Montagabend im Düsseldorf: Der Nieselregen klatscht wie ein kalter Lappen ins Gesicht, der Wind kehrt auch die letzten Weihnachtsshopper von den Einkaufsstraßen nach Hause. Wer jetzt noch auf der Straße steht, tut das nicht freiwillig.

Der Franziskaner-Mönch Bruder Peter Amendt schätzt, dass rund 1500 Obdachlose in Düsseldorf leben. Randfiguren, die in der Stadt der Reichen und Schönen am Rhein nicht auffallen sollen. "Wir haben uns gefragt, was fehlt?", erklärt der Mönch die Idee hinter seinem Bus. Schlafsäcke, frische Unterwäsche, warmes Essen – heute bringt das der Gutenachtbus zu Zeiten, in denen sonst in der Düsseldorfer Innenstadt keine Seelsorger mehr unterwegs sind. Unterstützt wird der Bus von der Initiative "vision:teilen" und der Obdachlosenzeitung "FiftyFifty".

Seit 2011 rollt der Minibus viermal in der Woche durch Düsseldorf – bis 1 Uhr in der Nacht wird Essen ausgegeben, Schlafsäcke und Kleidung verteilt. Bruder Peter ist stolz: "Unser Bus ist wie ein kleiner Konfektionsladen: Vorne warmes Essen und Getränke, hinten Kleidung und Schlafsäcke." Der Bus hat sich in der Szene herumgesprochen: "Wenn wir um 22 Uhr nicht pünktlich in der Altstadt sind, machen sich die ersten schon Sorgen", meint er beim Blick auf die Uhr. An diesem regnerischen Abend rechnet Bruder Peter mit etwa 60 Gästen.

In den ersten Jahren des Busses fuhr der Franziskaner noch jeden Abend mit. Heute ist er nur noch noch gelegentlich bis spät in die Nacht dabei – immerhin ist Bruder Peter schon 71 Jahre alt. An Rente denkt er nicht. "Warum auch? Dafür macht mir der Kontakt mit den Menschen viel zu viel Freude." An diesem Abend fährt auch die Politikstudentin Verena mit, sie hilft hier schon seit Jahren: "Das Tolle am Bus ist, dass man hier nicht nur etwas geben kann – hier bekommt man auch etwas zurück."

Die warmen Mahlzeiten spenden die Restaurants in der Altstadt – in dieser Nacht bringt das Restaurant "Schweinske" Gänsekeule aus ihrer Küche, die Ehrenamtlichen sind begeistert. "Da werden sich die Leute bestimmt freuen, wenn sie das hören", meint Bruder Peter.

Hier vor dem Kommödchen in der Düsseldorfer Altstadt hat auch Klaus Philipzig gewartet. Er kennt den Bus seit zwei Jahren: Wenn der Gute-Nacht-Bus fährt, wartet Philipzig auf ihn. "Ich bin froh, dass es den Bus gibt - viel gibt es hier in der Nacht ja nicht", meint der 47-Jährige. Er leidet an Krebs. Gewalt und Diebstahl hätten in den letzten Jahren auf der Straße stark zugenommen, erzählt Philipzig, während ein paar angetrunkene Party People glückselig am Bus vorbei nachhause ziehen.

Der Bus ist voll, wir fahren ihm mit Gute-Nacht-Bus Helferin Hanna hinterher zum Düsseldorfer Hauptbahnhof. Im Auto meint sie: "Da geht’s schon mal rabiater zu, dort kommen viele Drogenabhängige hin." An der Ausgabe wird hin und wieder gedrängelt, manchmal wird auch gebrüllt.

Auch Nils wartet in der Schlange auf eine warme Mahlzeit, seit mehr als zwei Jahren ist er clean. Heute hat er eine eigene Wohnung, davor lebte er fünf Jahre auf der Straße. "Genommen hab ich damals eigentlich alles – nur gedrückt, das hab ich nie." Drücken – in der Junkie-Szene meint man damit das Spritzen von Drogen. Den Gutenachtbus kennt Nils noch aus der Zeit als er selber "Platte gemacht hat" – also obdachlos war. Der 38-Jährige hat in seiner Zeit auf der Straße viel mitbekommen: "Das Leben auf der Straße macht dich so fertig, ohne Unterstützung packt man das nicht. Wer keine Familie hat, ist erledigt."

Auch an Weihnachten will der Gutenachtbus fahren, besondere Festivitäten sind nicht geplant. "Wir helfen den Menschen ganzjährig, auch an Weihnachten gilt für uns zuerst: Die meisten brauchen Wärme und etwas zu Essen – das erwarten die Leute, und genau das bekommen sie auch", meint Bruder Peter. Eine besondere Weihnachtsstimmung herrscht in der Szene ohnehin nicht. Ex-Junkie Nils meint: "Wer Platte macht, der kriegt kein Weihnachten. Man betrinkt sich halt mit ein paar Leuten am 24. auf der Straße, oder zieht sich was rein – Weihnachten ist aber ein Fest der Familie, und die haben die Leute hier ja nicht."

Die Angst, verdrängt zu werden

Die Stimmung am Hauptbahnhof ist angespannt: Der Regen setzt wieder ein, die meisten verschwinden nach den Essen in die Nacht. Fotografiert werden will hier keiner – wenn dann nur gegen Geld. Sonst gäb's ja auch nichts zu erzählen. Doch als eine Gruppe Araber auf den Bus zusteuert und Essen und Kleidung mitnimmt, werden einige Obdachlose doch gesprächig. "Was wollen die denn hier? Die Lager sind doch voll, uns wird jetzt nur weggenommen", meint eine der wenigen Frauen.

Viele Obdachlose haben Angst vor Verdrängung, seitdem im September am Düsseldorfer Hauptbahnhof die ersten Flüchtlinge ankamen. Es wird gemunkelt über marokkanische Drogen-Gangs, die sie schlagen und beschimpfen würden. Man erzählt von Schießereien und organisierter Kriminalität. Ein Mann meint: "Ich verstehe vollkommen, dass die nach Deutschland wollen. Aber die Gewalt verstehe ich nicht."

Dem Franziskaner-Mönch Peter machen solche Sätze Sorgen: "Wir wollen keinen Konkurrenzkampf zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen, dazu gibt es auch gar keinen Grund." Er erinnert an den vollen Lagerkeller des Vereins: Bis zur Decke türmen sich die Spenden für die Obdachlosen, vieles liegt noch unsortiert, die Ehrenamtlichen kommen mit der Arbeit kaum hinterher. "Sehen Sie? Es gibt keinen Konkurrenzkampf, zum Glück spenden die Menschen nach wie vor genug." Der Gutenachtbus ist nicht das einzige Projekt der Initiative vision:teilen, auch für Flüchtlinge organisieren die Ehrenamtlichen regelmäßig Spendenaktionen.

Auch viele Obdachlose zeigen Verständnis für die vor Krieg und Krise Geflüchteten. Doch alle teilen die Angst, morgen weniger zu haben als heute. In ihrer Szene, in der keiner viel hat, hat jeder Angst, auch nur wenig zu verlieren.