Um die libanesische Hauptstadt Beirut hatten sich zu Beginn vergangener Woche massive Waldbrände ausgebreitet. Die schwersten seit Jahren. Wie die Presseagentur dpa berichtet, gelang es der Regierung nur dank internationaler Hilfe, die Feuer unter Kontrolle zu bringen. Eine weitere Schlagzeile heizte die Wut der Bevölkerung auf die Regierung an: Das libanesische Informationsministerium vereinbarte am Donnerstag eine Gebühr von 0,20 US-Dollar auf die Nutzung von Kommunikationsdiensten zum Telefonieren, unter anderem WhatsApp.

Am Donnerstagabend begannen Proteste in den Straßen Beiruts. Gegen die sogenannte WhatsApp-Steuer und grundsätzlich gegen die Regierung. Durch Aufrufe in den sozialen Netzwerken kamen schnell Tausende Demonstrant*innen zusammen. Wichtige Zufahrtsstraßen nach Beirut wurden blockiert, Müllcontainer und Autoreifen brannten. Die Proteste breiteten sich in weitere größere Städte im Libanon aus.

Die Libanes*innen werfen der Regierung Unfähigkeit und Korruption vor. Das Missmanagement im Umgang mit den Waldbränden sowie die WhatsApp-Steuer hätten das zum wiederholten Mal gezeigt.

#LebanonUprising: So eine Massenbewegung war bisher undenkbar

Im Fall der VoIP-Steuer war der Protest bereits erfolgreich: Die Regierung um den libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri zog die geplante Steuer schnell wieder zurück. Die Proteste gehen trotzdem weiter.

Der Libanon steckt seit mehreren Jahren in einer Wirtschaftskrise. Die Staatsverschuldung ist eine der höchsten weltweit. Die Demonstrierenden wollen einen Wandel – und zwar diesmal durch alle Parteien und Religionen hindurch. Für den Libanon sind die Massenproteste bahnbrechend: Das Land trägt noch immer die Spuren des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 in sich, viele ethnische und religiöse Gruppen haben sehr unterschiedliche Ansprüche an die Politik. Dass sich jetzt Massendemonstrationen zusammenfinden, ist für den Libanon eine neue Entwicklung.

"Wir wünschen uns einen Militärputsch"

"Diese Revolution hat sich seit Jahren aufgebaut", sagt Mehdi ze.tt im Interview. Der 30 Jahre alte Aktivist hat sich den Demonstrationen früh angeschlossen. Dieses Mal habe die Regierung eine Grenze überschritten: "Alles kommt zusammen, die politische Korruption und die Gleichgültigkeit der Umwelt gegenüber", sagt Mehdi. "Wir hoffen, dass wir das Militär überzeugen können, die Regierung zu putschen." Mehdis Idealvorstellung: eine Regierung frei von Religion.

"Alle sozialen Klassen, alle Geschlechter, alle Religionen, einfach alle Libanesen sind sich einig, die Regierung zu stürzen", sagt Mehdi. Solange die Proteste in diese Richtungen weitergingen, würde er sich ihnen weiter anschließen.

Roger arbeitet als Assistenzarzt mit einem Lohn von 1.000 US-Dollar im Monat – davon kann sich der 26-Jährige nicht mal ein eigenes WG-Zimmer leisten. Dagegen protestiert er. Anders als Mehdi ist er gegen einen Militärputsch, den er als eine Gefahr für die Demokratie und Freiheit versteht. "Die Aufgabe des Militärs war es nie, zu regieren", sagt Roger.

Er wünscht sich eine neue Regierung, die schlanker organisiert ist: "Unsere 30 Ministerien müssen zerschlagen werden. Es reicht, wenn wir sechs bis acht Ministerien aufbauen und diese nach Fähigkeit und nicht nach Vetternwirtschaft vergeben."

Eine tretende Frau ist Symbolbild der Proteste

In den sozialen Netzwerken werden unter Hashtags wie #LebanonUprising und #LebanonaRevolts Bilder und Videos von den Protesten gepostet. Es sind Menschenmassen und Straßensperren zu sehen, immer wieder kommt es auch zu gewaltvollen Auseinandersetzungen; dann wieder sind freiwillige Helfer*innen zu sehen, die nach den Protesten den Müll entsorgen.

Die Demonstrationen haben auch schon ein Symbolbild erhalten.

Auf der Grafik des Designers Rami Kanso steht "Gegen sie/ Against Them". Bei den Protesten hatte eine Frau einen der bewaffneten Bodyguards des Bildungsministers einen Tritt verpasst.

Die Regierung verspricht Reformen

Am Freitagabend bekamen die Demonstrierenden eine erste Reaktion: Libanons Premierminister Saad Hariri versprach Besserung. Innerhalb der Deadline von 72 Stunden würden die Regierung und die politischen Partner nach Lösungen suchen, um anschließend Reformen durchzusetzen.