Ich war noch sehr jung, als ich das erste Mal ein Video sah, in dem eine Schwarze Person Opfer von Polizeigewalt wurde. Es war der Fall Rodney King. Der junge Afroamerikaner wurde 1991 in den USA von einer Gruppe Polizisten bei einer Festnahme aufs Übelste verprügelt. Knapp acht Jahre nach der Tat zeigte mir mein Bruder das Video im Fernsehen. Es hat mich wochenlang verfolgt. Die Polizisten in dem Video kamen zwar vor Gericht, wurden jedoch freigesprochen.

Bilder der Proteste nach dem Angriff auf Rodney King gingen um die Welt. Schon damals prangerten Schwarze Amerikaner*innen die Polizeigewalt gegen sie an, gingen auf die Straße, um sich Gehör zu verschaffen. Geändert hat sich nichts. Ähnlich wird es auch nach dem Tod George Floyds ablaufen.

Der Fall George Floyd

Der 46 Jahre alte Afroamerikaner George Floyd starb am Dienstag in Minneapolis in Folge eines Polizeieinsatzes, bei dem ein Polizist neun Minuten lang auf seinem Hals kniete. George Floyd war vorher von drei Beamten auf dem Boden fixiert und in Handschellen gelegt worden, obwohl er sich friedfertig hatte festnehmen lassen; er stand unter Verdacht, Falschgeld in Umlauf gebracht zu haben. Von der Tat existiert eine Videoaufnahme, in der zu sehen ist, wie er immer wieder sagt, dass er nicht atmen könne und um Luft ringt.

Viele Menschen zeigen sich in den sozialen Medien überrascht, ja gar empört, über diese grausame Zurschaustellung von Gewalt. Ungeheuerlich, eine Schande, traurig, dass das 2020 noch passieren kann, das sind nur ein paar der Reaktionen. Dabei ist das kein neues Phänomen, wie Schwarze Menschen schon seit Langem berichten.

Proteste in den USA

Nachdem das Video sich online verbreitet hatte, kam es in Minneapolis und anderen US-Städten zu Protesten gegen Polizeigewalt. Die Polizei ging mit voller Härte gegen die Protestierenden vor. Es wurde mit Gummigeschossen und Tränengas agiert. Einige Demonstrierende räumten eine Filiale der Supermarktkette Target leer und verursachten Sachschäden. Afroamerikaner*innen sind wütend. Sie sind traurig. Sie sind müde, von der nicht enden wollenden Gewalt gegen sie und ihre Körper.

US-Präsident Donald Trump twitterte, man werde mit größtmöglichen Härte gegen diese "Thugs" vorgehen, eine abwertende Bezeichnung, die vor allem für Schwarze Menschen gebraucht wird. Er droht den Protestierenden mit einem Militäreinsatz:

A Riot is the Language of the Unheard

Kritiker*innen der Proteste sagen, es sei zwar an sich legitim, auf die Tötung George Floyds aufmerksam zu machen, Sachschäden und Diebstahl seien aber nicht das richtige Ventil für die Frustration. Schwarze Menschen sollen die andere Wange hinhalten, das habe einst schon der große Martin Luther King gesagt – schließlich der Widerstandskämpfer schlechthin.

In Diskussionen um Rassismus wird er gerne als Schlichter und Vermittler dargestellt, als entpolitisierte Heldenfigur. Er habe doch Einigkeit gewollt und eine Welt, in der eines Tages seine Schwarzen Kinder an der Seite weißer Kinder spielen könnten. Solche Proteste wären bestimmt nicht in seinem Sinne gewesen, so erklären meist weiße Menschen Schwarzen Menschen die Welt. Seine "I have a dream" -Rede wird als Zeugnis einer utopischen, post-racial Welt herangezogen, in der wir "alle gleich sind", was auch immer das bedeuten soll.

Außerdem auf ze.tt: "Am I next?" – so protestieren Menschen in den USA gegen rassistische Polizeigewalt

Martin Luther King war aber zum Ende seines viel zu kurzen Lebens hin vor allem ernüchtert. Der Weg des gewaltlosen Widerstands, er überzeugte ihn nicht mehr. Er war frustriert von der mangelnden Unterstützung weißer Menschen, die sich als liberal und moderat einschätzten – und doch mehr an Ordnung und der Instandhaltung des Status quo interessiert waren als an echtem Fortschritt. An seine Worte muss ich oft denken, wenn ich in diesen Tagen lese, dass wir doch alle Geschwister seien, geeint in unserer Menschlichkeit.

Nicht alle Leben sind gleich

Wie schon oft bei derartigen Protesten treten nun die Relativierer*innen, die All-Lives-Matter-Schreienden, die Ich-sehe-keine-Farben-Fraktion auf den Plan. Anstatt sich mit Schwarzen Personen zu solidarisieren und für echte Veränderung einzusetzen, werden sie mit einer übergriffigen Kumbaya-Attitüde zum Schweigen gebracht. Diese Leute sehen Schwarze Menschen und ihre Erfahrungen nicht. Sie wollen sie nicht sehen.

Gerne ignoriert wird auch eines der Zitate von Martin Luther King, das gerade am wichtigsten erscheint: "A Riot is the Language of the Unheard." Der Aufstand ist die Sprache der Ungehörten. Schwarze Menschen in den USA, sie schreien seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten und versuchen, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ihre Stimmen werden nicht gehört. Sie sind gefangen in einem realen Albtraum, in dem sie wieder und wieder zur Zielscheibe werden im eigenen Land. Immer und überall. Die Proteste sind das Ergebnis dieser nicht enden wollenden Ungerechtigkeit.

Und was sagen wir den Angehörigen von Oury Jalloh, von Rooble Muse Warsame und vielen mehr? Ein Glück, dass es in Deutschland mit der Gewalt vonseiten staatlicher Institutionen nicht so schlimm ist? Nein, anti-Schwarzer Rassismus ist ein globales Problem und existiert überall. Mit dem Finger auf die USA zu zeigen und sich gleichzeitig von der eigenen Verantwortung im eigenen Land reinzuwaschen, ist heuchlerisch. Wir sollten den gewaltsamen Tod George Floyds nutzen, um darüber zu sprechen, welchen Repressalien Schwarze Menschen auch hierzulande ausgesetzt sind.