Das Thema Schwangerschaftsabbruch hat zahlreiche Perspektiven. Die Perspektive derer, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, zum Beispiel. Die Perspektive derer, die einen Abbruch haben vornehmen lassen. Die Perspektive derer, die sich entscheiden müssen, ob sie einen Abbruch vornehmen lassen würden.

Im vergangenen Jahr wurde das Thema vor allem aus zwei dieser Perspektiven diskutiert. Die eine Diskussion: über den Paragrafen 219a, der es Ärzt*innen verbietet, damit zu werben – sprich, darauf hinzuweisen –, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die andere Diskussion: darüber, dass ein pränataler Bluttest, der vor einigen Jahren mehrere tausend Euro kostete, für Risikoschwangere zukünftig von den Krankenkassen bezahlt werden soll. Ein Bluttest, der die Wahrscheinlichkeit von Trisomien mit großer Genauigkeit bestimmt und damit wiederum zu einer sich noch weiter erhöhenden Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen führen kann.

Beide Diskussionen sind wichtig, weil diese beiden Themen so viele Facetten haben; weil so viele individuelle Geschichten dahinter stecken. Ich fühle mich von beiden Punkten persönlich betroffen: weil ich ein Kind mit einer Erkrankung habe, weil ich drei Fehlgeburten hatte. Und trotzdem – nein, gerade deswegen–, fällt es mir schwer, bei beiden Themen hinter dem zu stehen, was eigentlich meine Meinung ist: der Freiheit des Individuums.

Zur eigentlichen Meinung stehen – auch, wenn man selbst Kinder verloren hat

Es ist leicht, in der Theorie für etwas einzutreten, was in der Praxis keine Berührungspunkte zum eigenen Leben hat. So ist es recht einfach, gegen die Todesstrafe zu sein, wenn man niemals ein Familienmitglied durch die Hand eines anderen Menschen verloren hat. Als jemand, dem das widerfahren ist, immer noch zu sagen: "Ich will Mörder*innen in der Hölle schmoren sehen, aber ich bleibe bei meinen Prinzipien, die Todesstrafe ist falsch und unmenschlich, unabhängig von meinen Gefühlen" – das erfordert wesentlich mehr, vielleicht sogar unfassbar viel Rückgrat.

Sind meine gesamten feministischen Überzeugungen bezüglich des Rechts auf den eigenen Körper und der Selbstbestimmung der Frau hinfällig, nur weil ich andere Frauen beneide, dort selbst bestimmen zu können, wo mir die Natur dieses Recht genommen hat?

Für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu sein, obwohl man selbst ungewollt Kinder verloren hat oder ein Kind bekommen hat, das andere als Grund zum Abbruch sehen? Das erfordert keineswegs unfassbar viel Rückgrat. Sondern nur einen kleinen Blick über den eigenen Tellerrand. Umso trauriger ist es, dass selbst das manchmal schwer genug fällt – zum Beispiel mir. Sind meine gesamten feministischen Überzeugungen bezüglich des Rechts auf den eigenen Körper und der Selbstbestimmung der Frau hinfällig, nur weil ich andere Frauen beneide, dort selbst bestimmen zu können, wo mir die Natur dieses Recht genommen hat?

Nein, eigentlich nicht, im Gegenteil. Ich finde Schwangerschaftsabbrüche nicht toll, niemand findet sie toll, erst recht nicht diejenigen, die sie durchführen lassen, die sie vielleicht durchführen lassen müssen. Aber ich finde es gut, dass es die Möglichkeit zum Abbruch gibt. Ich finde es gut, ich finde es richtig und wichtig und leider manchmal notwendig – auch wenn es mir natürlich lieber wäre, wenn nur Menschen schwanger werden würden, die es wirklich wollen, und die Menschen schwanger blieben, die es wirklich wollen.

Ein privilegiertes Leben mit Sicherheitsnetz macht viele Entscheidungen leichter

Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, sind nicht zu beneiden. Und doch ziehen sie unweigerlich Neid auf sich. Frauen, die Fehlgeburten haben, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, die sich nach nichts mehr sehnen als nach einem Kind – sie alle beneiden Frauen, die abgetrieben haben, darum, (scheinbar) die Wahl gehabt zu haben. Auch ich.

Aber natürlich ist das ein Trugschluss. In meinem eigenen verdammt privilegierten Leben mit Sicherheitsnetz aus Eltern, Geschwistern, aus finanzieller, sozialer und emotionaler Unterstützung, gab es noch nie eine Situation, in der eine Schwangerschaft zur Katastrophe geworden wäre. Und in meinem verdammt privilegierten Leben wurde auch die Geburt eines Kindes mit medizinischen Herausforderungen, begleitet von vielen Ängsten, Sorgen und Gedanken, nicht zur Katastrophe.

Ich habe damit ein Glück, das viele nicht haben, das weiß ich. Darum, denke ich, eint die beiden Diskussionen, die letztlich beide auf das Recht zum Schwangerschaftsabbruch hinauslaufen, eines: Wenn mehr Frauen dasselbe Glück hätten wie ich, wären viele Abbrüche vielleicht auch gar nicht nötig. Wenn Frauen, die unter schwierigen Umständen schwanger werden oder die unter schwierigen Bedingungen erfahren, dass sie ein Kind mit Behinderung erwarten, damit weniger alleingelassen würden – wenn sie mehr finanzielle, soziale und emotionale Unterstützung erfahren würden – wäre das vielleicht für weniger Frauen eine Katastrophe. Und wenn Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft sichtbarer und alltäglicher wären, verlöre die Vorstellung, selbst Mutter eines Kindes mit Behinderung zu sein, für viele vielleicht ihren Schrecken. Die Angst vor Isolation als von Behinderung betroffene Familie ist real. Die Angst davor, dass die Behinderung überhandnimmt in der Wahrnehmung der anderen, und nicht der Mensch.

Neid auf Selbstbestimmung und Freiheit?

Eine Freundin hat sich vor zehn Jahren, mit Mitte 20, für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, Zwillinge wären es gewesen, wie sich bei der Ausschabung herausstellte. Sie hatte eine feste Beziehung – mit dem Mann, den sie letztlich geheiratet und mit dem sie danach noch zwei Kinder bekommen hat. Sie kommt aus sogenanntem guten Hause, war damals am Ende ihres Studiums, ihr Partner bereits fertig. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt in ihrer sehr detaillierten und konkreten Lebensplanung.

Ich habe beruflich mit genug Frauen über ihre Schwangerschaftsabbrüche gesprochen, um zu wissen, wie viel Schmerz und Trauer hinter dieser Entscheidung stecken kann. Und auch, wie viel Erleichterung, sich so entschieden zu haben. Wenn jemand sagt: "Es war die richtige Entscheidung für mich, in diesem Moment kein Kind zu bekommen, obwohl ich Kinder will, obwohl ich den*die richtige*n Partner*in hatte, und stattdessen in einem anderen Moment Kinder zu bekommen, in dem ich vielleicht eine bessere, befreitere, glücklichere Mutter sein kann" – gehört nicht auch das zur Freiheit des Individuums? Auch wenn es aus Außensicht vielleicht lediglich um ein Feintuning der Lebensgestaltung geht, um das Streben nach einer Perfektion, die es eigentlich gar nicht geben kann?

Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, Frauen, die Fehlgeburten hatten und Frauen, die ein Kind krank zur Welt gebracht haben, verbindet auch vieles. Die Erkenntnis, dass das Leben nicht immer planbar ist.

Neid auf die Selbstbestimmung und Freiheit anderer ist verdammt schwer auszuhalten – weil es eben auch nicht selbstbestimmt ist, Kinder zu verlieren oder krank auf die Welt zu bringen. Trotzdem: Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, Frauen, die Fehlgeburten hatten und Frauen, die ein Kind krank zur Welt gebracht haben, verbindet auch vieles. Die Erkenntnis, dass das Leben nicht immer planbar ist. Und dass jedes Kind seine Spuren hinterlässt, irgendwie.

Mein Neffe wurde im selben Monat gezeugt wie das Kind, das ich bei meiner ersten Fehlgeburt verloren habe. Ich schaue ihn oft an und denke: "So alt wäre es also heute." Auch meine Freundin, die sich damals für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hat, denkt im Monat des potenziellen Geburtstags oft an die Zwillinge und sagt dann: "So alt wären sie also heute." Zehn wären sie dieses Jahr geworden. Ihr ältester Sohn wird bald sechs. Vier Jahre, die allen Unterschied gemacht haben.
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