"Für die Extraportion Glanz!" – so oder so ähnlich betiteln Shampoo-Hersteller*innen nur allzu gerne ihre Werbungen. Doch für dieses Mehr an Glanz nehmen wir in Kauf, künstliche Inhaltsstoffe in direkte Berührung mit unserer Haut und unserem Haar zu bringen. Immer mehr Menschen wollen diese aggressiven Pflegemittel vermeiden – eine von ihnen ist Micu, 25, Studentin aus Bern. Seit zwei Jahren wäscht sie ihr Haar ausschließlich mit Wasser: "Ich massiere dabei meine Kopfhaut sanft. Danach kämme ich meine Haare ganz normal und lasse sie am liebsten lufttrocknen." No Poo nennt sich dieser Trend. Eine Kollegin empfahl ihr, kein Shampoo mehr zu verwenden, nachdem ihre Friseurin sie schon ermutigt hatte, nur noch einmal wöchentlich zu waschen. Zu diesem Zeitpunkt war Micu noch an tägliche Haarwäsche gewöhnt: "Meine Kopfhaut war schon immer sehr trocken. Trotz der Verwendung von Naturshampoos und Spülungen kratzte ich mich nach den Waschgängen oft blutig."

Trotz der Verwendung von Naturshampoos und Spülungen kratzte ich mich nach den Waschgängen oft blutig.

Herkömmliche Shampoos beinhalten synthetische Tenside, Parfums und oft Silikone, also aus Erdöl gewonnene Kunststoffpartikel. Vor allem die Tenside bringen den natürlichen pH-Wert unserer Haut aus der Balance und regen sie zum Nachfetten an: Je öfter man die Haare wäscht, desto fettiger wirken sie. Die Trockenheit wurde bei Micus Haaren vor allem durch das Silikon ausgelöst. Silikone legen sich um das einzelne Haar, wodurch es optisch geglättet wird, was gleichzeitig aber wie eine Versiegelung wirkt. Das Haar nimmt keine pflegenden Stoffe mehr auf und trocknet aus. Die regelmäßige Verwendung von Haarpflegeprodukten mit Silikonen sorgt sogar für den sogenannten Build-up-Effekt: Bildlich gesprochen stapeln sich Silikonschichten bei jedem Waschgang übereinander, anstatt wieder abgetragen zu werden. Die Haare werden schwer und der Glanz verschwindet immer mehr.

Ist das nicht eklig?

Da Haarstrukturen sehr unterschiedlich sind, kann man keine Faustregel aufstellen, wie lang die Umstellung von Shampoo zu No Poo dauert. In Micus Fall waren es etwa zwei Monate, wobei sie glattes, feines und generell sehr pflegeleichtes Haar hat. Geduld muss man also in jedem Fall mitbringen: "Am Anfang sahen meine Haare oft fettig aus, obwohl sie sich gar nicht so anfühlten. Das war unangenehm. An solchen Tagen habe ich mir einen Dutt gemacht oder eine Flechtfrisur." Micu beschreibt auch, dass die Haare sich manchmal etwas wachsig anfühlen, das aber keine Auswirkungen auf das Aussehen hat. Grund dafür ist die Talgproduktion der Kopfhaut. Talg ist Fett, das von den Drüsen an den Haarwurzeln produziert wird. Beim Bürsten und Kämmen verteilt sich der Talg auf die komplette Haarlänge. Die Talgproduktion sei ein natürlicher Vorgang, erklärt Micu, durch den sich die Haare vor äußeren Einflüssen wie UV-Licht schützen würden.

Iiiih! Was machst du mit deinen Haaren?

Haare ohne Shampoo zu waschen ruft bei vielen Menschen erst einmal Zweifel hervor, weil es gegen unsere Gewohnheit spricht. Micu hat sich anfangs einige Kommentare anhören müssen: "Meine Schwestern fanden es zuerst sehr komisch. Iiiih! Was machst du mit deinen Haaren? Werden die mit lauwarmen Wasser überhaupt sauber? Riechen sie nachher nicht eklig?" Mit unangenehmen Gerüchen hatte Micu, laut eigener Aussage, nie ein Problem. Sie beschreibt, dass ihre Haare einfach nach ihr selbst, also nach dem körpereigenen Duft riechen. Nach einem Abend am Lagerfeuer greift sie dann aber schon mal zu einer natürlichen Kernseife aus dem Bioladen, um sich vom Rauchgeruch zu befreien. Micu wäscht dann aber nur die Längen mit Seife, nicht die Kopfhaut. Einmal im Monat verwendet die Studentin zudem ein Haaröl, um die Spitzen zu pflegen.

Besser für Haut und Umwelt

Auf YouTube und in den sozialen Netzwerken finden sich mittlerweile viele Erfahrungsberichte und Videos zu dem Thema, meist mit Selbstversuch. Bei einigen Blogger*innen bleibt es nicht beim Verzicht auf Shampoo: Befürworter*innen lassen nicht selten auch Körperseife und Deo weg. Mittlerweile haben sich auch manche Freund*innen von Micu den No-Poo-Trend von ihr abgeguckt, zumal es ein weiteres entscheidendes Argument dafür gibt: die Umwelt. Denn die in herkömmlichen Shampoos enthaltenen chemischen Substanzen gelangen bei der Haarwäsche auch ins Abwasser. Kläranlagen können nicht alles herausfiltern, und so belasten Chemikalien und Mikroplastik immer häufiger unser Grundwasser und damit langfristig auch das Trinkwasser. Die Substanzen landen auf diesem Wege sogar in unserer Nahrung. Hinzu kommt der Verpackungsmüll, der bei herkömmlichen Shampoos anfällt und den man einsparen kann.

Nicht für jede*n geeignet

Wissenschaftliche Studien dazu, wie sich No Poo langfristig auf die Kopfhaut auswirkt, gibt es bisher keine.

Dermatolog*innen wie etwa Dr. Ulrich Ohnemus warnen allerdings davor, dass der Trend auch unschöne Folgen haben kann. Dank ausgeprägter Talgschicht können sich Hefepilze eher auf unserem Kopf vermehren, weil fettige Haut gute Wachstumsbedingungen bietet: "Dies kann bei entsprechend prädestinierten Personen zur Folge haben, dass ein sogenanntes seborrhoisches Kopfekzem entsteht. Dieses ist gekennzeichnet durch Rötung und Schuppung der Kopfhaut. Ferner ist Juckreiz ein weiteres Symptom." Ein solches Ekzem tritt bei einigen Menschen auch in der sogenannten T-Zone des Gesichts auf, wie Ohnemus erklärt. Männer seien davon häufiger betroffen als Frauen. "Man kann allerdings nicht grundsätzlich sagen, dass Menschen mit Seborrhoe zwangsweise auch ein seborrhoisches Ekzem entwickeln. Offensichtlich ist eine genetische Veranlagung mitverantwortlich." Es ist also in jedem Fall ratsam, eventuelle Veränderungen der Kopfhaut oder der Haare genau zu beobachten und bei Unsicherheiten eine*n Expert*in zurate zu ziehen.

Dagegen, No Poo einmal auszuprobieren, spricht grundsätzlich allerdings nichts. Ob es sich dabei dann nur um ein kurzes Experiment oder um eine langfristige Umstellung wie bei Micu handelt, muss jede*r für sich selbst herausfinden. Damit auseinandersetzen, was in unserem Shampoo steckt und welche Argumente dafür und dagegen sprechen, sollte man sich in jedem Fall einmal.