation sei etwas, das nur Jungs machen, und Sex eben eine Sache, bei der man manchmal mitmachen muss, auch wenn es keinen Spaß macht.

Gespräche wie mit der besten Freundin im Bett

Die Frauen seien keine Ausnahmen, sondern sogar eher aufgeklärter als der Durchschnitt, sagt die 28-jährige Daphné Leblond. Gemeinsam mit der 24-jährigen Lisa Billuart-Monet hat sie den Film entworfen, gedreht und geschnitten, nachdem 2015 die erste Idee dazu entstanden ist. Auf dem DOK-Filmfestival 2019 in Leipzig hat der Film seine Deutschlandpremiere gefeiert.

Die Protagonistinnen vor der Kamera sind enge Freundinnen oder Bekannte aus dem Umfeld der Regisseurinnen in Brüssel, wo beide an einer Filmhochschule studiert haben. Die Gespräche sind in den Betten der Frauen gedreht worden und sehr intim, wie sie eben nur zwischen Freundinnen sein können. "Pyjama-Party-Talk" sagen die Filmemacherinnen dazu.

"Ich wusste auch nicht, dass es die Klitoris überhaupt gibt, bis ich Anfang zwanzig war und schon meinen ersten Freund hatte", erzählt Daphné. Durch ihre Recherchen haben die Regisseurinnen selber viel über weibliche* Körper und die Klitoris gelernt – zum Beispiel, dass lange völlig unklar war, wie das Organ eigentlich aussieht. Erst 2016 hat eine französische Forscherin ein 3D Modell der Klitoris veröffentlicht.

Weibliche Lust – kein Thema bei der Aufklärung

Kein Wunder also, dass die meisten Mädchen vor allem auf ihre eigene Neugier angewiesen sind, um den Körper kennenzulernen. Die Frauen im Film können sich oft sehr genau erinnern, wann ihnen bewusst geworden ist, dass es zwischen ihren Beinen etwas zu entdecken gibt. Etwa bei Doktorspielchen mit anderen Kindern, durch Szenen in Filmen oder Musikvideos oder wenn angespannte Muskeln beim Sport zu Erregung wurden. Was ihnen Lust verschafft oder wie Erregung und Sex funktioniert – das mussten sie dann aber alleine rausfinden.

Die Protagonistinnen der Doku erzählen, dass weder die Eltern noch Lehrer*innen an der Schule eine große Hilfe bei der Aufklärung gewesen seien. Das sei ein Problem, sagt Daphné: "In der Schule wird bei der Aufklärung vor allem über Risiken gesprochen. Geschlechtskrankheiten und ungewollte Schwangerschaften. Das ganze Thema wird sehr negativ behandelt. Andere Risiken werden aber ausgelassen: Etwa, dass es einen Orgasmus-Gap gibt und Lust ungleich verteilt wird oder dass es Rape-Culture gibt." Auch über Einvernehmlichkeit beim Sex werde kaum aufgeklärt.

In Frankreich und Belgien könnte sich das durch My Name Is Clitoris bald ein bisschen ändern: Eine Organisation für Familienplanung und Aufklärung will Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm an Schulen zeigen. Ein erster großer Erfolg für die Regisseurinnen.

Die Frauen wollen Tabus brechen – zu ganz unterschiedlichen Themen

Während ihrer Dreharbeiten sei ihnen bewusst geworden, dass sie sich auch in ihrem vermeintlich aufgeklärten Freund*innenkreis kaum über Lust austauschen, erzählen Daphné und Lisa. Als sie nach Protagonistinnen suchten, überraschte es sie, dass einige Frauen bereit waren, über diese Themen vor der Kamera zu sprechen. Viele hatten die Tabus und die Ungerechtigkeit satt. "Es war eine Erleichterung, endlich darüber zu sprechen", sagt Daphné. "Obwohl die meisten zuerst Hemmungen hatten, ihr Gesicht zu zeigen, waren sie dann froh, offen über Sexualität sprechen zu können. Das hätten wir eigentlich auch ohne Kamera machen können."

Die Erfahrungen und Sorgen der Frauen im Film sind ganz unterschiedlich. Eine spricht von Vaginismus, einer sexuellen Störung, bei der die Vaginalmuskulatur so zusammenkrampft, dass selbst das Einführen von Tampons oder eben Sex mit vaginaler Penetration kaum möglich ist. Eine andere berichtet, dass sie einen arabischen Migrationshintergrund hat und mit rassistischen Vorurteilen kämpfen muss. Entweder werde sie als prüde und unterdrückt wahrgenommen oder zur sexuellen Fantasie gemacht. Queere Frauen erzählen, dass es oft nicht als sogenannter richtiger Sex wahrgenommen werde, wenn Frauen miteinander schlafen. Einmal habe sogar eine Ärztin im Krankenhaus gesagt, die Patientin sei ja noch Jungfrau, weil sie mit einer Frau geschlafen habe, nicht mit einem Mann.

Ein Film, bei dem man oft denkt: "Das kenn ich doch"

Was das überhaupt bedeuten soll, Jungfrau zu sein, über solche Fragen reflektieren die Frauen. Ob Pornos eigentlich gut oder schlecht sind. Wieso man manchmal einen Orgasmus vortäuscht, auch wenn man das für falsch hält. An vielen Stellen in dem Film kann man sich wiederfinden. Bei der Premiere in Leipzig ist bei einigen Szenen Kichern und Lachen zu hören, weil man sich selber gut erinnern kann an die vielen Pannen und hilflosen Momente, die wohl auf dem Weg zu einer selbstbestimmten und aufgeklärten Sexualität nicht zu vermeiden sind.

Der Film zeigt zwar, dass vieles schief läuft. Er macht aber auch Mut, sich selber mehr mit dem eigenen Körper zu beschäftigen. Die Frauen erzählen, wie sie Tabus gebrochen und ihre Sexualität zurückerobert haben. Nach der Vorführung richtet Daphné einen Appell ans Publikum: "Das Gute ist, wir können alle jetzt sofort anfangen, in unseren Betten etwas zu verändern."