Als mir mein Dispo vor Kurzem in roten Zahlen entgegen schrie, dass jetzt die absolute Schmerzgrenze erreicht sei, entschied ich, einen Nebenjob anzunehmen. Nach ein paar Nachrichten an meinen Cousin, der Gelegenheitsjobs an klamme Studenten vermittelt, war es dann so weit: ich wurde Heizungsableserin.

Bereits am nächsten Tag sitze ich um acht Uhr morgens im tiefsten Neuköllner Industriegebiet in einem tristen Schulungsraum einer Installateursfirma. Neben mir ausschließlich Monteure in schweren, dunklen Arbeitsklamotten, die einen Kaffee nach dem anderen in sich hineinschütten. Langsam kommen mir die ersten Zweifel: Bin ich, 22 Jahre alt, 1,63 Meter klein und unfähig einen Akkuschrauber zu bedienen, wirklich die richtige für diesen Job?

Für einen Rückzieher ist es jetzt zu spät: Es folgt ein Crashkurs in der Kunst des Heizungs- und Wasseruhren-Ablesens, des Listen-Ausfüllens und des auf genervte-Mieter-Reagierens. Ein paar Stunden und weitere Kaffeebecher später, halte ich einen schweren Papierordner in der Hand, in dem die Wohnungen ganzer Straßenzüge vom Stadtteil Prenzlauer Berg aufgelistet sind, denen ich in den kommenden zehn Tagen einen Besuch abstatten soll.

"Willst du mein Pfefferspray haben?"

Bevor mein erster Arbeitstag beginnt, erzähle ich Freunden von meinem neuen Job. Die sind mehrheitlich nicht so begeistert: "Wie, und dann bist du da mit irgendwelchen Typen alleine in der Wohnung? Was ist, wenn das Massenmörder sind? Oder Nazis? Willst du mein Pfefferspray?!". Eine Freundin allerdings sagt mit Blick auf mein Kopftuch: "Spannend. Als würdest du ein soziales Experiment starten!" Ein bisschen sehe ich es auch so. Ich breche schließlich gleich mit zwei Stereotypen: ich bin weiblich und ich trage ein Kopftuch.

Der erste Tag meines Handwerkerlebens beginnt mit hektischem Zusammenraufen der benötigten Listen, dem Versuch, nicht auf den vereisten Gehwegen auszurutschen (es ist kalter Dezember) und einer Google-Maps-Anleitung zu all den Wohnungen, die ich besuchen soll.

Mein erster Kunde ist perfekt – und selbst ein viel besserer Zählerfinder und -ableser als ich es jeh sein werde. Die Tür des Kühlsystemunternehmens öffnet ein freundlicher Herr Mitte 50: "Juten Tach, junge Dame, hereinspaziert!". Seine eigene Taschenlampe im Anschlag (ich hab ja auch eine mit, aber die brauche ich gar nicht) führt er mich von einem Heizkörper zum nächsten, kriecht mit mir durch den staubigen, dunklen Keller und sucht unsere Nadel im Heuhaufen: die Warmwasseruhr mit der richtigen Seriennummer. Am Ende begleitet er mich noch zum Haus nebenan, stellt mich vor und ich fühle mich umfassend von meinen Kunden betreut.

Geschäftiges Treiben in der Großkonditorei

Das Nachbarhaus, mein nächster Kunde, ist eine Großraumkonditorei. Mit meinen staubigen Klamotten stehe ich plötzlich im Mehlhimmel, um mich herum nur weiß gekleidete Menschen, die wie Elfen hektisch umherwuseln, riesige Torten dekorieren und Muffins aufeinander türmen. Über dieser fast romantischen Szenerie liegt ein unglaublich leckerer Duft frisch gebackener Kuchen. Während ich mit meinem schlechten Gewissen kämpfe, diese Back-Engel bei ihren Weihnachtsvorbereitungen zu stören, nehmen die mich gar nicht wahr.

Zu grazil sind die Muster auf den Fondant-Überzügen der Torten, zu exakt müssen Kuchenböden geschnitten werden. Da wäre es schon sehr ärgerlich, wenn man sich verschneidet, weil man mal eben mit einer Heizungsableserin quatscht. Ich muss mich, während ich die Zahlenstände in meine Listen eintrage, anstrengen, nicht zu auffällig auf all die Leckereien zu schielen. Und schon stehe ich wieder auf der verschneiten Straße. Das wars für heute – erstmal zwei Kunden zum Start. Auf dem Nachhauseweg hänge ich noch ein wenig den Eindrücken der letzten Stunden hinterher: ich glaube, die nächsten Tage werden interessant.

Im nächsten Teil trifft Nemi auf eine ostalgische Oma mit der sie Fotoalben anschauen muss und einen Nazi, der ihr Kopftuch lächerlich findet.