Nach den Landtagswahlen am Sonntag wurde folgende Grafik tausendfach geliked und geteilt.

Die Rechtspopulisten der AfD werden in Rheinland-Pfalz (12,6 %), Baden-Württemberg (15,1 %) und Sachsen-Anhalt (24,2 %) in die Landtage einziehen. Tatsächlich erinnern die Wahlergebnisse an die Dreißiger Jahre und das Erstarken der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik. Wir wollten wissen, ob es Parallelen gibt zwischen damals und heute und fragten Historiker Norbert Frei, einen Experten für die Weimarer Republik und die Nazi-Diktatur.
Herr Frei, wie viel NSDAP steckt in der AfD?

In der AfD als Partei steckt einiges an braunem Gedankengut, aber das ist nicht in allen Landesverbänden gleich stark. Der AfD-Chef in Thüringen zum Beispiel hat sich wiederholt einschlägig geäußert – er träumt politische Träume von einer "tausendjährigen Geschichte", die in Deutschland bekanntlich schon einmal bittere Wirklichkeit geworden ist.

Von den Parteikadern zu unterscheiden ist aber die jetzt sehr breit gewordene Wählerschaft: Wenn sich in Sachsen-Anhalt gut ein Viertel der Wähler – die NPD hat ja auch noch fast zwei Prozent – gegen das angebliche "System" der "etablierten Parteien" stellt, dann ist das deprimierend. Aber das sind natürlich nicht alles Rechtsradikale.
Die AfD steht für Führerdenken, Rassismus, verminderte Rechte für Frauen, Behinderte und Homosexuelle – warum fühlen sich so viele Menschen in einer vermeintlich aufgeklärten Demokratie von solchem Rechtspopulismus angesprochen?

Vielen Menschen ist unsere moderne, bunte Gesellschaft offenbar zu unübersichtlich geworden. Die Soziologen sprechen da gerne von "Modernisierungsverlierern": Das sind oft Leute, die die Welt nicht mehr verstehen, aus welchen Gründen auch immer, und die aggressiv reagieren, weil sie spüren, dass die Welt nie mehr so "heil" wird, wie sie vermeintlich einmal war. In den letzten Jahren sind die meisten von denen nicht zur Wahl gegangen – jetzt glauben sie, in der AfD ihre Stimme gefunden zu haben. Und indem man gegen die Schwachen ist – jetzt sind das die Flüchtlinge – kann man sich stark fühlen.

[Außerdem bei ze.tt: Unter Pseudonym in rechten Facebook-Gruppen: So feiert die AfD ihren Wahlerfolg]
Inwiefern ist die gesellschaftliche Stimmung momentan mit der in den Dreißiger Jahren zu Zeiten des Endes der Weimarer Republik vergleichbar?

Dass die demokratischen Parteien an Zustimmung verlieren, ist ein schlechtes Zeichen. Aber zur Panik besteht kein Anlass: Ihr Stimmenanteil ist auch gesunken, weil die AfD viele Nichtwähler gewonnen hat. Und sowohl die wirtschaftliche als auch die gesellschaftliche Situation ist heute ungleich stabiler als gegen Ende der Weimarer Republik.

Das heißt, die Protestwähler von heute haben weniger "Grund" als damals, bei den Demokratieverächtern zu bleiben – wenn wir uns denn ernsthaft bemühen, sie für die Demokratie zurückzugewinnen.

Warum wird eine Partei, die bislang nur die Angst vieler Menschen nimmt, um ihre Parolen zu verbreiten und die keine eigenen Lösungsansätze zum Beispiel für die Flüchtlingsfrage anbietet, trotzdem vielfach gewählt?

Das ist nicht alles rational überlegt. Es gibt ja auch eine aggressive Lust am Protest – man will sich "spüren", man will sehen, wie das ist, in einer Demonstration mitzumarschieren. Und wenn man dann noch die Aufmerksamkeit der Medien bekommt und sich selbst über die "sozialen Medien" inszenieren kann, dann mag einem das eine Weile lang auch Genugtuung verschaffen. Aber die Desillusionierung folgt auf dem Fuße.
Was denken Sie, erhoffen sich die Wähler langfristig davon?

Ich glaube, dass die Protestwähler vom letzten Sonntag vor allem protestieren und den "Altparteien" einen Denkzettel verpassen wollten – die Strategen in der AfD wollen natürlich mehr, aber das können sie aus der Opposition heraus glücklicherweise nicht erreichen. Genau darin liegt die Chance der demokratischen Parteien: Es kommt jetzt darauf an, die Enttäuschten zurückzuholen, ohne den Radikalen nachzugeben.[Außerdem bei ze.tt: Auswandern? Hier sind fünf Vorschläge!]

Warum wählen so viele Ostdeutsche AfD?

Anders als im Westen Deutschlands ging es im Osten nach zwölf Jahren der NS-Herrschaft nochmal vierzig Jahre antidemokratisch weiter. Mit anderen Worten: Die Erfahrung der Demokratie ist im Osten deutlich weniger verankert, und das gilt auch für die demokratischen Parteien: Deren Personaldecke und Infrastruktur ist deutlich dünner als im Westen.

Deswegen gab es seit 1990 im Osten immer schon eine größere Bereitschaft, neue Parteien "auszuprobieren" – auch wenn man eigentlich schon ahnen konnte, dass die mit trügerischen Versprechungen hantierten.
Flüchtlingsunterkünfte werden angezündet, Flüchtlingsbusse angehalten – könnte es zu einer neuen Pogromstimmung in Deutschland kommen?

Polizei und Justiz müssen klare Signale senden, dass Unrecht nicht geduldet wird – und ich hoffe doch, dass die Sicherheitsmaßnahmen um Unterkünfte entsprechend hochgezogen worden sind. Denn mittlerweile ähneln manche Szenen tatsächlich schon den rechtsextremen, fremdenfeindlichen Gewaltausbrüchen der frühen neunziger Jahre.[Außerdem bei ze.tt: Wollte die AfD als Anglerverein ein Lokal anmieten?]

Aber im Unterschied zu damals gibt es nach wie vor eine große Mehrheit, die sich aktiv dagegen stellt. Man sieht das zum Beispiel daran, dass in einer Stadt wie Jena Tausende auf den Beinen sind, wenn einige hundert AfD-Anhänger den Marktplatz für sich beanspruchen wollen.

Was können etablierte Medien tun, um wieder mehr Gehör zu bekommen und nicht als bloße "Lügenpresse" abgestempelt zu werden?

Nüchtern und unbeirrt nach bestem Wissen und Gewissen berichten – und nicht hysterisch oder ängstlich reagieren, nur weil Leserbriefe von Leuten kommen, denen die Wirklichkeit nicht passt.
Wie sollte man als aufgeklärter, demokratischer Bürger im Netz auf Hetzparolen und ähnliches reagieren?

Wenn alle jungen Leute, die soviel Zeit in den "sozialen Medien" verbringen, einen Bruchteil davon nutzen würden, um den rechten Hetzern überall dort zu widersprechen, wo sie auf deren Einträge stoßen, dann würden die vermutlich sehr schnell merken, dass sie in der Minderheit sind – und auf die Sympathien der Mehrheit nicht rechnen können.