Männer sterben in Deutschland im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen. Auch weil Gesundheit für viele Männer eine untergeordnete Rolle spielt. Sie leben gefährlicher, ernähren sich schlechter und gehen seltener zu Ärzt*innen. Die Stiftung Männergesundheit schreibt über Männer: "Sie missachten häufig körperliche Warnsignale, und der Gang zum Arzt wird als Eingeständnis von Schwäche gewertet."

Darauf will der Weltmännertag, den es seit dem Jahr 2000 gibt, aufmerksam machen. Der Tag soll das Bewusstsein von Männern über ihre eigene Gesundheit stärken. Dass Gesundheit nicht nur ein Thema für ältere Männer ist, zeigt das Beispiel Hodenkrebs. Im Vergleich zu Prostata- oder Lungenkrebs gehört er zwar zu den selteneren Krebsarten, tritt aber vor allem bei Männern zwischen 25 und 45 Jahren auf, wie das Robert-Koch-Institut schreibt.

Wir haben mit Volker Wittkamp, 36, über das Thema Männergesundheit und spezielle Männerkrankheiten gesprochen. Der Kölner Urologe ist Autor des Buchs Fit im Schritt. Er erklärt, wie man den Hoden selbst untersuchen kann, warum sich Männer so schwer tun, zur*m Ärzt*in zu gehen und was die sogenannte Hafenrundfahrt im After ist.

ze.tt: Hast du heute schon deinen Hoden abgetastet?

Volker Wittkamp: Ich habe es tatsächlich schon länger nicht mehr gemacht, aber ich glaube einmal im Monat krieg ich es hin. Ganz selten schaue ich selbst sogar genauer mit dem Ultraschall nach. Obwohl man auch sagen muss, dass ich mit 36 so langsam aus der Risikogruppe des Hodentumors raus bin. Ab 40 ist es schon echt seltener. Selten heisst aber: Es kann vorkommen, also ruhig weiter abtasten. Das ist gleichzeitig das Tückische am Hodentumor, dass er eher junge Erwachsene bis Jugendliche trifft.

Wie häufig ist diese Tumorart denn?

Hodentumor ist die häufigste Tumorerkrankung bei jungen Männern, aber zum Glück immer noch selten. An Hodenkrebs erkranken etwa 4.000 Männer in Deutschland pro Jahr, bei Tumoren der Prostata sind es fast 60.000 pro Jahr. Wichtig in diesem Zusammenhang ist: Er ist sehr gut therapierbar und heilbar.

Wie viel bringt es, den eigenen Hoden abzutasten?

Es ist ein gutes Mittel, einen Tumor möglichst im frühen Stadium zu erkennen. Je früher ein Tumor entdeckt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Wichtig ist, dass man zur*m Ärzt*in oder Urolog*in geht, wenn man eine Auffälligkeit findet. Man sollte die Hoden etwa einmal im Monat abtasten.

Wie geht man dabei vor?

Wichtig ist, dass es in einer gewohnten Umgebung ist und dass es nicht zu kalt sein sollte. Wenn es kälter ist, zieht sich der Hodensack zusammen und der Hoden wandert etwas mehr ins Körperinnere und das macht es schwieriger. Gut ist also unter der Dusche oder in der Badewanne. Dann mit Daumen und Zeigefinger von oben bis unten beide Hoden einmal abtasten. Wenn man da eine Verhärtung spürt oder irgendetwas, was vorher nicht da war, dann sollte man nochmal genauer hingucken lassen. Das muss nicht immer direkt Hodenkrebs sein, es gibt auch Zysten am Nebenhoden, oder andere ganz harmlose Erkrankungen. Am Anfang, wenn man sich unsicher ist, kann es sein, dass man den Nebenhoden tastet und sich denkt 'Was ist das denn?' Der Nebenhoden ist eine längliche Struktur seitlich neben dem Hoden und fühlt sich weicher an als der Hoden. Es schadet aber auch nicht, wenn man damit zur*m Ärzt*in geht und sagt 'Ich hab da was getastet, ich weiß nicht, ob es da hingehört'. Selbst wenn es etwas ist, was da hingehört – lieber einmal zu viel nachschauen lassen. Da ist kein*e Urolog*in sauer, wenn man sagt, man weiß nicht genau, was man da getastet hat.

Wie bekannt ist jungen Männern das Hodenabtasten im Vergleich zum Brustabtasten bei Frauen?

Deutlich weniger bekannt. Viele haben es nicht auf dem Schirm. Darum gibt es Kampagnen von Urolog*innen und Monate wie den November, der im Zeichen der Männergesundheit steht. Das Abtasten ist ein sehr einfaches Mittel, um den Krebs gut zu erkennen. Man kann es damit nicht verhindern, aber man kann es früher erkennen und damit die Heilungschancen nochmal vergrößern.

Woher kommt dieser Unterschied?

Ich glaube es liegt daran, dass Frauen ab der Pubertät regelmäßig zur*m Frauenärzt*in gehen, und das gibt es bei Männer in dieser Form nicht.

Sollte es das deiner Meinung nach geben?

Das ist noch nicht so bekannt, aber es gibt eine Jugendsprechstunde bei Urolog*innen. Da kann man einfach mal kommen und quatschen und sich auch zeigen lassen, wie man den Hoden abtastet. Wenn Bedarf ist, kann man auch erklären, was sich in der Pubertät verändert, was normal ist und was nicht normal ist. Da sind Jugendliche und junge Erwachsene teilweise auch ein bisschen verunsichert. Denn wahrscheinlich hat jeder von ihnen schon einmal einen Porno auf dem Smartphone gesehen und dann denken manche, es wäre normal, was sie da sehen – sei es jetzt von der Dauer des Geschlechtsverkehrs bis zur Länge des Penisses.

Hodenkrebs ist sehr gut therapier- und heilbar.
Volker Wittkamp

Und was ist normal?

Auf jeden Fall nicht 45 Minuten. Im Schnitt liegt die Dauer bei fünf Minuten und die durchschnittliche Länge des Penisses bei etwa 13,4 Zentimetern im erigierten Zustand.

Brauche ich für diese Jugendsprechstunde eine Überweisung?

Nein, da kann man einfach einen Termin ausmachen.

Männer gehen generell seltener zur*m Ärzt*in, woran liegt das deiner Meinung nach?

Männer sind schon mehr Arztmuffel, vor allem beim heiklen Thema, mit dem man es in der Urologie zu tun hat. Das hat auch viel mit Tabu zu tun und mit Versagensängsten. Viele Männer haben meiner Meinung nach Angst und Scheu davor und zögern es dann ein wenig hinaus. Das macht es halt nie besser, sei es bei Vorsorgeuntersuchungen oder bei so etwas wie Errektionsstörungen, die meist körperlicher Natur sind und die man sehr gut therapieren kann. Dadurch leidet dann oft die Lebensqualität und die ganze Ehe oder Partnerschaft.

Ab wann sind Vorsorgeuntersuchungen für Männer denn empfehlenswert?

Ein junger, erwachsener Mann muss nicht zur Vorsorge. Es gibt in dem Sinne auch keine Hodenkrebsvorsorge, dass man einmal im Jahr oder alle zwei Jahre zur*m Urolog*in geht und da die Hoden abtasten oder einen Ultraschall machen lässt. Zur eigentlichen Vorsorge zur*m Urolog*in muss der Mann erst ab 45. Man sollte aber vorher zumindest in der Jugendsprechstunde gewesen sein, das kann man auch mit Anfang 20 noch machen. Dann kann man einmal kurz sprechen, wie es aussieht mit Geschlechtskrankheiten, Hodenkrebs und so weiter. Das macht jede*r Urolog*in gerne. Aber die reine Vorsorge beginnt erst ab 45. Aber klar, da machen es unserer Meinung auch noch zu wenige Männer. Schließlich ist Prostatakrebs ist der häufigste Tumor beim Mann. Man kann ihr sehr gut therapieren, wenn man ihn früh genug erkennt. Sollte in der Familie, also beim Vater oder Bruder zum Beispiel ein Prostatakrebsleiden bekannt sein, sollte man mit der Vorsorge übrigens schon mit 40 anfangen.

Das Auto wird vom Deutschen jeden Samstag penibelst gewaschen und sobald die HU fällig ist, da wird der Mann schon nervös, aber an den eigenen Körper oder die eigene Vorsorge wird halt weniger gedacht.
Volker Wittkamp

Warum haben Männer überhaupt eine Prostata und Frauen keine?

Die Prostata ist ein Geschlechtsorgan. Sie steuert 30 Prozent zur Samenflüssigkeit bei und liefert bestimmte Enzyme, welche die Spermien beweglicher machen. Im Alter wird die Prostata häufig größer. Das ist aber per se nichts Schlimmes. Das sind zwei unterschiedliche Erkrankungen. Es gibt einmal den Prostatakrebs, den man so erstmal nicht merkt, und dann gibt es eine gutartige Vergrößerung, die die typischen Beschwerden von älteren Männern hervorruft, die sagen ‘Ich hab Prostata’. Das sind etwa Probleme beim Wasserlassen und dass man nachts mehrmals auf Toilette muss.

Gibt es noch andere spezielle Männerkankheiten?

Spezielle Männerkrankheit betreffen natürlich die Organe, welche nur Männer besitzen, also Hoden, Penis, Prostata und Co., aber auch psychische Erkrankungen sind ein großes Thema. Gerade bei diesen Erkrankungen tun sich Männer noch viel schwerer, zur*m Ärzt*in zu gehen, weil sie sie zum Teil als Schwäche sehen. Außerdem kann im Alter der Testosteronspiegel sinken, Symptome hierbei können dann depressive Verstimmungen, Errektionsprobleme und auch sexuelle Unlust sein.

Gibt es Möglichkeiten, Männer zu motivieren, früher zur*m Urolog*in zu gehen?

Meistens kommen Männer erst, wenn die Probleme zu stark sind. Wenn sie zum Beispiel nachts dreimal aufs Klo müssen und dann merken ‘Das ist vielleicht doch ein bisschen viel’. Häufig werden sie auch von den Frauen zur*m Ärzt*in geschickt. Wir müssen es auch schaffen, Männern die unberechtigte Angst vor der*m Urolog*in zu nehmen.

Was ist denn die Angst vor der*m Urolog*in?

Das ist für viele die Angst vor dem Abtasten der Prostata, der sogenannten Hafenrundfahrt. Über den After tastet der Urologe die Prostata. Klar, das ist jetzt nicht die angenehmste Sache der Welt, aber ich glaube viele haben mehr Angst davor als nötig. Dazu kommt, dass man bei Urolog*innen über sein Sexualverhalten und seine Erektion spricht. Das ist vielen Männern unangenehm und macht es ihnen schwerer, alle zwei Jahre zur Vorsorge zu gehen. Vielleicht sollten sie es einfach mit dem TÜV terminieren. Das Auto wird vom Deutschen jeden Samstag penibelst gewaschen und sobald die HU fällig ist, da wird der Mann schon nervös, aber an den eigenen Körper oder die eigene Vorsorge wird halt weniger gedacht.