"Oma! Opa! Kate ist meine Frau." Die Wucht von Ninas Worten ist gewaltig. Ihre Wirkung ebenso. Bei einem gemeinsamen Mittagessen hat sich Nina vor ihren Großeltern geoutet. Ihre Liebe und ihre Ehe. Mit einem Schlag, mit vier Worten. Dann war es ruhig am Tisch. Es ist Ende Oktober 2019. Nina ist seit drei Jahren mit einer Frau zusammen, im Januar 2019 schlossen die beiden Verliebten den Bund fürs Leben. Langgehütete Geheimnisse, die zusehends zur Last wurden. Besonders für Nina.

Der imaginäre Rucksack, mit Zweifel, Sorgen und Ängsten vollgepackt, ist kaum mehr spürbar. Wie abgeschnallt. Die 27-Jährige fühlt sich im ersten Moment frei, könnte die Welt umarmen, die ihre Großeltern jetzt nicht mehr verstehen. Sie sind entsetzt, reagieren abweisend, begreifen nicht, warum ihre Enkelin eine Frau ehelichte. Warum sind Männer nicht mehr interessant? Und was ist mit Nachwuchs? Warum musste sie denn mit dem Rucksack auf Reisen gehen? Warum ist sie losgezogen? Wäre sie doch geblieben.

Vorwürfe und Unverständnis der älteren Generation prasseln wie saurer Regen auf alle im Umkreis. Umstände, die Nina nicht kannte, bis sie sich in die Amerikanerin Kate (31) verliebte. Nina kommt aus Österreich, aus einer bürgerlichen Familie, lange in einer Heterobeziehung. Ihr waren Diskussionen über ihre sexuelle Orientierung und ihren Lebensstil neu. Das Klima zwischen Nina und ihren Großeltern – eigentlich immer liebevoll – ist nach der Offenbarung schlagartig kälter.

Keine Kraft und kein Mut für ein weiteres Coming-out

Auch wenn die Erleichterung überwiegt, die Reaktionen schmerzen. Nina, damals zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit für einen dreiwöchigen Heimataufenthalt in Österreich, wollte sich vor der gesamten Familie outen. Wollte ihr Glück mit dem zweiten Großelternpaar, Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins teilen. Kraft und Mut fehlen. Kate fürchtet, dass die Familie ihrer Liebe wegen auseinanderbrechen könnte. Das Paar reist mit gemischten Gefühlen ab. Ratlos ob der Reaktionen. Erleichtert, weil die Distanz zu Österreich und seinen altbackenen Einstellungen über den Atlantik groß ist.

Die Beziehung zwischen Nina und ihrer Heimat ist eine komplizierte. Die Angst vor Ausgrenzung oder Unverständnis war über die Jahre hinweg groß. Speziell auf dem Land, dort wo Ninas Familie lebt. Dort, wo quasi jede*r jede*n rund um den Kirchturm kennt, wo Klatsch mal schnell über die Gartenhecke ausgetauscht wird und Anderssein schon mal der Reaktion auf ein Date mit einer*m Aussätzigen gleichkommt.

Eingebettet in eine Postkartenlandschaft, zwischen Bayern und Wien. Umgeben von emsigen Menschen, mitunter engstirnigen Zeitgenoss*innen. Wer nicht irgendwann nach dem Schema Kind-Küche-Kegel lebt – garniert mit einer kleinen Prise beruflicher Selbstverwirklichung – der wird eben schnell aus den Augenwinkeln angestarrt.

Ninas Liebe wurde zum Gesprächsstoff im Dorf

Wie sollte sie es denen daheim sagen, dass sie aus der Reihe tanzt? Dass sie die Frau liebt, die sie auf ihrer Rucksackreise durch Australien kennenlernte? Wenige wussten wirklich von Anfang an Bescheid. Aber irgendwann nach dem Coming-out begann das Tuscheln. "Hast schon gehört? Die Nina ist mit einer Frau zusammen?" Ein Freund, erzählt Nina, fragte sie, ob sie mit Kate zusammen sei. Der habe Courage gehabt. Nina sagt "die Eier in der Hose".

Ein Zusammenleben mit Kate in dem beschaulichen Dorf, in dem Nina aufwuchs? Für beide war es schwer vorstellbar. Als Urlaubsdestination? Ja. Schön war’s damals, 2017, als Nina mit ihrer Kate wenige Wochen durchs Land reiste, ihre Lebensgefährtin allen vorstellte. Aber nur als gute Freundin aus Amerika. Nicht als die eine, besondere Freundin, mit der sie Bett und Gefühle teilt. Es war ein Versteckspiel.

Für die Österreicherin rückblickend eine schwierige Zeit. Nina will weg. In Kates Heimat, die USA. Die Vereinigten Staaten, in ihrer politischen Gesamtheit gerade auf Krawall und Konservatismus gebürstet, sind gemeinhin ein Sammelbecken für Anomalitäten. Alle, auch die, die anders sind, finden im sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten irgendwo ihren Platz. Egal woher du kommst, wer du bist. Du bist anonymer, lebst freier. Dazu kommt der Rückhalt aus Kates Familie. Ihre Zwillingsschwester ist ebenfalls lesbisch. Die beiden müssen sich nicht verstecken.

Es war klar: Zieht Nina zu Kate in die USA, müssen sie ihre Liebe auch auf Papier bestätigen. Heiraten. Mit etwas Hab und Gut in einem Rucksack wanderte Nina Anfang 2019 aus. Am 19. Januar die Hochzeit. Sehr idyllisch. Wie im Märchen. Im tief verschneiten und menschenleeren Nationalpark der Rocky Mountains in Colorado. Zwischen weißem Himmel und weißer Erde gab sich das österreichisch-US-amerikanische Liebespaar das Jawort. Getraut von einem Freund, im Beisein einer Freundin. Die Eltern, der Bruder und die Vertrautesten daheim in Österreich waren eingeweiht. Heimlich, still und nicht besonders laut war die Hochzeit. Aber wunderschön.

Homophobie auch am Hochzeitstag

Die Erinnerungen an ihren besonderen Tag werden durch Fotos frischgehalten. Bilder, die von einem zufällig vorbeikommenden Paar aufgenommen wurden. Als Nina und Kate ihre Hände mit den gerade erst angesteckten Eheringen in die Kamera hielten, reagierte das ältere Paar irritiert, wurde schmallippig, ging wortlos und flott davon. Ablehnung – just am Hochzeitstag. Sie hinterließ einen schalen Beigeschmack im Gedächtnis von Nina und Kate.

Tage nach der Trauung beantragte Nina ihren Aufenthaltsstatus in den USA. Ein nervenzehrender Papierkrieg mit der Einwanderungsbehörde begann. Dazu Arbeits- und Ausreiseverbot. Aushilfsjobs als Nanny und im Vertrieb in einer kleinen Manufaktur. Viele Hochs und Tiefs. Dazwischen der Umzug in die erste gemeinsame Wohnung mit Kate und das neue Leben als Ehepaar. Endlich in den eigenen vier Wänden. Klein, fein, zweisam.

Ende des Sommer dann die Erlösung: Nina bekam den langerhofften Titel, sie darf in den USA leben und arbeiten. Und schließlich kam die Zusage für die Ausbildung zur Flugbegleiterin. Nach dem Intensivkurs erhielt Nina Mitte Dezember ihr Zertifikat und leitet ein paar Tage später die Kabinencrew auf einem ihrer ersten Flüge. Und der Arbeitgeber, eine große amerikanische Fluglinie? Ziemlich gay-friendly. Ein sehr aufregendes Jahr, resümiert Nina.

Das finale Outing und ein Hoppla

Einen Monat vor ihrem ersten Hochzeitstag jetten die Ehefrauen kurzerhand nach Österreich. Zu einer Familienfeier. Das letzte Sich-endlich-outen-müssen. Vor den restlichen Großeltern. Aufgeregt sind sie, auch wenn jedes weitere Heimkommen für Nina mit Kate im Schlepptau immer entspannter abläuft und die Menschen um sie herum gelassener reagieren.

Die Unruhe war umsonst: Kate und Nina werden herzlich empfangen. Die weitaus größere Überraschung: Oma und Opa wussten längst von Ninas Geheimnis. Nur eine Tante wurde scheinbar nicht eingeweiht. Und die fragt Nina inmitten der Runde beim Essen, ob sie denn in einer Beziehung sei. Ja, sagte Nina. Mit Kate. Nichts Peinliches, stattdessen Heiterkeit und alles wunderbar normal. Wonach sich Nina immer sehnte.

Und auch die anderen Großeltern, die ihre Weltordnung gerade neu sortieren, lernen, allmählich mit der Situation umzugehen. Nicht alles Zerbrochene konnte geklebt werden. Aber die Reparatur, sie läuft. Immerhin, sagt Nina. Denn: Die Sorge, die Enkelin vollends zu verlieren, bringt Akzeptanz hervor. Und Freund*innen und Bekannte? Respektieren beide, gehen locker damit um.

Keine Schwestern, sondern Ehepaar

Einen entspannteren Umgang und gelassenere Reaktionen wünschen sich die beiden auch von der Gesellschaft. Geschlechterunspezifisch. Wenn Nina und Kate zusammen sind, durch die Öffentlichkeit spazieren oder einkaufen gehen, kommt es schon mal vor, dass die beiden athletischen Frauen mit den braunen Haaren als beste Freundinnen oder gar als Schwestern betrachtet werden. Nicht als Paar. Schon gar nicht als Ehepaar.

Gefühlt jede*r nimmt an, dass sie mit einem Mann verheiratet sei, sagt Nina. Kate erlebt selbiges. Versicherungsvertreter*innen. Friseur*innen. Die Familien von Kates Nanny-Kindern. Ninas Fluggäste. Jeder Smalltalk, nachdem der Eheringe betrachtet wurde, endet mit Staunen. "Verheiratet?" "Ja, mit einer Frau." Verwunderung. Oder Staunen. Sie stehe dazu. Je stärker ihre Bindung, desto intensiver auch ihre Scheiß-drauf-Mentalität.

Eine Einstellung, die Kates Vorbild lebt. Moderatorin und Komikerin Ellen DeGeneres, in den USA eine Größe ihrer Branche, outete sich vor knapp 23 Jahren als homosexuell – die Karriere schien ruiniert. Heute ist die Tragik Geschichte, Ellen wird geliebt, ist ein Idol. Auch für Kate, als sie sich mit 21 outete und bald den ersten Härtetests der Gesellschaft ausgesetzt war: Ausgrenzung. Verständnislosigkeit. Homophobie. Es war eine Zeit, in der es populär war, jedes Nomen mit dem Adjektiv "gay" zu dekorieren und Homosexuelle in Teilen der USA auf offener Straße angegriffen wurden.

Vorbilder: Homosexuelle Fußballerinnen

Mit Anfeindungen lebt auch der aktuelle Superstar der US-LGBTQIA-Community, Megan Rapinoe. Ihr Auftreten hat Vorbildwirkung, auch für Kate und Nina, beide Freizeitfußballerinnen. Rapinoe, die Doppel-Fußballweltmeisterin und Weltfußballerin 2019. In den USA ein Superstar ihrer Sportart und mittlerweile Werbeikone. Eine Amerikanerin, die ihr Gay-sein seit Jahren öffentlich lebt. Wo Nina herkommt, gibt es zuletzt ähnliche Entwicklungen: Kürzlich outeten sich Viktoria Schnaderbeck, Kapitänin der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft, und ihre Teamkollegin Sarah Puntigam auf Instagram mit ihren Partnerinnen. Ninas Reaktion: Wow, endlich.

Wenn auch nur langsam: Österreich holt auf. Dass auf dem Wiener Opernball am 20. Februar 2020 zwei Frauen zusammen debütieren – eine Premiere in der Historie des sehr vornehmen und in strenge Korsetts gezwängten Großevents – helfe auch ihr, sagt Nina. Jeder Zeitungsbericht, jeder Post mache aufmerksam. Auch Menschen der Großeltern-Generation, die mit Homosexualität nichts anfangen können, werden mit sich liebenden Frauen und sich liebenden Männern und allen anderen Spektren unter dem Regenbogen konfrontiert. Vielleicht, sagt Nina, schaffe das am Ende mehr Akzeptanz und Toleranz.

Dass sie um ihre eigenen Liebe kein Geheimnis mehr machen muss, war vielleicht das größte Geschenk zum Jahrestag ihrer Hochzeit. Gefeiert haben Kate und Nina – wie im Jahr zuvor – im Schnee der Rocky Mountains. Aber dieses Mal nicht mehr heimlich. Das Versteckspiel hat ein Ende. Endlich.