Meine Tochter feierte an einem Sonntag ihren ersten Geburtstag. Einen Tag später, am Montag, war ihr erster Tag in der Kita. Ein Feiertag für mich. Das erste Jahr mit ihr war eines der wildesten meines Lebens. Alle Gefühle, die man nur so fühlen kann, komprimiert auf ein Jahr. Manchmal sogar auf eine Stunde. Mit ihr war alles möglich – und mit ihr wurde einiges unmöglich: ausgehen ohne zu schlafen zum Beispiel oder konzentrierte Lohnarbeit für einige Stunden am Stück. Mit dem ersten Tag in der Kita verband ich vor allem die Hoffnung auf mehr Selbstbestimmung, zumindest für ein paar Stunden des Tages. Meine Tochter machte mit, die Eingewöhnung verlief unproblematisch, schon am zweiten Tag blieb sie gern ohne mich ein paar Stunden. Meine emotionale Verbindung zu ihr wurde immer stärker – und das hat auch etwas damit zu tun, dass sie so früh ein Kitakind war. Es ist super, Kinder zu haben – vor allem, wenn sie auch mal von anderen betreut werden.

Kindergärten gibt es in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, verantwortlich dafür war der Pädagoge Friedrich Fröbel. Sein Geburtstag, der 21. April, ist heute weltweiter Kindergarten-Tag. Kinder aus armen Familien sollten damals vor Gefahren geschützt werden, während ihre Eltern einer Erwerbsarbeit nachgehen mussten. Die bürgerliche Familiennorm sah das allerdings nicht vor: Betreuung, Erziehung und Bildung gehörten zum Aufgabenbereich der Mütter. Kindertageseinrichtungen wurden nur akzeptiert, wenn der Betreuungsbedarf mit einer Notsituation verbunden war.

Heute braucht es keine Notsituation, um die eigenen Kinder von anderen Menschen betreuen zu lassen. Wobei: Lohnarbeit und die Betreuung eines Kindes zu vereinbaren, fühlt sich schon manchmal an wie eine Notsituation. Wir haben uns als Gesellschaft darauf geeinigt, dass wir Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen. Was das bedeutet – ein Spagat –, spüren vor allem noch immer die Mütter. Sie arbeiten vorwiegend in Teilzeit. Sie sind es vorwiegend, die gegen 16 Uhr zur Kita hetzen. Sie sind es, die von einer guten Betreuung ihrer Kinder profitieren. Denn alle Eltern können ihre Kinder nur sorglos betreuen lassen, wenn sie wissen, dass die Kinder in guten Händen sind.

Aber wie sieht er eigentlich aus, der perfekte Kindergarten? Diplom-Pädagogin Susanne Mierau antwortet: "Das Konzept meiner Träume setzt auf die kindliche Individualität und das freie Lernen jenseits von Verschulung." Sie wünscht sich eine Kita, die in Wohnortnähe ist und damit soziale Bindungen zu Freund*innen ermöglicht. Außerdem kleine Gruppen und gute Räume. In den meisten Regionen in Deutschland kann man davon bisher wirklich nur träumen. In Berlin sind Eltern froh, wenn sie überhaupt einen Platz finden – das pädagogische Konzept oder die Räumlichkeiten werden oftmals zähneknirschend hingenommen. Hauptsache, überhaupt ein Platz.

Von Fremdbetreuung darf keine Rede sein

Hauptsache, Betreuung. Paradox ist ein Wort, das dafür manchmal noch verwendet wird: Fremdbetreuung. Es zeigt das nach wie vor schlechte Image von außerfamiliärer Betreuung in Deutschland. Als würde ich mein Kind auf der Straße in die Arme irgendeiner fremden Person drücken. "Hier, ich muss zur Arbeit, komme in sechs Stunden wieder." Zack, und weg. Dabei laufen Eingewöhnungen in Kitas in den meisten Fällen sensibel und mit Zeit ab. Das Kind ist anfangs nur ein paar Stunden in der Kita, erst mit Eltern, dann ohne, bis es eine vertrauensvolle Bindung zwischen Kind und Erzieher*innen gibt. Mein Kind sagt manchmal aus Versehen Mama oder Papa zu seinen Erzieher*innen. Von Fremdbetreuung kann und darf da keine Rede sein.

Schließlich verbringen die Kinder an manchen Tagen mehr Zeit in der Kita als zu Hause. Während ich als Dorfkind erst sehr spät in den Kindergarten kam, und dort auch nur vormittags betreut wurde, sind heute Betreuungszeiten von 8 bis 16 oder 17 Uhr die Regel. Eine Vollzeitarbeit der Eltern ist damit oft nicht zu vereinbaren. Und auch darüber hinaus fehlt die Flexibilität. "Es braucht Möglichkeiten, dass Eltern jenseits von Samstag und Sonntag mit ihren Kindern freie Tage haben und jenseits von Montag bis Freitag nur Kinderbetreuung möglich ist", sagt Susanne Mierau. Abgesehen davon müssten auch Eltern, die keine 9 to 5-Jobs haben, Betreuung für ihre Kinder finden. Diese Herausforderungen sind bisher oft noch ungelöst.

Es braucht mehr Geld

Das kürzlich vom Bundestag verabschiedete Gute-Kita-Gesetz soll bessere Bedingungen schaffen, ist aber leider nicht so gut, wie der Name verspricht. Der Bund investiert insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Der Haken: In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Bedürfnisse. Während es in Nordrhein-Westfalen eher darum gehen muss, den Bedarf an Kitaplätzen abzudecken, geht es in Mecklenburg-Vorpommern eher um die Betreuungsqualität in den Kitas. In Ostdeutschland gibt es nach wie vor mehr Kitaplätze als in Westdeutschland, so haben in Mecklenburg-Vorpommern 3,1 Prozent aller Kinder keinen Kitaplatz, obwohl die Eltern sich einen wünschen – in Nordrhein-Westfalen sind es 16,2 Prozent. Mehrere Studien und auch Arbeitsergebnisse, die Bund und Länder im vergangenen Jahr gemeinsam erzielt haben, zeigen einen deutlich höheren finanziellen Gesamtbedarf.

Ein nigerianisches Sprichwort lautet: Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Kitas und Kindergärten können wie diese Dörfer sein, wenn sie gut sind. Ob sie gut sind, hängt von Ressourcen ab – und ganz besonders von den Menschen, die die Kinder dort begleiten. Das sind Menschen, denen ich dankbar bin: dafür, dass mein Kind bastelt, obwohl ich basteln hasse. Dafür, dass mein Kind Brötchen backen lernt und wie schnell der schnellste Vogel der Welt ist. Dafür, dass sie mir Selbstbestimmung ermöglichen und mein Kind wachsen lassen. Ich esse dann die Brötchen und bestaune die gebastelten Kunstwerke. Wenn ich mein Kind aus der Kita hole, freue ich mich mit Bauchkribbeln. Meine Liebe zu meinem Kind ist auch deshalb so stark, weil es zwischendurch von anderen tollen Menschen betreut wird.

Alle Texte der Kolumne Klein und groß.