Die 22-Jährige Politikerin und Queer-Aktivistin Nyke Slawik wurde letztes Wochenende von den Grünen auf den Landeslistenplatz 29 für die Landtagswahl Nordrhein Westfalen im kommenden Mai gewählt. Es ist knapp, aber ganz und gar nicht unrealistisch, dass Nyke damit einen Platz im Landesparlament erhält.

Nyke ist in Leverkusen aufgewachsen. Eine Stadt, in der es einem schnell zu eng werden kann. Gerade, wenn man beispielsweise sein Geschlecht nicht erwartungsgemäß performt. Nyke ist biologisch männlich geboren, aber fühlt sich als Frau. Um auszubrechen, fährt sie nach Köln, arbeitet an einem queeren Theaterprojekt mit und hängt oft im "Anyway" ab, einem queeren Jugendzentrum mitten in der Stadt.

Ein Ort, der sie geprägt hat und der ihr viel bedeutet. Dort schafft sie es, die Narrative der starren Geschlechterbilder in ihrem Kopf einzureißen und beginnt, ihre eigene Identität aufzubauen. Heute setzt sie sich dafür ein, dass jungen Menschen weiterhin solche Räume zur Verfügung gestellt werden. Gerade auch im Ländlichen, wo es kaum queerpolitische Angebote gibt, hält sie diese Zentren für wichtig.

"Einfach in Ruhe Frau sein"

Ihr politisches Interesse erwachte durch ein ganz anderes Thema: Im Oktober 2009 beschließen CDU und FDP, aus dem Automausstieg auszusteigen. Für Nyke eine Rolle rückwärts, sie möchte das verhindern – und tritt in die Grüne Jugend NRW ein. Ungefähr zur selben Zeit beginnt Nykes Transitionsphase, ein zweijähriger Kampf mit unzähligen rechtlichen, medizinischen und psychologischen Gutachten, in dem alles erstritten werden muss: Namensänderung, Änderung des Geschlechtseintrags, Möglichkeit der Hormontherapie, Erlaubnis zur Operation. Als das alles geschafft ist, will Nyke "einfach in Ruhe Frau sein" und – weder politisch noch privat – für irgendwas kämpfen. Inzwischen wohnt sie in Düsseldorf und studiert; ihren Kommiliton*innen erzählt sie nichts über ihr Trans-sein.

„Eine unsichtbare Transfrau zu sein, hat mich nicht glücklich gemacht.“

Doch so richtig ist das auch nichts für Nyke. Sie sagt: "Natürlich hatte ich immer das Anliegen, für queere Themen zu streiten, aber ich habe gesehen: Es gibt kaum Transmenschen, die für Veränderung kämpfen. Selbst in queeren Kreisen nicht – dort stehen Schwule und Lesben ganz vorne." Nyke fühlt sich mit ihrem Kampf allein, sie merkt schnell: Bei Transthemen hat sie wenige Verbündete.

Aber Nyke hat Heldinnen. Laverne Cox beispielsweise, eine Transfrau, die in der Netflix-Serie "Orange Is The New Black" mitspielt. Nyke sagt: "Das hat mich damals umgehauen, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass eine Transfrau so eine prominente Rolle kriegt. Das war einer der Momente, in denen ich dachte: Vielleicht kann ich doch was ändern."

Auch privat merkt Nyke, dass sie das Trans-sein nicht einfach so wegpacken kann. Wenn sie ein Date hat oder sich neue Freundschaften aufbauen, kommt irgendwann der Punkt, an dem sie sich outen muss und möchte. Inzwischen gelingt es ihr besser, offen mit ihrer Transexualität umzugehen. Sie sagt: "Eine unsichtbare Transfrau zu sein, hat mich nicht glücklich gemacht."

Transfrau als Label

Das Label "Transfrau" könnte ihr bei ihrer politischen Karriere durchaus behilflich sein: Es ist immer besser, das eigene Engagement authentisch begründen zu können – ein Spagat ist es dennoch. Es gibt die Gefahr, ausschließlich über queerpolitische Themen wahrgenommen zu werden, und Nyke will mehr als das. Auch Sozial- und Europapolitik oder der erstarkende Rechtspopulismus beschäftigen sie.

Sie wünscht sich eine Welt, in der Transmenschen Normalität sind, andererseits ist sie sich einer Sache besonders bewusst: Trans-Menschen leben unsichtbar unter uns. Sie haben keine Lust, auf Fragen zu ihrer Hormontherapie, zu ihren Genitalien oder auf ihre Operationen reduziert zu werden. Und auf keinen Fall wollen Transmenschen spüren, nicht als "richtige" Frau oder "richtiger" Mann wahrgenommen zu werden. Das macht ein Outing für viele Betroffene schwierig bis unmöglich. Und Unsichtbare kämpfen nicht. Unsichtbar kann sich niemand für die gesetzliche Anerkennung Transsexueller oder den Abbau institutionalisierter Diskriminierung engagieren. Deswegen findet Nyke es wichtig, als Transfrau sichtbar zu sein.

Die Folge: Der Hate lässt nicht lange auf sich warten. Auch wenn Nyke in ihrem Umfeld selten blöde Sprüche kassiert, die Krawallos wohnen im Internet. Fast schlimmer als Anfeindungen und Beleidigungen findet Nyke aber die Menschen, die meinen, super progressiv eingestellt zu sein und behaupten: Homo- und Transbelange würden doch 2016 keine Rollen mehr spielen. "Das sind die gleichen Leute, die dann keine Lust haben, dir zuzuhören, wenn du über Gewalterfahrungen oder gesetzliche Anerkennung sprichst."

Dabei gibt es noch viel zu tun. Was den Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung betrifft, zieht Nyke ein gemischtes Fazit. Auf der einen Seite hat eine Transfrau in den USA eine Hauptrolle in einer absoluten Mainstreamserie, auf der anderen Seite gibt es immer noch massive Gewalt gegen Transmenschen. Erst im August wurde beispielsweise eine 22-Jährige Trans-Aktivistin in der Türkei ermordet.

Wenn Nyke tatsächlich nächstes Jahr ins Landesparlament gewählt wird, möchte Sie sich auch dafür einsetzen, dass sexuelle Vielfalt stärker in der Schule behandelt, queere Lebensweisen viel mehr repräsentiert werden. Sexuelle Vielfalt soll fächerübergreifend in den Lehrplan aufgenommen werden. In einer Arbeitsgruppe der Grünen Jugend hat Nyke dafür und für andere Themen der Landespolitik bereits ein 50-seitiges Positionspapier mitentwickelt. Auf den Job vorbereitet ist sie.