Was sollte untersucht werden?

Der Versuchsleiter Dr. Benno Hartung erforscht in der Rechtsmedizin der Uni Düsseldorf, welchen Einfluss Cannabis auf die Fahrsicherheit hat. Bei Alkohol ist die Sachlage längst geklärt: Ein Fahrer hat sein Fahrzeug mit mehr als 1,6 Promille Blutalkohol nicht mehr unter Kontrolle. Bei Cannabis weiß hingegen keiner so genau, wie hoch die THC-Konzentration im Körper sein muss, damit der Kontrollverlust tatsächlich einsetzt.

Diese Frage wollte Hartung beantworten, indem er als erster Forscher in Deutschland einen Cannabis-Praxis-Test wagte: Versuchspersonen sollten Marihuana rauchen und dann mit dem Fahrrad einen Hindernisparkour absolvieren. Die Annahme des Düsseldorfer Forschungsteams: Die Auswirkung eines Bedrocan-Joints (mit 22 Prozent THC der höchste Wert unter allen Medizinalhanf-Varianten) soll etwa der Fahrleistung bei rund 0,5 Promille Alkohol im Blut entsprechen.

Wer waren die Probanden?

Kostenloses Gras, 70 Euro Aufwandsentschädigung – und das alles im Dienste der Wissenschaft. Wer glaubt, dass sich Dr. Hartung und seine Kollegen vor Bewerbern kaum retten konnten, liegt allerdings falsch. Der Düsseldorfer Rechtsmediziner erzählt: "Am Anfang kamen die Anmeldungen nur sehr schleppend rein. Kein Wunder, denn die Auflagen unserer Ethik-Kommission haben es nicht erlaubt, Werbung für unseren Versuch zu machen." Ein paar wackere Versuchspersonen fanden sich dann aber doch. Letztlich fuhren insgesamt 14 Radfahrer die Teststrecke unter Hartungs Aufsicht ab.

Der Altersdurchschnitt der Gruppe lag bei 25 Jahren. Cannabis-Anfänger waren sie bestimmt nicht: Einige Probanden rauchten im Schnitt rund ein Gramm Cannabis die Woche, andere rauchten diese Menge nach eigenen Angaben täglich.

Wie lief der Versuch ab?

Jeder Teilnehmer durfte bis zu drei Joints rauchen. Zur Entspannung wurden auf dem Testgelände eine Couch und reichlich Snacks zur Verfügung gestellt. Vor Test-Start unterzog sich jede Person einem Drogen-Test: Mit einem Atemgastest wurde der Alkoholgehalt im Atem überprüft. Ein Urin-Test checkte, ob Cannabis oder andere Drogen zuvor eingenommen wurden. Ausbrechen aus dem Parkour, Umfahren eines Hindernis', Sehschwächen oder Ignorieren der roten Versuchsampel – die Forscher unterteilten die möglichen Fahrfehler ihrer bekifften Probanden in mehr als 17 unterschiedliche Fehlertypen. Über die Fahrtechnik jedes Radlers wurde genau Buch geführt.

In einer ersten Runde absolvierten die Teilnehmer die Radstrecke nüchtern. Hartung sagt: "Wir haben die Teilnehmer die Joints selber rollen lassen. Danach konnte jeder seine Joint-Zigarette in Ruhe aufrauchen." Wer mit seinem Joint fertig war, setzte sich aufs Fahrrad und fuhr die von Hartung konzipierte Strecke ab. Alle Fahrfehler wurden notiert. Dann wieder ein kleiner Joint, gefolgt von einer kurzen Radtour über das Testgelände – solange bis jeder Teilnehmer drei Joints und drei Fahrten absolviert hatte. Vorzeitig aufhören durfte man natürlich auch, was laut Studienbericht auch zwei Probanden taten. Insgesamt kifften die Teilnehmer am Testtag 38 Bedrocan-Joints. Der Rest wurde fachgerecht entsorgt. Schade drum.

Was waren die Ergebnisse?

"Die Ergebnisse haben mich wirklich überrascht. Mittlerweile traue ich mich nicht mehr zu sagen, dass bei Radfahrern eine bestimmte THC-Konzentration mit einem Promille-Wert wie bei Alkohol vergleichbar ist", sagt Dr. Hartung. Auch nach drei Joints und deutlich erhöhtem Cannabis-Influence-Faktor (CIF) erlaubte sich keiner der Probanden größere Fahrfehler als zuvor im nüchternen Zustand.

Und: So nüchtern waren die Teilnehmer gar nicht. Das Drogen-Screening zeigte, dass zwei der Radfahrer im Vorfeld eine Kombination aus Ecstasy und Methamphetaminen genommen haben. Ihre Performance im Fahrtest kann sich dennoch sehen lassen: Weniger Fehler als die nüchternen Teilnehmer in der ersten Fahrrunde. Auch im Sehtest der medizinischen Untersuchung schnitten die beiden Teilnehmer überdurchschnittlich gut ab.

Trotz dieser Ergebnisse warnt Hartung davor, dass seine Beobachtungen falsch verstanden werden: "Man muss bedenken, dass diese Fahrer hochmotiviert waren, diesen Test so gut wie möglich zu bestehen – und als regelmäßige Konsumenten darin geübt sind, unter Cannabis-Einfluss zu handeln."

Wie kann es sein, dass die Teilnehmer nach drei Joints immer noch gut fuhren?

Statistisch repräsentativ sind die Ergebnisse nicht. Dafür war die Anzahl der Teilnehmer viel zu klein. Dr. Hartung glaubt nicht, dass es zu dem Thema eine größere Studie in Düsseldorf geben wird: "Es ist unglaublich schwer, in Deutschland einen Unterstützer für die Auswirkungen einer illegalen Droge auf die Fahrsicherheit zu finden." Eine gute Erklärung hat der Rechtsmediziner für die erstaunliche Leistung seiner bekifften Radfahrer noch nicht.

Erste Ansätze gibt es aber bereits: Zum einen nahmen nur routinierte Cannabis-Raucher an der Studie teil. Wer nach dem ersten Joint seines Lebens für Hartung aufs Rad gestiegen wäre, hätte sicher schlechter abgeschnitten, denn die Wirkung von Cannabis nimmt durch regelmäßige Einnahme ab. Kiffer sind hier also klar im Vorteil. Zum anderen wirkt Cannabis anders als Alkohol: Gras hat keine starken Auswirkungen auf das Konzentrationsvermögen – macht also auch keine Probleme beim Absolvieren eines Parkours.

Dr. Hartung war von den Ergebnissen selbst überrascht: "Der Versuch hat mir gezeigt, dass es gar nicht so einfach zu bestimmen ist, welchen Einfluss Cannabis auf das Fahrvermögen tatsächlich hat. Aus der THC-Konzentration allein – und sei sie noch so hoch – ist jedenfalls kein Rückschluss auf eine Fahrunsicherheit eines Radfahrers möglich." Erwartet wurde, dass die Anzahl der Fahrfehler mit steigenden THC-Werten im Blut wachsen würde. Hartungs Versuch zeigt: Das stimmt nicht. Jedenfalls nicht bei trainierten Kiffern.