"Niemand wird dir die Bildung geben, die du brauchst, um sie stürzen zu können. Niemand wird dir deine wahre Geschichte, deine wahren Helden beibringen, wenn sie wissen, dass dieses Wissen helfen wird, dich zu befreien", schreibt die Politaktivistin Assata Shakur in ihrer Autobiografie.

Das Buch war die erste Lektüre, die der Online-Buchclub Because we’ve read seinen Mitgliedern empfahl. Der hat sich genau das zur Aufgabe gemacht, was Assata Shakur schrieb: Der Buchclub will Wissen zugänglich machen und Menschen helfen, Machtstrukturen zu verstehen und ein kritisches Verständnis zu entwickeln. Für die gesellschaftlichen Strukturen genauso wie auch für sich selbst. Ein wichtiges Ziel in einer Zeit, in der differenzierte Positionen und eigenständiges Denken in vielen Debatten kaum noch vorhanden sind.

Der Austausch über die Texte läuft größtenteils über Instagram, jeden Montag gibt dort es Live-Diskussionen und kleine Features. Unter #becauseweveread posten Teilnehmende ihre Lieblingszitate, Diskussionsanregungen oder auch Kunstwerke, zu denen sie das Gelesene inspiriert hat. Mitmachen kann jede*r, bisher hat die Seite 11.000 Follower*innen.

Im Fokus: Literatur von denen, die systematisch zum Schweigen gebracht werden

Gegründet hat den Buchclub die Bloggerin und Aktivistin Hoda Katebi im April dieses Jahres. Auslöser für das Projekt war ein Satz, den sie in einem Interview mit dem Fernseher WGN auf den Kommentar der Moderatorin antwortete, sie klinge nicht sehr amerikanisch. "Das kommt daher, dass ich gelesen habe", erwiderte Hoda Katebi. Der Satz war nicht nur Anlass zu diversen Memes, er führte auch zu einer Menge Fragen, was Katebi denn genau lese.

Sie hätte dann einfach eine Leseliste posten können. Aber genau das wollte sie nicht: "Es wäre nicht fair gewesen, hätte ich einfach mit einer Liste dichter, komplizierter und unzugänglicher Bücher geantwortet, bei denen ich das Privileg hatte, sie mit Freunden, in Seminarräumen und von Communitys organisierten Räumen zu lesen. Es wäre zum Beispiel viel schwieriger und furchtbarer gewesen, Orientalismus von Edward Said allein in meinem Zimmer zu lesen mit nichts als einem Eimer Eiscreme als Gesellschaft."

Dieses Privileg will sie mit Because we’ve read auch anderen ermöglichen. Katebi hofft, ein kollektives Bewusstsein und Verständnis für Themen wie Politik, Race und Gender, Religion, Kultur, Geschichte, Kolonialismus und Klasse zu schaffen – und das auf eine Art, die von klassischen Narrativen abweicht. Außerdem sollen die Geschichten von jenen in den Fokus rücken, die sonst systematisch zum Schweigen gebracht würden, schreibt Hoda Katebi auf ihrer Website.

Because we’ve read-Lesegruppen gibt es inzwischen weltweit

Die muslimische Iranerin, die in Chicago lebt, bloggt hier normalerweise über Mode. Ihr Fokus liegt dabei auf der politischen Dimension von Fashion. Sie beleuchtet das Thema aus der Perspektive von intersektionalem Feminismus, body positivity und Antikapitalismus.

Mit Because we’ve read hat sie ein Format entwickelt, das ihre aufklärerische Arbeit fortsetzt und die Leser*innen noch stärker einbindet. Das Prinzip ist einfach: Jeden Monat wird auf Instagram das Buch des Monats vorgestellt. Auf der Website findet sich eine Liste mit ergänzenden Informationen, interessanten Artikeln oder Filmen, die bei der Lektüre der Literatur helfen oder sie erweitern. Am Ende des Monats gibt es via Instagram Live oder YouTube eine Diskussion mit Expert*innen über das gelesene Buch. So kann jede*r das Gespräch mitverfolgen und sich mit Fragen und Anmerkungen einbringen.

Um Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung geht es auch bei den lokalen Lesegruppen, die Hoda Katebi ebenfalls organisiert. Die Idee dahinter: In kleinen, persönlichen Gruppen lässt es sich noch einmal anders diskutieren und man kann sich bei Verständnisproblemen besser helfen. Eine aktuelle Liste mit den Gruppen findet sich unter jeder monatlichen Buchankündigung. Bisher gibt es 42 lokale Lesegruppen. Von Los Angeles über Kairo, Istanbul und Australien – die Lesenden finden sich auf der ganzen Welt.

Es ist schon was ganz Besonderes, dass man Fragen direkt an die Autorin stellen konnte.
Buchclubmitglied Victoria

Im deutschsprachigen Raum ist Because we’ve read noch nicht besonders bekannt. Die Österreicherin Victoria ist schon dabei. Entdeckt hat sie den Buchclub auf Instagram. "Ich habe gesehen, dass schon zwei Bücher gelesen wurden, die ich auch gelesen hatte und großartig fand. Da dachte ich, das ist der richtige Buchclub für mich."

Bisher standen auf der Literaturliste Assata Shakurs Autobiografie, Covering Islam und Orientalismus von Edward Said, Schwarze Haut, weiße Masken von Frantz Fanon und Shock Doctrine von Naomi Klein. Auch kritische Titel, wie Boycott, Divestment, Sanctions: The Global Struggle for Palestinian Rights von Omar Barghouti werden gelesen und diskutiert. Sicher keine leichte Kost. Aber dranbleiben lohnt sich. Und Highlights wie die Live-Diskussion mit Naomi Klein auf YouTube können ja auch eine gute Motivation sein, sich durch die Texte zu kämpfen – ganz abgesehen von der garantierten Horizonterweiterung. Victoria hat das Interview mit Naomi Klein besonders gut gefallen: "Es ist schon was ganz Besonderes, dass man Fragen direkt an die Autorin stellen konnte."

Auch die Zugänglichkeit der Literatur ist bei Because we’ve read ein Thema: In Absprache mit den Verlagen werden Bücher als PDF zum kostenlosen Download angeboten. Wer sich die Titel also nicht leisten kann oder keine Möglichkeit hat, sie in seiner Umgebung zu besorgen, muss keinesfalls auf die Teilnahme verzichten. Jede*r soll mitlesen können.

Außerdem auf ze.tt: Diese Bilder zeigen, dass man Bücher nicht nur lesen kann