wir berichteten). Auslöser waren öffentliche Anfeindungen, Beleidigungen, Hass-Mails, sowie der fehlende Rückhalt des DFB gewesen, nachdem sich Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ablichten ließ. Insbesondere den Chef des DFB, Reinhard Grindel, kritisierte Özil scharf. Er habe sich nicht sonderlich für Özils Sicht der Dinge interessiert.

Inzwischen hat der Umgang des DFB mit Mesut Özil eine Diskussion über Integration in Deutschland ausgelöst. Politiker*innen, Journalist*innen und Bürger*innen – jeder scheint eine Meinung zur Diskussion zu haben. Auch die ausländische Presse bildet die Causa Özil ab. Wir haben die wichtigsten Pressestimmen kategorisiert:

Auf Özils Seite

"Mesut Özil hat das schönste Tor gegen den Rassismus geschossen", schreibt die Tageszeitung Sabah aus der Türkei.

"Wir sind an Deiner Seite, mein Bruder!", schreibt die türkische Zeitung Takvim.

"Du bist nicht alleine", heißt es bei der türkischen Sportzeitung Fanatik.

"Özil ist der Inbegriff des Migranten, der nicht reinpasst", schreibt der Guardian aus Großbritannien. Seine Eltern kämen aus der Schwarzmeerstadt Zonguldak, er sei aber im westdeutschen Gelsenkirchen aufgewachsen. "Er ist ein Superstar bei Arsenal, der seine Antwort auf einen deutsch-türkischen Streit auf Englisch twittert." Erwähnenswert findet der Guardian die Reaktionen in beiden Ländern über seinen Rücktritt und die Begründung: "Indem sie von ihrer gegenseitigen Kritik zehren, um die in der Mitte zu isolieren, zeigen die Reaktionen der Hardliner auf beiden Seiten eine Symbiose. Deutschland und die Türkei ähneln sich darin, dass in beiden Ländern Ideen von ,Rasse' und ,Blut' weiterhin die Nation definieren."

Der österreichische Kurier schreibt: "Es ging am Ende nicht mehr darum, dass Özil sich im türkischen Wahlkampf mit einem Autokraten fotografieren ließ, der Gegner seiner Politik einsperren lässt." Vielmehr habe man Özil vorgeworfen, kein echter Deutscher zu sein, sich nicht mit seinem Geburtsland zu identifizieren. "Plötzlich war Nationalismus der übelsten Sorte im Spiel, der, wie eigentlich immer, am Ende in Rassismus umschlug."

Die spanische Tageszeitung El País setzt den Umgang mit Özil in Kontext mit den jüngsten Wahlergebnissen und einer nach rechts rückenden Gesellschaft: "Der Aufstieg der extremen Rechten, die sich in den 90 Sitzen zeigt, die die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 gewann, scheinen die bittere Sicht des Fußballers zu stützen."

Die Neue Zürcher Zeitung empfindet die Art und Weise, wie man Sportler "vereinnahmt und verurteilt" als besonders. In der Schweiz würden derartige Diskussionen schneller abklingen. Als Beispiel führt die NZZ eine Diskussion während der WM in Russland an. Die Schweizer Nationalspieler Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Stephan Lichtsteiner hatten beim 2:1-Sieg gegen Serbien die Doppeladler-Geste gemacht. Dabei handelt es sich um ein Zeichen albanischer Nationalist*innen. Die Disziplinarkommission der FIFA kritisierte den Torjubel als "unsportliches Verhalten", die Herren wurden zur Kasse gebeten. Darüber habe es zwar eine Diskussion in der Schweiz gegeben. "Die hat sich aber vergleichsweise schnell beruhigt, und alle Beteiligten spielen nach wie vor für die Schweiz."

Gegen Özil

Der krasseste Kommentar und auch der einzige gegen Özil kommt aus Ungarn: Die Nachrichtenseite azonnali.hu urteilt, der Spieler habe sich "selbst aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen", indem er sich mit Erdogan ablichten ließ. Die Wortwahl wird drastischer. Es sei "erbärmlich und lächerlich, wenn er jetzt die deutsche Gesellschaft beschuldigt, bei der Integration versagt zu haben". Die Seite bezeichnet Özils Vorgehen sogar als "Verbrechen" und fantasiert davon, er solle Deutschland komplett verlassen.

Neutral

Der österreichische Kurier schreibt, dass es bei dieser Diskussion erst auf den zweiten Blick um Erdoğan gehe. "Vielmehr geht es um gekränkten Nationalstolz, eine beleidigt geführte Integrationsdebatte und um blanken Rassismus." Mit dem Foto hätten Özil und Gündoğan jene Integrationsluftschlösser zetrümmert, deren Fundament vielmehr Assimilation ist.

Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza beschreibt die Situation als heikel, ergreift aber keine Partei. "Das (multiethnische) Team sollte der Beweis für die Offenheit gegenüber Einwanderern sein", schreibt das Blatt. Özil habe dieses Bild zerstört – zu einem ungünstigen Zeitpunkt: "... das geschieht in einem Moment, in dem die Begrenzung der Einwanderung zu einem der Hauptthemen deutscher Politik wird und der Streit darüber, ob Menschen aus Afrika und Nahost automatisch zurückgeschickt oder ins Land gelassen werden sollen, um ein Haar die deutsche Regierung zerstört hat."

Die tschechische Tageszeitung Lidove noviny begründet die Anthipatien gegenüber Özil mit dessen Auftritt mit Erdogan. "Özils Weggang dürfte daher ziemlich viele Menschen erfreuen, auch wenn dies den Graben zwischen den eingeborenen Deutschen und dem 30-prozentigen Anteil an Jugendlichen mit 'Migrationshintergrund' vertieft."

Die slowakische Zeitung Dennik N beschreibt die Situation beinahe philosophisch: "Ein in westlichen Werten erzogener Demokrat muss wissen, dass die Kritik an einem Diktator und seinen Methoden keine Kritik an einer Nation ist und dass das Ablehnen eines Diktators nichts damit zu tun hat, ob man sich zu seinen Wurzeln bekennt." Ebenso müsse ein Demokrat allerdings auch wissen, "dass die Kritik an der Unterstützung für so einen Diktator berechtigt ist, auch wenn diese Unterstützung aus Naivität geschehen sein mag."

Der russische Sport-Express scheint nicht wahrhaben zu wollen, dass sich der Spieler komplett aus der Nationalmannschaft zurückzieht. Die Redaktion stellt die Frage: "Aber vielleicht überlegt Özil es sich noch einmal nach einem Rücktritt der deutschen Fußballspitze?"

Anmerkung: In einer vorherigen Version des Artikels schrieben wir, dass die Webseite azonnali.hu aus Tschechien komme. Die Webseite ist aber ungarisch. Wir haben den Fehler korrigiert.